Bensheim. Die Bensemer Frauen sind Kummer gewöhnt – als junge Muddis kreisen sie in Helikoptermanier über dem Nachwuchs („Verkauf die Kinder bei Etsy, du hast sie ja selbst gemacht“), im Diät-Wahn schrammen sie gerade noch so an der Abnehmspritze vorbei („Eine Darmgrippe vom Wunschgewicht entfernt“), zur Lösung des Marktplatz-Dilemmas suchen sie verzweifelt den viel beschriebenen Bensheimer Weg („Ist wohl eine Sackgasse in der Weststadt“) bevor es dann ganz hart kommt: „Ich bin nirgends sicher, er verfolgt mich auf Schritt und Tritt“, klagt Büttenrednerin Ulrike Meyer bei der Bensheimer Frauenfastnacht und löst unter dem begeisterten Jubel des närrischen Publikums das Rätsel um ihren schweren Schicksalsschlag auf: „Seit vier Monaten ist mein Mann in Rente.“
Feuerwerk der guten Laune bei der Fastnacht der Frauen
Es war eine Premierensitzung der besonderen Art, die Aktiven der Frauenfastnacht zündeten am Samstagabend im Kolpinghaus ein vierstündiges Feuerwerk der guten Laune, mit viel Lokalkolorit, süffisanten Seitenhieben auf dümmliches Macho-Gehabe, mit feinem Humor und schwungvollen Tanzeinlagen.
Das fantasievoll kostümierte Publikum im ausverkauften Haus war begeistert, die (männliche) Putzfrauen-Brigade hielt es nicht lange auf den Sitzen, bei den Schwarzwaldmädels bebten die roten Bollen auf dem Trachtenhut, die Schunkelrunden wurden engagiert angenommen. Mehrfaches und lautstarkes „Eijo“ belohnte die Aktiven.
Nachdem die Präsidentinnen Angela Schmidt und Astrid Dochtermann das Publikum mit einem fastnachtlichen Knigge-Benimm-Test geprüft und für gut befunden hatten, nahm das Bensemer Narrenschiff zügig an Fahrt auf.
Als kleine Meerjungfrauen übernahmen die Tänzerinnen des Kindershowballetts in grün-lila Glitzerkostümen mit einer wunderschönen Choreographie von Trainerin Sabine Grimm den Auftakt des Programms, bevor Johanna Förg, Martina Pongratz und Margit Cattarius als „Dreigestirn“ die Zuschauer mit auf eine Zeitreise ins Gestern, Heute und Morgen nahmen.
„Früher hat Bensem schöner ausgesehen“, so das Fazit, da habe es noch sieben Metzger gegeben und auf dem Marktplatz habe man parken können. „Heute wird sich dumm und dämlich diskutiert, und es passiert nix“, beklagte Johanna Förg. Den Wegfall von Windelcontainer und öffentlichen Toiletten sah das Trio ebenfalls als Fehlentscheidung, die zum Himmel stinkt: „Hier wird am falschen Ende gespart“. Ihre eigene Sichtweise hatten die Büttenrednerinnen auf das Graffiti zum Urban Gardening am Parktheater: „Wir sind mal gespannt, wie der Streit um die Cannabis-Ernte ausfällt.“
Vorglühen vor dem Elternabend
Sportlich rasant mit Spagat und akrobatischen Radschlägen eroberte die Jugendgarde die Bühne, bevor Dunja Kuttig als Engel in der Bütt ein Lied von der männlichen Ignoranz zu singen wusste: Haar- und Augenfarbe der vermissten Gattin konnte der Ehemann nicht beschreiben, dafür wusste er ganz genau, mit welchem Fahrzeug seine Holde unterwegs war: „204 PS, Achtzylinder, 250 Spitze, Alufelgen im Kreuzspeichendesign, Alcantara-Sitze.“
Als junge Muttis berichteten Simone Planicka und Mona Ramsauer aus ihrem Leben mit Karl-Theodor und Madita und trafen mit ihren spitzfindigen Giftpfeilen ins Schwarze. Das schlagfertige Duo begeisterte mit einer kräftigen Dosis Bensheimer Frauenhumor, das Publikum zündete eine Rakete nach der anderen.
Der ungeliebte Elternabend als „immer wiederkehrende Strafe für ungeschützten Sex“ schien bei vielen Zuschauern bestens bekannt, auch der Tipp „Trefft euch zum Vorglühen oder schickt euren Mann. Ich die Geburt, er den Elternabend“ stieß auf breite Zustimmung. Dass das Thema Männer beim kunterbunten Damenkränzchen eine wichtige Rolle spielen würde, war klar. Aber so nett verpackt, konnten auch die Herren der Schöpfung herzlich drüber lachen: „Wie konnten Männer nur ganze Kontinente entdecken, meiner findet nicht mal die Butter im Kühlschrank.“
Dass die Bensheimer Frauenfastnacht nicht unter Nachwuchsmangel leidet, zeigte sich auch an den vielen flotten Ballett- und Gardemädchen, das Gardeballett sorgte mit einem sportlichen Auftritt (Choreographie Maike Meyer) für Begeisterung. Beim „Muddi-Dance“ staunte das Publikum über geheimnisvoll verhüllte Tänzerinnen, die in der anspruchsvollen Choreographie von Sabine Schneider für Aufsehen sorgten.
