Bensheim. Ein Pastor sitzt am Esstisch, schiebt sich das Essen in den Mund, bevor jemand das Tischgebet spricht. „Wir pflegen vor Tische zu beten, Herr Pastor“, sagt der Hausherr streng. Betretene Stille, dann ein verlegenes Lächeln – und der ganze Saal lacht. Schnell spürt man, dass dieser Abend etwas Besonderes wird: eine Komödie, die das Publikum mitten ins Herz trifft – mit feinem Witz, großen Gefühlen und einem Augenzwinkern, das noch lange nachhallt. Aufgeführt wurde „Das Haus in Montevideo“ von Curt Goetz, ein Theaterstück, das wie geschaffen scheint für den Schwanheimer Theaterherbst. Zum 20. Mal öffnete sich in diesem Jahr der Vorhang des Theaterensembles der Freiwilligen Feuerwehr Schwanheim – und zum Jubiläum wagte sich das Ensemble an diesen humorvollen, geistreich geschriebenen Stoff über Moral, Versuchung und den schmalen Grat zwischen Anstand und Heuchelei.
Im Mittelpunkt steht Professor Traugott Nägler, ein Mann, der seine Familie mit eiserner Hand und klaren Prinzipien führt. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwölf Kindern in einer sittsamen Welt, in der Ordnung und Tugend das höchste Gut sind. Doch seine strenge Moral wird auf die Probe gestellt, als ihn eine Nachricht aus Südamerika erreicht: Seine Schwester, die er einst verstoßen hatte, weil sie ein uneheliches Kind bekam, ist in Montevideo gestorben – und hat ihm ein Haus samt beträchtlicher Erbschaft hinterlassen.
Der Haken: Das Erbe ist an eine Bedingung geknüpft. Das Geld fällt nur dann an ihn, wenn in seinem eigenen Haus dasselbe geschieht wie damals bei seiner Schwester – wenn also eines seiner Kinder unehelich ein Kind zur Welt bringt. Neugierig, empört und vielleicht auch ein wenig versucht, reist Nägler mit seiner ältesten Tochter Atlanta und dem Pastor nach Montevideo, um sich selbst ein Bild zu machen. Was sie dort finden, stellt alles infrage, was der Professor bisher zu wissen glaubte. So viel sei verraten: Seine Überzeugungen geraten ins Wanken – und die Wahrheit ist eine, die berührt und überrascht.
Besonders herzerwärmend – und zugleich wunderbar komisch – sind die Szenen zwischen Näglers Tochter Atlanta und ihrem heimlichen Verehrer Herbert, einem jungen Ingenieur, der mit purem Anstand, aber wenig Selbstvertrauen vor den gestrengen Vater tritt. Seine ehrliche Liebe zu Atlanta trifft auf die felsenfeste Moral des Professors – und auf dessen unerbittliche Logik. Das zarte Werben zwischen den beiden jungen Leuten ist geprägt von Nervosität, Unbeholfenheit und einer Menge Situationskomik.
Herbert wagt kaum, Nägler in die Augen zu schauen, stammelt, schwitzt und verheddert sich in seinen eigenen Sätzen. „Ich möchte um… um Ihre Tochter bitten – nein, um ihre Hand natürlich“, bringt er schließlich hervor, woraufhin der Professor trocken fragt, ob er denn auch die passenden finanziellen Grundlagen besitze, um diese Hand zu halten. Das Publikum lachte Tränen, während Atlanta – charmant, klug und liebevoll – versucht, die Situation zu retten. Ihre Zuneigung zu Herbert ist ehrlich, und zwischen dem moralischen Druck ihres Vaters und der Unsicherheit des jungen Mannes entfaltet sich eine leise, menschliche Komik, die das Stück warm und zugänglich macht.
Die Schwanheimer Inszenierung bringt diese Mischung aus Komödie, Satire und stiller Menschlichkeit mit Herzblut und Humor auf die Bühne. Die Szenen sprühten vor Energie – der Vater, streng und stolz, der Pastor, ein kleiner Heuchler mit großem Appetit, die Tochter Atlanta, zwischen Pflicht und Gefühl hin- und hergerissen. Und dann diese Haushälterin, die das Kind unter dem Arm trägt, als wäre es ein Paket – ein Bild, das zugleich urkomisch und tief symbolisch war.
Was den Abend besonders machte, war das Zusammenspiel der Generationen. Zwölf Kinder – die Söhne und Töchter der Schwanheimer und Fehlheimer Theateraktiven – standen dieses Jahr auf der Bühne. Natürlich lief nicht alles perfekt: Während der Aufführung fiel kurzerhand der Brunnen auf der Bühne um. Auch die geplante Drehbühne kam nicht rechtzeitig an, also wurde improvisiert. Das Publikum nahm das jedoch mit Humor und applaudierte sogar.
Rund 170 Besucher füllten bei den ersten beiden Vorstellungen den Saal der „Schwanheimer Volksbühne“, und die Stimmung war von Anfang an voller Vorfreude und Wärme. Das Lachen im Saal, das ehrliche Mitfiebern, der Applaus nach jeder Szene – all das machte deutlich, dass hier nicht nur gespielt, sondern mit Leidenschaft gelebt wurde. Und so viel sei verraten: Die Szene mit dem hungrigen Pastor am Esstisch, der das Tischgebet vergisst, war längst nicht die einzige, die für Gelächter sorgte – aber vielleicht die ehrlichste. Am kommenden Samstag steht die letzte Vorstellung an – sie ist, wie alle bisherigen, bereits restlos ausverkauft.
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