Bensheim. Intensiv, unverblümt und direkt: Die Matinee am Morgen nach dem grandiosen Festakt zur Preisverleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings 2024 ist inzwischen nicht nur zu einer lieb gewordenen Tradition geworden, sie bietet gleichzeitig die beste und einmalige Gelegenheit, die Preisträger im Gespräch mit den Juroren und Jurorinnen hautnah zu erleben, anschließend persönliche Fragen zu stellen und ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Dementsprechend gut besucht war die Veranstaltung im Parkhotel Krone nach der tags zuvor stattgefundenen Kür im Parktheater. Birgit Minichmayr, die für ihre herausragende Leistung in Thomas Bernhards „Heldenplatz“ ausgezeichnet wurde, und Ran Chai Bar-zvi, der den Kurt-Hübner-Regiepreis für seine Inszenierung von „Blutbuch“ nach einem Roman von Kim de l’Horizon erhielt, zeigten sich bestens gelaunt und tiefenentspannt. Für ihre einführenden Worte von der „wunderbaren Preisverleihung“ und einem „großartigen Erlebnis“ bekam Bürgermeisterin Christine Klein viel Beifall.
Mit der provokanten Frage „Lässt sich mit Theater die Welt verändern?“ starteten Jossi Wieler, Theater- und Opernregisseur, ehemaliger Intendant der Staatsoper Stuttgart und Juryvorsitzender, sowie Almut Wagner, stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin am Residenztheater München die Fragerunde mit den Preisträgern, die „mit ihrem Schaffen den direkten Dialog zum Publikum und den Kontakt mit der Gesellschaft suchen“.
Weltverbesserer? Nein! Für Minichmayr ist Theater eher „ein Angebot mitzugestalten und ein Ort der Auseinandersetzung, ein gesellschaftlicher Raum, in dem man analog und ohne Bildschirm vor dem Gesicht zusammenkommt und sich zuhört“. In die gleiche Kerbe schlug der in Israel aufgewachsenen Jungregisseur: „Wer die Welt verändern will, wird jedes Mal scheitern.“ Wichtig sind ihm die „kleinen Dinge, die kleinen Veränderungen, mit denen man Menschen in ihrem liberalen Glauben und ihren Werten bestärken kann“.
Auch die immer knapper werden finanziellen Mittel am und für das Theater waren Thema. In diesem Zusammenhang kritisierte Birgit Minichmayr die „schlimmen Budgetkürzung und den einzigartigen Raubbau an Berliner Theatern, die insbesondere Aufführungen für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen treffen“ und sprach von einer Katastrophe. Noch könne man aber froh darüber sein, dass Subventionierung grundsätzlich nicht vom Massengeschmack dominiert werde und Zeit und Geld auch für Nischenprojekte da sei. Theatermann Jossi Wieler wählte eine krasse Formulierung: „Wir sind Zulieferer.“
Gleichzeitig waren sich Schauspielerin und Regisseur einig darüber, dass Steuergelder eine Verpflichtung sind, „dem Publikum etwas zurückzugeben“. Das Schlaraffenland der 80er und 90er Jahre sei Vergangenheit, die Schließung gerade lokaler Theater ein großer Verlust: „Der Einbruch trifft vor allem kleinere Häuser.“ Ran Chai Bar-zvi: „Kunst lebt überall, nicht nur in Berlin und München.“ Dass die Kulturlandschaft gerade in den letzten Jahren stark gelitten hat, zeigt sich nach Überzeugung der Preisträger unter anderem in Israel, „wo alles auf ein parteikonformes Theater hinausläuft“ und in der Steiermark in Österreich, „wo die FPÖ alles, was nicht volkstümlich ist, auch nicht fördert.“
Schließlich gaben Schauspielerin und Regisseur ganz persönliche Einblicke in ihren beruflichen Alltag. Minichmayr machte aus ihrer Begeisterung für ihren früheren Lehrer Klaus Maria Brandauer, „der mich so liebevoll überschätzt hat“, keinen Hehl. Zäh, streng, unerbittlich und durchaus gefürchtet sei er gewesen, aber „ich habe das gebraucht“. Der Kurt-Hübner-Preisträger, Regisseur und Bühnenbildner will „konsequent sein, nicht niedlich, nicht nett. Ich will mich reiben.“
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