Bensheim. Trotz unbestreitbar erfolgreicher Arbeit und trotz des enormen Engagements der Mitarbeiterinnen und der Mitglieder – die Bilanz des Vereins Frauenhaus Bergstraße bleibt ernüchternd. Von 79 Frauen mit 88 Kindern, die im vergangenen Jahr im Frauenhaus eine Zuflucht gesucht haben, konnten nur zehn Frauen und neun Kinder aufgenommen werden. Das bedeutet, dass 69 Frauen kein Schutz gewährt werden konnte, wobei es tatsächlich noch mehr sein dürften, wie die zuständige Mitarbeiterin vermutet, da das Frauenhaus nicht rund um die Uhr erreichbar ist.
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In den Tätigkeitsberichten gab es bei der von der Vorsitzenden Martina Evertz geleiteten Mitgliederversammlung des Vereins am Dienstagabend im Seminarraum des Hospiz-Vereins am Wambolter Hof dennoch auch viel Gutes zu berichten. Von den derzeit 132 Mitgliedern (darunter vier Männer) war neben dem Vorstand ein knappes Dutzend gekommen.
Ende November soll die Baustelle Geschichte sein
Ein großes Thema war die seit 2021 währende Baustelle, die von Bewohnerinnen wie Mitarbeiterinnen noch immer viel Nerven, Kraft und Flexibilität erfordert, wie die Beisitzerin des Vorstands Maria Heeß berichtete. Nach dem Neubau eines Büropavillons und der Sanierung des Fachwerkhauses für Wohnraum und die Kinderbetreuung steht derzeit noch der Abschluss des dritten Bauabschnitts mit dem großen Wohnkomplex aus.
Während der gesamten Bauphase mussten die Bewohnerinnen mehrfach im Gebäude umziehen und mit ihren Kindern zum Wohnen zum Teil die Büros samt einem im Freien aufgestellten Duschcontainer nutzen. Wenn Ende November dieses Jahres alles fertig ist, wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Zimmer von elf auf zwölf gestiegen sein.
Beim Thema Intervention lässt der Kreis den Verein allein
Die Arbeit des Vereins betrifft nicht nur die Gewährung von Zuflucht, sondern auch die Beratung – seit Januar gab es 48 Beratungen, meist per Telefon – und bis vor kurzem gehörte auch die Intervention dazu. Als Interventionsstelle wurde der Verein von der Polizei über akute Fälle von häuslicher Gewalt informiert und erhielt die Kontaktdaten der Gefährdeten, um so schnell wie möglich in den direkten Kontakt treten zu können. Diese Aufgabe übernimmt der Verein jedoch künftig nicht mehr – Personalengpass und Finanzierungslücke heißen hier die Stichwörter, denn der Kreis lässt das Frauenhaus Bergstraße bei diesem Aspekt allein.
„Der Schutz der Opfer liegt in staatlicher Verantwortung“, denn bei häuslicher Gewalt handele es sich um eine Verletzung bedeutender Grundrechte der Betroffenen, stellt jedoch das Hessische Justizministerium fest und bezieht sich auch auf die sogenannte Istanbul-Konvention, ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das im Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist und verbindliche Rechtsnormen zur Bekämpfung des Problems schafft.
Zugleich legt die dem Ministerium eingegliederte Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt Qualitätskriterien für die Arbeit der Interventionsstellen fest, darunter Fachpersonal mit Hochschulabschluss. Außerdem soll die Beratungs- und Interventionsstelle niederschwellig und barrierearm erreichbar sein. Die Intervention soll zeitnah erfolgen – die Rede ist von maximal 72 Stunden, auch am Wochenende.
„Unabdingbar für ein kontinuierliches Angebot ist eine personelle Ausstattung von mindestens zwei Mitarbeiterinnen mit einem Stellenvolumen von 1,5 Stellen“, heißt es. Zur Finanzierung wird auf Eigenmittel und Spenden verwiesen – aber zumindest auch auf nicht näher definierte kommunale Zuschüsse. eba
Kassenwartin Edeltraud Lubda berichtete über die im Wesentlichen aus dem Erlös von Benefizveranstaltungen, Spenden und Mitgliedsbeiträgen bestehenden Einnahmen, zu denen von den Gerichten verhängte Bußgelder von meist mehr als 10 000 Euro im Jahr hinzukommen. Insgesamt braucht der Verein jedoch mindestens 60 000 Euro pro Jahr allein für die Personalkosten. Der Kreis trägt zwar 90 Prozent der Personalkosten für das Frauenhaus, unter anderem die Beratungsstelle jedoch muss vom Verein allein getragen werden. In diesem Jahr wird zusätzlich die Anschaffung von neuen Möbeln empfindlich zu Buche schlagen, die wegen der durch den Umbau veränderten Raummaße erforderlich geworden ist. Die Kassenprüfung ergab eine sehr ordentliche und korrekte Kassenführung, woraufhin der Vorstand einstimmig entlastet wurde.
Wohnungsknappheit ist ein großes Problem
Bei den Berichten der Mitarbeiterinnen aus der täglichen Arbeit traten Chancen, aber auch große Probleme zutage. Drei Frauen mit vier Kindern sind im Berichtsjahr aus dem Frauenhaus ausgezogen und konnten damit anderen Platz machen. Jedoch kehrte eine Frau zurück zum Gewalttäter, eine zog zu den Eltern und nur eine konnte mit einer eigenen Wohnung in ein neues Leben starten. Denn die Wohnungsknappheit macht besonders den häufig von Armut betroffenen und als Alleinerziehende, teilweise auch mit Migrationshintergrund diskriminierten Müttern zu schaffen – ein Appell in Richtung Politik, generell mehr Wohnraum zu schaffen. Neben Wohnraum fehlen Angebote an Integrationskursen und vor allem auch Kindergartenplätze.
Im Frauenhaus selbst gibt es für die Kinder, die aus dem Babyalter hinaus sind, ein ergänzendes Betreuungsangebot durch eine Mitarbeiterin mit einem 30-Stunden-Vertrag, für die aktuell händeringend eine Unterstützung durch eine 15-Stunden-Kraft gesucht wird, um eine vor einiger Zeit freigewordene Stelle zu besetzen. Gern gesehen sind auch Praktikantinnen, die ihr Talent und ihr Engagement einbringen möchten.
Zwei Benefiz-Aktionen stehen demnächst an
Nicht nur die Mütter, auch die Kinder brauchen in der belastenden Situation Hilfe. Immer mehr leiden an schwerwiegenden Essstörungen. Viele Mädchen fühlen sich für ihre Mutter verantwortlich – und zugleich für ihre jüngeren Geschwister. Manche Jungs dagegen werden behandelt „wie kleine Kronprinzen“, berichtet die Mitarbeiterin, und wiederholen die Rolle des Vaters – Probleme, für die weit mehr personelle Unterstützung als derzeit finanzierbar nötig sei. Mit Kreativangeboten, Theaterfahrten und anderen Ausflügen, unterstützt durch private Spender, bekommen die Kinder Gelegenheit zur eigenen Welterkundung.
Auf zwei kommende Benefiz-Aktionen in nächster Zeit verwies Schriftführerin Renate Tietz: Am Freitag, 15. November, spielt die Frauenband Mafalda zugunsten des Frauenhaus-Vereins im Theater Mobile in Zwingenberg. Und es gibt eine Weihnachtsspendenaktion des GGEW, das jede eingegangene Spende verdoppeln wird. Wer also spenden möchte, sollte dies am besten in der Vorweihnachtszeit tun.
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