Bensheimer Innenstadt

Großer Andrang beim Flohmarkt in Bensheim

Das Angebot von der Rassel bis zum Rollator lockte wieder zahlreiche Menschen auf die Meile rund um den Beauner Platz.

Von 
Thomas Tritsch
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So manches Schnäppchen oder besonderes Stück wartete beim Flohmarkt in der Bensheimer Innenstadt auf eine neue Besitzerin oder einen neuen Besitzer. © Thomas Zelinger

Bensheim. Die römisch-katholische Hospitalkirche St. Joseph ist ein historisch bedeutendes Bauwerk. Charlotte Sartorius hat ihren Stand direkt vor dem Eingang aufgebaut. Mit dabei hat sie zwei Zeichnungen der Kirche aus dem Jahr 1973. Wer sie gezeichnet hat, weiß sie nicht. Auch das Kürzel neben der Jahreszahl konnte bislang niemand zuordnen. Jahrelang hingen die Motive im Treppenhaus ihres Wäschegeschäfts in der Hauptstraße, nur wenige Meter vis-à-vis der Kirche. Jetzt residiert dort eine italienische Vinothek – und die Bilder stehen zum Verkauf.

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„Wäre schön, wenn jemand wüsste, von wem sie stammen“, so die sympathische Besitzerin am Samstag beim städtischen Flohmarkt. Dass sie ihre Ware ausgerechnet hier aufgebaut hat, sei eigentlich purer Zufall. An die räumliche Korrespondenz von Kunst und Kulturdenkmal hatte sie dabei gar nicht gedacht. Zumal die Bilder ja nur zwei Exponate in einem großen Sortiment darstellen. Ob sie die Kirchenporträts verkauft hat, wissen wir nicht. Spaß hatte sie jedenfalls. So wie viele, die ab sechs Uhr in der Früh in der City ihre Stände aufgebaut hatten.

Neuwaren sind auf dem Flohmarkt tabu

Bis 16 Uhr verwandelten sich der Beauner Platz, die Gerbergasse, der Wambolter Hof und der Mohács-Platz am Rinnentor in eine einzige quirlige und gut besuchte Schnäppchenmeile. Das Angebot umfasste wie immer Trödel, Haushaltswaren, Tonträger und Kleidung aller Art. Neuwaren sind tabu. Und die würde in diesem Rahmen auch keiner erwarten. Wer über den Flohmarkt schlendert, der erwartet Rares, Altes oder subjektiv Kostbares – oder wenigstens Skurriles und faszinierend Hässliches, das einen an die Frühphase der eigenen Biografie erinnert. Nur vorsichtig sollte man sein und nicht das ganze Geld zu früh ausgeben.

„Ein halbes Monatsgehalt ist schon weg“, sagt ein mittelalter Mann am Hospitalplatz zu einem jüngeren, der stapelweise Playmobil-Pakete feil bietet. Wie hoch der Ironie-Anteil dieser Aussage war oder wie schmal das Einkommen, blieb unaufgeklärt. Momente wie dieser ereignen sich andauernd. Falsch liegt, wer den Flohmarkt unsympathisch findet. Richtig, wer genau hinhört, sich dem Treiben aus einer humoristischen Perspektive nähert oder wenigstens dessen komische Situationen zu erkennen vermag. „Humor ist eine Haltung, Komik das Resultat einer Handlung“, hatte schon Robert Gernhardt treffend festgestellt, von dem ebenfalls einiges zu finden war. „Lichte Gedichte“ zum Beispiel.

Habseligkeiten bieten Einblick die Biografien der Verkäufer

Ohne die menschlichen Kollisionen vor Bergen von gebrauchten Schlüpfern, mechanischen Schreibmaschinen und behutsam vergilbten Comics (man könnte auch von gebrauchten Heftchen und vergilbten Höschen sprechen) wäre dieses Happening aus biografischem Restmüll und Vergangenheits-Plunder kaum unterhaltsam und lediglich eine inszenierte Umverteilung persönlicher Habseligkeiten. Dieses Wort wurde 2010 vom Deutschen Sprachrat übrigens zum schönsten deutschen Wort gekürt.

Es bezeichne nicht den Besitz oder das Vermögen eines Menschen, wohl aber seine Besitztümer - und es erledige dies mit einem freundlich-mitleidigen Unterton, der den Eigentümer sympathisch und liebenswert erscheinen lässt, hieß damals die Begründung. Damit ist auch die Flohmarkt-Gesellschaft ausreichend und wohlwollend charakterisiert.

