Hochstädten. Von einer beherzten Vision über den steinigen Weg zum Ziel bis zum mutigen Ergreifen einer überraschenden Chance: Die Biografie des Hochstädter Hauses ist im Grunde filmreif. Und man kann die Geschichte nicht erzählen ohne die unzähligen Menschen, die dabei geholfen haben. Entsprechend monumental fiel die Doppel-Jubiläumsfeier aus, die der Förderverein am Samstagabend an Ort und Stelle organisiert hatte. Vorsitzende Susanne Sartorius begrüßte zahlreiche Ehrengäste, die – jeder auf seine Weise – an der Entstehung von etwas Besonderem mitgewirkt haben.
Der Förderverein blickt auf zwei Jahrzehnte zurück
Vor 20 Jahren entstand in dem heute rund 800 Einwohner zählenden Dörfchen eine Bürgerinitiative, die ein im Grunde banales, aber überaus anspruchsvolles Ziel verfolgte: ein eigenes Gemeinschaftshaus. So wie das in allen anderen Stadtteilen der Fall war. Dies führte zur Gründung des Fördervereins, der dieses Ziel auf einem langen und nicht immer einfachen Weg letztendlich durch- und umsetzen konnte. Der Verein ist Eigentümer des Hochstädter Hauses, das als sozialer und kultureller Mittelpunkt längst etabliert ist und seit fünf Jahren als Treffpunkt und Veranstaltungsraum rege genutzt wird.
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An den Vereinsgründer Josef Sartorius, ehemaliger Ortsvorsteher und Motor der Projektidee, erinnerte am Samstag eine Kerze. Es war der Tag seines Geburtstags. Er wurde in Bensheim am 14. September 1938 geboren. Über Jahre hinweg hatte er sich engagiert und offensiv für den Bau eines Dorfgemeinschaftshauses in seinem Wohnort eingesetzt. Die Straße, an dem das Gebäude liegt, ist nach ihm benannt. Seit Jahren führt seine Tochter den Verein weiter. Im Juli wurde der Vorstand geschlossen bestätigt, der nach wie vor zahlreiche Aufgaben zu bewältigen hat. Denn mit der Fertigstellung und Eröffnung des Hauses vor fünf Jahren war die Arbeit längst nicht getan, so die Vorsitzende.
Starke bürgerschaftliche Bewegung auf Grundlage einer gemeinschaftlichen Idee
Zuletzt musste man sich mit den Behörden auseinandersetzen, die eine gemeinschaftliche Nutzung der Räume überraschend untersagt und ausschließlich für interne Zwecke genehmigt hatten. Das war 2022. Seit einem Jahr herrscht diesbezüglich Rechtssicherheit, Transparenz und Klarheit.
Bürokratische Hürden flankierten die Geschichte des Hauses von Anfang an. 2004 wurde die Idee eines eigenen DGH vom neuen Förderverein erstmals artikuliert und visualisiert, erinnert sich Susanne Sartorius. Im Provisorium, der alten Schule, herrschten Enge und Not. Es erforderte viel Überzeugungsarbeit, argumentatives Geschick und cleveres Taktieren, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und - noch wichtiger – möglichst viele Akteure für die Umsetzung zu gewinnen.
In Hochstädten entstand eine starke bürgerschaftliche Bewegung auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Idee und einem hohen Maß an Identifikationskraft und kollektiver Energie.
Bereits im Juli 1994 hatte der damalige Ortsvorsteher Josef Sartorius einen konkreten Planentwurf vorgelegt, der zusammen mit dem neuen Feuerwehrhaus einen Gesamtbau bilden sollte - doch er kam nicht zur Ausführung. Aus der Bürgerinitiative wurde ein Verein. Der Druck auf den Magistrat hielt an. Doch es nutzte nichts: aus dem Rathaus gab es keine Signale, dass es in Hochstädten ein DGH geben würde. Bei einer Ortsbeiratssitzung im November 2011 wurde dies nochmals öffentlich betont – unter starkem Protest der anwesenden Bürger. Nach Sartorius‘ Tod hatte damals bereits Gründungsmitglied Herbert Fuchs die kommissarische Leitung des Fördervereins übernommen. Bei der Mitgliederversammlung im Februar 2011 übernahm Susanne Sartorius. Sie sagt: „Herbert Fuchs ist damals immer wieder an Wände geprallt, aufgegeben hat er nie.“ Fuchs blieb im Vorstand, dem auch Andreas Klemm angehörte. Von ihm stammte die Idee zum „Mobilen Dorfgemeinschaftshaus“, ein ehemaliger DDR-Mannschaftswagen, der nun als MoDog bekannt geworden war. Eine Kuriosität, ein Augenzwinkern, aber auch ein Signal für die Ausdauer der Hochstädter beim Verfolgen ihres großen Ziels.
