Bensheim. Im Rahmen der Diwan-Gespräche hatte der Förderverein des Goethe-Gymnasiums am Dienstagabend wieder zu einem Vortrag in die Bibliothek der Schule eingeladen. Als Referentin wurde Franziska Wilkes eingeladen, die im April dieses Jahres von ihrem achtmonatigen Aufenthalt in Mumbai zurückgekehrt war. Die ehemalige Schülerin hatte sich nach ihrem Abitur dazu entschlossen, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu absolvieren. Den Freiwilligendienst absolvierte Wilkes im Rahmen des Programms „weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an dem sich die Karl-Kübel-Stiftung als Entsendeorganisation beteiligt.
Während der acht Monate war sie gemeinsam mit Maire Koy aus Bonn bei den Schwestern der Society of the Helpers of Mary untergebracht. Die katholische Organisation wurde von der deutschen Ordensschwester Anna Huberta Roggendorf 1942 in Mumbai gegründet und unterstützt hilfsbedürftige Menschen, vor allem Frauen und Kinder. Jürgen Mescher, ehemaliger Schulleiter der Europaschule, begrüßte die anwesenden Gäste und erinnerte in diesem Zuge an den ersten Vortrag der Reihe, der vor 15 Jahren stattfand und „ebenfalls das Thema Indien hatte“.
Um 8.30 Uhr begann für Franziska Wilkes der Tag im Mädchenheim. Die Mädchen sind zum Teil Waisen oder stammen aus schwierigen familiären Verhältnissen. „Wir haben dann in der Hausaufgabenbetreuung unterstützt“, erläuterte die Tochter des ehemaligen Bergsträßer Landrates Matthias Wilkes. Von 12 bis 13 Uhr ging der Tag im Seniorenheim weiter, wo bei der Essensausgabe geholfen wurde. Von all den Aktivitäten gab es zahlreiche Bilder, die den Vortrag begleiteten und das Gesagte veranschaulichten.
Den Nachmittag verbrachten die beiden jungen Frauen in einer Slumschule. In dieser gab es fünf Klassen, von denen Wilkes und Koy eine Klasse betreuten, Nachhilfe in Englisch und Mathe gaben oder einfach mit den Kindern ins Gespräch kamen. Eine sehr lehrreiche Zeit – aber auch anstrengend, wie Wilkes zugab. „Die Kinder sind schon sehr energisch.“ Den Abend verbrachten sie wiederum wieder im Mädchenheim, wo sie nun mit den älteren Mädchen, die am Vormittag in der Schule waren, spielten oder tanzten. Der eine oder andere im Publikum zeigte sich erstaunt angesichts des umfangreichen Arbeitstages. „Es gab auch Tage, die kürzer waren, einige länger“, erläuterte die 19-jährige Abiturientin.
Trotz der vielen Arbeitsstunden erlebte Franziska Wilkes auch viele schöne und besondere Momente. Ob beim Basteln mit den Senioren, dem gemeinsamen indischen Kochen oder den vielen Festen, die gefeiert wurden. Es gab zahlreiche Anlässe, in die indische Kultur einzutauchen. In den insgesamt drei Urlaubswochen erkundete Wilkes Teile des Landes, besuchte auch den Norden Indiens, in dem es etwas kühler zugeht als im Rest des Landes. Dennoch habe sie ihre Bucket-List nicht vollständig abgearbeitet.
„Ich könnte noch zehn Mal hinreisen und hätte immer noch nicht alles gesehen.“ Doch Wilkes machte nicht nur positive Erfahrungen. Relativ zu Beginn ihres Auslandsaufenthaltes erkrankte sie am Dengue-Fieber, einer Tropenkrankheit, was sie zu einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt zwang, in dem sie nicht viel machen konnte. „Ich habe viel Paracetamol bekommen und einfach abgewartet.“ Doch auch in dieser schwierigen und belastenden Zeit „gab es viele Leute, die sich um mich gekümmert haben“. Generell habe sie während des gesamten Aufenthaltes viel Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft empfunden.
Mumbai ist eine Stadt großer sozialer Ungleichheit. Franziska Wilkes zeigte Bilder, die verdeutlichten, dass „Armut und Reichtum nah nebeneinander sind“. Dieser Kontrast der Lebensumstände hat sie nachhaltig begeistert, zumal sie die Situation in den Slums unmittelbar miterlebt hat. Man lerne die Dinge, die hierzulande selbstverständlich sind, ganz anders wertzuschätzen. In dem Slum, das an die Schule grenzt, leben 15.000 Menschen. „Es gibt dort nur ein Gebäude mit 15 Toiletten.“ Trotz dieser enorm prekären Verhältnisse sind die Menschen dort sehr gastfreundlich, wie Wilkes berichtete: „Sie haben uns sofort etwas zu Essen angeboten.“ Ob sie sich getraut habe, das Angebot überhaupt anzunehmen? „Man braucht schon einen sehr guten Grund, um das Essen abzulehnen.“ Von dieser Lebenseinstellung „können sich einige hier eine Scheibe abschneiden“. Obwohl Wilkes Vegetarierin ist, kam sie nicht häufig in die Situation, die Essenseinladung abzulehnen. In Indien leben große Bevölkerungsteile vegetarisch. An die Schärfe des Essens habe sie sich anfangs gewöhnen müssen, was aber mit fortschreitender Aufenthaltsdauer immer besser klappte, wie sie schmunzelnd zugab.
Das Programm der Karl-Kübel-Stiftung ermöglicht auch einen Rückaustausch. Unter den Gästen waren drei junge Frauen aus Indien und den Philippinen, die Teil der Süd-Nord-Freiwilligengruppe sind, die nun seit einigen Monaten in Deutschland leben und vergleichbare Erfahrungswerte sammeln. Sie wohnen in Zwingenberg, Bensheim und Lorsch und arbeiten dort ebenfalls in sozialen Einrichtungen wie dem Lorscher Kindergarten oder der Behindertenhilfe Bergstraße. Was Franziska Wilkes nun als abschließendes Fazit ziehen könne, wollte Jürgen Mescher von ihr wissen. „Ich kann es nur jedem weiterempfehlen“, so die junge Frau. Eine gewisse Offenheit, Neues zu entdecken und sich sozial zu engagieren, sei natürlich sinnvoll.
Auch wenn die Diwan-Reihe sich nicht explizit an junge Menschen richtet, herrschte Konsens im Raum, dass der Vortrag ins Klassenzimmer gehöre. Damit Schülerinnen und Schüler erfahren können, dass das Verlassen der Komfortzone der eigenen Selbstständigkeit zuträglich sein kann. Und das selbst ein Dach über dem Kopf keineswegs selbstverständlich ist.
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