Kurz vor der Pause wiederum plauderten Astrid Dochtermann und Diana Mayer im Kolpinghaus über ihre Erfahrungen mit Diäten und hatten so ihre eigene Sicht auf die nackten Tatsachen: „Ich bin nicht dick, ich bin so sexy, dass es überquillt.“
Das Duo fand Gefallen an Rumkugeln als Notfall-Globuli und der sogenannten „Flüssig-Diät“, bei der es nach vier Gläsern auch egal sei, wie man aussehe. Und außerdem müsse man das Thema bei den aktuellen Lebensmittelpreisen ja sowieso ganz anders betrachten: „Diäten sind total yesterday, bei den aktuellen Preisen ist Essen eine Investition in die Zukunft.“
Nach der wohlverdienten Pause ging es Schlag auf Schlag weiter mit dem unterhaltsamen närrischen Programm. Einer der Höhepunkte sicherlich der Auftritt von Ulrike Meyer, die sich plötzlich einem neuen Lebensabschnitt gegenüber sieht: Der Ehemann ist in Rente, die Gattin ziemlich erschüttert. Er geht morgens nicht mehr aus dem Haus, mischt sich in den Tagesablauf und die gewohnte Routine ein und stellt damit ihre Nerven auf eine harte Probe: „Ist der Mann in Rente, ist das Frauenglück zu Ende“, lautet das Fazit der Büttenrednerin, in das das Publikum begeistert mit einstimmt.
Da helfen nur Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie Tupperdosen sortieren oder ein Besuch im Ikea-Bällebad für Rentner, natürlich mit Bierdosen. Andernfalls sei es an der Zeit, „den Messerblock in Sicherheit zu bringen“, schildert Ulrike Meyer ihre verzweifelte Situation. Tosender Applaus ist die Belohnung für ihre tolle Darbietung.
Freches von den Prosecco-Lerchen
Bühne frei für die Elite der internationalen Miss-Wahlen unter Leitung der „Miss Töne“: Die Gesangsgruppe der Prosecco-Lerchen ist fester Bestandteil der Bensheimer Frauenfastnacht und sorgte mit frechen Texten zu aktuellen Hits für Hochstimmung im bunt geschmückten Saal. Auf der Suche nach einem echten Helden hatte „Miss Basinus“ den perfekten Mann mit breitem Kreuz und knappen Höschen gefunden: „Nimm lieber einen Schwimmer – der ist nett, adrett und gut im Bett.“
Ein echt schweres Los hatte die „Miss Marktplatz“, die auf der Suche nach dem schönsten Platz der Region doch tatsächlich in der südlichen Vorstadt – sprich Heppenheim – gelandet war. Für das Bensheimer Stadtzentrum fielen ihr nach langem Nachdenken nur ein Aquarium oder eine Zip-Line zur Aufwertung ein – schade eigentlich.
Die „Miss Deutsche Bahn“ kam sinnigerweise zu spät zu ihrem Auftritt und wunderte sich anschließend über den verschwundenen Radweg in der Heidelberger Straße. „Ja wo sind denn die Öko-Freaks in der Stadtverwaltung“, sinnierte sie singend. Selbstironisch und augenzwinkernd blickte die „Miss 50 plus“ auf ein Schönheitsideal, für das sie hart arbeiten müsse: „Was einmal war, ist verpufft und zählt nicht mehr.“
Die niedlichen Tanzmäuse entführten im Affenkostüm die Zuschauer in den Dschungel und kamen nicht ohne eine Zugabe von der Bühne, auch das Showballett hatte mit einer Vampir-Gossip-Choreographie den Geschmack der Zuschauer getroffen, die Dracula-Monsterparty lud zum Mitklatschen und -schunkeln ein. Kompliment für diese tollen Auftritte.
Man kennt sie und man liebt sie: Die „ziemlich besten Freundinnen“ der Frauenfastnacht, die sich bei aller Sympathie stets einen heftigen Schlagabtausch liefern: Olga und Mariechen alias Anja Pohl und Angela Schmidt sind Kult. Die eine im exzentrischen Zebra-Outfit mit Diva-Attitüde, die andere im Kittelschürzen-Schlabber-Look.
Ein flottes Mundwerk haben beide – und am schauspielerischen Talent mangelt es ebenfalls nicht. In diesem Jahr war das Duo mit dem praktischen Rollator angereist, in Zeiten von Bahnstreik immerhin schneller als mit dem ICE. Dass Mariechen jetzt den Busführerschein macht, erstaunte nicht nur ihre kongeniale Partnerin. Die Auflösung: Die Polizei habe ihr nach einer Verkehrskontrolle gesagt, dass sie in ihrem Alter jetzt Bus fahren müsse.
Auch beim Ausflug des Altenclubs kommen die Rollatoren zum Einsatz, die fünf Mitreisenden ohne Gefährt bleiben leider auf der Strecke. Der muntere Schlagabtausch endet mit dem Besuch im Hochseilgarten, bei dem einige Senioren nach ihrem Absturz in den Seilen hängen bleiben: „Das älteste Mobile Bensheims“. Olga und Mariechen treffen mal wieder wunderbar ins Schwarze, das Publikum liebt die beiden dollen Ollen mit dem köstlichen Witz und staubtrockenen Dialogen.
Die Sitzungspräsidentinnen Angela Schmidt und Astrid Dochtermann holten kurz vor Mitternacht alle Aktiven zum Finale auf die Bühne des Kolpinghauses, das närrische Publikum bedankte sich für eine Premiere vom Feinsten mit stehenden Ovationen.
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