Dorfladen musste Ende 2021 aufgegeben werden
2014 erfolgt ein Machtwechsel im Rathaus, Rolf Richter wird Bürgermeister. Bereits im Wahlkampf hatten alle drei Kandidaten (Sylvia Kloetzel, SPD, und Franz Apfel, BfB) eine Unterstützung des Projektes in Aussicht gestellt. Und auch das Parlament lenkte ein. Die Stadtverordnetenversammlung einigte sich auf einen Zuschuss von 180.000 Euro, Richter erwirkte bei der Hessischen Landesregierung Fördergelder in Höhe von 150.000 Euro. Die finalen Weichen waren gestellt. Ein Zufall beschleunigte das Projekt: Das Marmoritwerk wurde bereits 2008 geschlossen und anschließend abgerissen. Nur die ehemalige Kantine blieb in marodem Zustand erhalten. Es folgten lange Gespräche mit der Firmengruppe Knauf, der damalige Bensheimer Baustadtrat Helmut Sachwitz unterstützt das Vorhaben seitens der Stadt Bensheim.
Der Architekt Reinhard Jährling hat die ersten Pläne vom Hochstädter Haus gezeichnet und ein entsprechendes Modell gebaut. „Aus der alten, kalten Kantine wurde ein Wohlfühlhaus“, so Susanne Sartorius, die Bauleiter Bernd Rettig als „gute Seele des Hauses“ bezeichnete. Ohne ihn würde das Gebäude nicht stehen, so die Vorsitzende.
Auch Andreas Klemm war lange einer der treibenden Kräfte. Er engagierte sich ehrenamtlich für das Café und den Dorfladen, der im Kontext der Pandemie Ende 2021 aufgegeben werden musste. „Wir haben es wenigstens versucht“, so Sartorius. Es folgte eine Konsolidierung und ein Neustart mit einem Pächter für das Erdgeschoss. Das Haus stehe unter einem guten Stern, man habe letztlich für jedes Problem eine Lösung gefunden. Die über 8000 ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden sind nur die eine Seite der Medaille. Für Susanne Sartorius ist das Hochstädter Haus „gemeinschaftlich gelebte Resilienz und Lebensfreude“.
Hochstädter würden nicht nur kritisieren, sondern auch anpacken
„Warum konnte das ausgerechnet in Hochstädten gelingen?“ fragte sich Rolf Richter und hatte sogleich eine Antwort parat: Hier habe eine verschworene Gemeinschaft mit Leidenschaft und Mut ein gemeinsames Ziel verfolgt. „Der Bau war eine enorme Herausforderung. Der Betrieb ist eine noch größere“, so der ehemalige Rathauschef, dessen Nachfolgerin Christine Klein ihrem Vorgänger für die Unterstützung des Projekts dankte und die enorme Willenskraft der Einwohner lobte.
Landrat a.D. Matthias Wilkes zeigte sich nicht minder begeistert vom Enthusiasmus und der Entschlossenheit der Hochstädter, die bereits mit ihrer auch überregional viel beachteten Umgehungsstraße („Straße des Friedens“) für Aufmerksamkeit gesorgt hatten. Um einen längeren Umweg während einer Vollsperrung der unteren Mühltalstraße zu vermeiden, hatte ein Team um Andreas Klemm und Bernd Rettig 2010 ein Provisorium aus Schotter angelegt – samt Kassenhäuschen (ein Euro mindestens) und Kunstwerke am Wegesrand.
Ein Statement, unkonventionell und kreativ, so Wilkes. Die Hochstädter würden nicht nur kritisieren und einfordern, sondern auch anpacken und Initiative zeigen. Er bezeichnete das Hochstädter Haus in diesem Kontext auch als örtliche Akropolis im Wortsinn, also als prominente bauliche Festung , die bildhaft für die Durchsetzungskraft der Bürger stehe.
Wilkes, ein Zugezogener, der „auf der anderen Seite des Hügels“ in Elmshausen lebt, betonte: „Wenn ich noch einmal an die Bergstraße käme, dann würde ich wahrscheinlich nach Hochstädten ziehen!“
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