Ein regelmäßig teilnehmender Händler vor dem Neumarkt-Center wies auf sein symbolisches Badetuch in Form von Kreidestrichen hin, die zur frühen Markierung der eigenen Freihandelszone gedacht, aber eigentlich untersagt sind. Der Aufbau des Sortiments war erst ab sechs Uhr gestattet, um die Innenstadt vor Tapeziertischgepolter und Pappkartongerutsche frei zu halten. Doch so mancher kam bereits am Vorabend und „machte die Nacht durch“, um das vorübergehend besetzte Terrain durch bloße Anwesenheit demonstrativ zu verteidigen. „Wir haben Fußball geschaut“, kommentierte der Kompagnon fast schon entschuldigend. An der Gerbergasse, so berichtet jemand, habe es aus dem gleichen Grund sogar ein verbales Gerangel gegeben.

Ein nicht unhübscher Ohrensessel mit Staublunge schwitzt in der Sonne, der Parcours durch die Innenstadt ist von speckigen Büchern, originalverpackten Strumpfhosen und Staubsaugern flankiert. Von der Rassel bis zum Rollator reicht das generationenübergreifende Angebot.

Einige fahren mit leichtem Gepäck wieder nach Hause. Andere bleiben auf ihrer Ware sitzen. Und noch ganz andere ordern schweres Gerät: neben einem Stand mit Heavy-Metal-Schallplatten hat einer die Baumarkt-Entsprechung des Musik-Genres dabei: professionelle Schlagbohrmaschinen, Kettensägen und Hochdruckreiniger in allen Größen und Ausführungen.

Im Sortiment eines Button-Dealers liegt Frank Zappa neben einer Ansteckplakette mit der Aufschrift „Kernkraft – Ja bitte!“ Ob diese Nachbarschaft dem Künstler gefallen hätte, der Politik einmal als Unterhaltungsabteilung der Rüstungsindustrie bezeichnet hatte?

Gegen Mittag fallen die Preise

Mit fortschreitender Tageszeit fallen übrigens nicht nur die Hemmungen, sondern auch die Preise. „Milchschäumer Bodum, der vorletzte“, pries ein Paar am Rinnentor, während einige Jugendliche am Beauner Platz vor dem Neumarkt-Center auf Preisangaben komplett verzichteten und statt deren freiwillige Spenden einforderte: „Geben Sie einfach das, was es Ihnen wert ist!“

An einem der lustigsten Stände stand hinter einer Clique aus winzigen Kakteen (je ein Euro) eine Flasche Jack Daniels Whisky, dreiviertelvoll. Auch weitere angebrochene Alkoholika waren vertreten, die offenkundig zur Veräußerung gedacht waren. „Man muss sich auch mal trennen können“, sagt eine Dame und meint damit lediglich Beziehungen materieller Natur.

In der City herrschte eine stundenlange Abschiedsstimmung, die auf gewinnbringende Art gemildert wurde. Der große Freiluft-Flohmarkt im Sommer ist ein regionaler Klassiker, der in diesem Jahr nicht nur wieder von einem Meer an Bananenkisten begleitet wurde, sondern auch von einem veritablen Strandgefühl: der Beachvolleyballplatz vor dem Bürgerhaus reduzierte zwar die Fläche für die Händler, machte die Meile dadurch aber auch etwas angenehmer zu überqueren.

Wo man sich sonst an üppig behängten Kleiderstangen voller Spitzenblusen, Paillettenshirts und Daunenjacken vorbeidrücken musste, beobachtete man nun öffentliche Anproben von Pumps, Hüten und Übergangsjacken in gebotener Distanz.

Nicht mehr im Trend liegt Deko aus Stein, Messing oder Zinn

Die Chance, an lebendige Original-Flöhe zu gelangen, war mit alten Teppichen und Polstermöbeln am größten. Die gute Nachricht: Ein Floh wird maximal eineinhalb Jahre alt, wenn man ihm sein Biotop lässt. Dann schon lieber Platten und Bücher – die Art von biografischem Ballast, die vielleicht am meisten über ihren Besitzer aussagen kann. Ein Mann hatte zahllose Back- und Kochbücher dabei. Darunter ein Kokosbuch und ein Werk über Trennkost. Ob es da wohl Schnittmengen gibt? Knallhart zugestanden werden muss, dass Wohn-Accessoires aus Ton, Steingut, Messing oder Zinn mehr als out sind. Das Paar vor dem Bürgerhaus, das Figürchen, Tellern und kleinen Vasen aus solchen Materialien vor sich hatte, genoss viel Zeit zum ungestörten Zwiegespräch.

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Veröffentlicht
Von
Christa Flasche
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Und die Schuber mit hunderten medizinischer Hautpflegepröbchen eines namhaften Herstellers waren sicherlich von einem Laster gefallen. Oder die Schwester, eine Apothekerin, hat ihre Hausapotheke aufgelöst. Zu den Perlen des Bensheimer Flohmarkts gehörte ein Dynacord Mischpult MC 16/2. Ein Vintage-Klassiker, für den Insider gerne mal 500 Euro berappen. Gute alte Technik, die im prallen Sonnenlicht geparkt wurde und sehnsuchtsvoll auf den Heimweg wartete.

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