Bensheim. Ein blankgeputzter Spiegel, auf dem eine Klarsichthülle befestigt ist. Nachlässig an eine Tafel geklebte Polaroid-Fotos. Ein glitzernder Wassertropfen, der an einer beschlagenen Fensterscheibe herunterläuft. Und immer wieder Klebeband, als Imitation eines Fensters auf die Leinwand geklebt oder als Eckenverstärkung eines dreidimensionalen Pakets. Jochen Mühlenbrink malt das alles so, dass man es mit der Wirklichkeit verwechselt und am Ende sogar die dreidimensionale Welt manchmal für Malerei hält.
Die Verwunderung über die Täuschung und das Staunen über die Kunstfertigkeit im Trompe-l’œil entzücken den Betrachter seit der Antike. Der 1980 in Freiburg geborene Jochen Mühlenbrink setzt zweifellos die Tradition dieser illusionistischen Malerei und des Quodlibets in beeindruckender Weise fort, doch geht es nicht um eitle Demonstration künstlerischer Meisterschaft. Mit Mühlenbrinks Bildern ist man nämlich nicht so schnell fertig, wie man in dem Moment glaubt, in dem man verblüfft die Täuschung entlarvt hat.
Es geht nicht nur um Desillusionierung, sondern zum Beispiel auch um das Anhalten der Zeit oder um das Verbergen und Entdecken der Welt oder schließlich um das Wesen der Malerei – meisterhaft oder banal in der Spur von Fingerkritzeleien auf der beschlagenen Fensterscheibe. Vielleicht geht es sogar vor allem um das, was Malerei im Eigentlichen ist.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Und während sich andere Künstler daran abarbeiten, die Materialität und das Gemachtsein ihrer Bilder herauszustellen, indem sie jeglichen Gegenstandsbezug verneinen, geht Mühlenbrink den umgekehrten Weg – und erzielt ein ähnliches Ergebnis: Es ist ja alles nur gemalt, erkennt der Betrachter. Was mir vorkommt, wie der Blick durchs Fenster auf die Welt da draußen, ist nichts als Fälschung, ist nur ein bemaltes Rechteck auf einer glatten Wand – und zeigt genau deshalb die Macht, die in der Kunst liegt.
Am Freitagabend wurde im Museum die neue Sonderausstellung „J’M donc je suis“ mit Werken von Jochen Mühlenbrink eröffnet. Nach der Begrüßung durch Stadträtin Waltrud Ottinger dankte Museumsleiter Jan Christoph Breitwieser den privaten Leihgebern und insbesondere der Leipziger Galerie ASPN für die Unterstützung und die Bereitschaft, Werke des weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Künstlers zur Verfügung zu stellen.
Im Gespräch mit dem Künstler und der Galeristin Arne Linde erinnerte sich Breitwieser an die erste Begegnung mit den illusionistischen Malereien von Jochen Mühlenbrink. „Schon wieder Tape Art“, habe er damals gedacht und erst auf den dritten Blick gemerkt, dass da gar nicht wirklich Bilder aus Klebeband gemacht, sondern Bilder gemalt worden waren, die Klebeband täuschend echt abbilden.
„Es passiert mir bis heute, dass ich hingreifen und ein Stück Tape herunterziehen will – obwohl ich doch genau weiß, dass es nur gemalt ist“, erzählte Galeristin Arne Linde fasziniert. Am Werk von Jochen Mühlenbrink beeindrucke sie unter anderem, dass der Zugang ohne Sprach- und Bildungsbarrieren für jedermann möglich sei und bei allen Menschen gleichermaßen Erstaunen und Schmunzeln hervorrufe, wie sie in der Galerie immer wieder beobachten könne.
Er selbst lasse sich gern täuschen, sagte Jochen Mühlenbrink, doch gehe die eigentliche Täuschung ja schnell vorbei und sei auch gar nicht sein Hauptinteresse. Er wolle vielmehr die Irritation im Sehen untersuchen, weniger als philosophischen denn als malerischen Aspekt.
Obwohl er im Gespräch mehrfach betonte, dass er nicht aus einem theoretischen Fundus schöpfe, lässt der Titel der Ausstellung „J’M donc je suis“ mit den Initialen des Künstlers und einer Anspielung auf das berühmte Zitat von René Descartes „Je pense, donc je suis“ – ich denke, also bin ich – doch spüren, dass es ein konzeptuelles Gebäude hinter den Bildern gibt.
Er übermale und überdenke seine Bilder oft über einen längeren Zeitraum, erklärte Mühlenbrink. Die Bilder in der Bensheimer Ausstellung hatte er selbst gehängt und zwischen den Ein- und Ausgängen und den drei unterschiedlichen Räumen die Blickachsen ausgiebig genutzt, um Beziehungen zwischen den Bildern herzustellen.
Nächste Stationen des Künstlers sind unter anderem Ausstellungen in Amsterdam, Palermo und Kopenhagen. Zur Bensheimer Ausstellung erscheint ein Katalog, der im Juni erhältlich sein wird.
Die Ausstellung „J’M donc je suis“ ist bis Juni donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr und samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr zu sehen. Am 30. April um 15 Uhr gibt es eine Kuratorenführung mit Jan Christoph Breitwieser, am 21. Mai um 15 Uhr führt die Kunsthistorikerin Anna Raab durch die Ausstellung.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-illusionistische-malerei-im-bensheimer-museum-_arid,2073429.html