Kultur

Jörg Pohl bekommt in Bensheim den Eysoldt-Preis

Die Hand mit dem Ring zur Faust geballt wie nach einem siegreichen Kampf: In Bensheim hat der Schauspieler Jörg Pohl am Samstagabend den Gertrud-Eysoldt-Ring 2023 entgegengenommen.

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Thomas Tritsch
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Bensheim. Die Hand mit dem Ring zur Faust geballt wie nach einem siegreichen Kampf: In Bensheim hat der Schauspieler Jörg Pohl am Samstagabend den Gertrud-Eysoldt-Ring 2023 entgegengenommen. Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, bestehend aus Karin Henkel, André Jung und Jossi Wieler, würdigte Pohl für sein herausragendes Spiel in „Molière – der eingebildete Tote“ am Theater Basel in der Inszenierung von Antú Romero Nunes.

Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als einer der bedeutendsten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum und wird seit 1986 von der Stadt Bensheim und der Akademie vergeben.

In Basel ist Pohl, geboren 1979 in Essen, in einer Doppelrolle zu sehen. Er spielt Molière, der wiederum die Figur Argan in dessen eigenem Stück „Der eingebildete Kranke“ darstellt. Die chilenische Autorin Nona Fernández hat der Basler Compagnie ein Stück geschrieben, das von den Archetypen aus Molières Leben und Komödien ausgeht.

Laudatio mit Punksong auf der Ukulele

Die Jury lobte Pohls „Theaterbesessenheit, die alle ästhetischen und moralischen Grenzen sprengt“. Er verausgabe sich lustvoll und mit vollem Körpereinsatz bis zur Erschöpfung in einer Inszenierung, die auch die Fragilität und Vergänglichkeit des Theaters beleuchte und damit auch zu einer „berührenden Selbstreflexion über den Beruf des Schauspielers“ wird. Seine Theaterkunst sei mutig, leidenschaftlich und immer existenziell.

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In ihrer launigen Laudatio haben Gala Othero Winter und Sven Schelker, die ebenfalls zur Besetzung der Basler Inszenierung zählen, ihren Bühnenkollegen als Künstler mit immenser Hingabe und als glänzenden Ensemblespieler gewürdigt. Im diesmal nicht komplett besetzten Parktheater boten sie ein viel beklatschtes Doppel und eine unkonventionelle Lobeshymne, die mit einem fragmentarischen Song zur Ukulele endete: Der rotzige Refrain aus „Stand der Dinge“ von der ehemaligen Hamburger Punkband „Kommando Sonne-nmilch“ (ja, mit Bindestrich): „Sind kaum da, schlecht gelaunt, kleine Bande unbenannt. Und wir scheißen auf die Szene, und wir scheißen auf den Stand der Dinge“, heißt es darin. Bei dieser musikalischen Szene blieb sogar dem Ringträger kurz die Spucke weg.

Kunst und Kultur mit hohem Wert für Gesellschaft

In seiner langen Dankesrede betonte Jörg Pohl den Stellenwert und die Autonomie von Kunst in finsteren Zeiten: „Die Kunst, wie ich sie meine und betrieben sehen will, ist eine der letzten Bastionen der Freiheit!“ Es gehe darum, die Autonomie der Kunst am Leben zu erhalten und sie als wertvolle Institution gegenüber den wilden Mechanismen des freien, von ökonomischen Trieben gesteuerten Marktes tapfer zu verteidigen. „Künstlerische Zweckfreiheit, heiliger Quatsch und lustvolle Verschwendung“ seien gegenüber der Politik und ihrer Macht über staatliche Subventionen bisweilen aber schwer vermittelbar. Dennoch müsse die Kunst „als Vorschein einer anderen, besseren Welt“ ihre Souveränität bewahren, so Pohl, der in Bensheim auch seine Basler Compagnie lobte, die er als wunderbare Fortsetzung des Ensemblegedankens bezeichnete.

Im Parktheater, wo der Preisträger auch an den jüngst verstorbenen Theaterregisseur René Pollesch (zuletzt Intendant der Berliner Volksbühne) erinnerte, ginge auch Bürgermeisterin Christine Klein auf den Wert von Kunst und Kultur für die Gesellschaft und das demokratische Staatswesen ein. Gerade in schwierigen Zeiten sei beides von unschätzbarem Wert, so Klein: „Kunst und Kultur bauen Brücken, überwinden Grenzen, liefern Inspiration und Toleranz.“

Auch die Freiheit des Theaters sei gefährdet

Ein lebendiges Kulturleben sei eine wirksame Arznei gegen Engstirnigkeit und Intoleranz sowie Rechtsextremismus und Antisemitismus. Kulturgenuss schüre die Selbstreflexion und habe soziale und pädagogische Funktionen, auf die eine Gesellschaft nicht ohne massive Verluste verzichten könne. „Theater ist politisch!“

Auch Hans-Jürgen Drescher betonte, dass großes Theater immer auch große Politik bedeute. Die Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings würdige die Leistung von Schauspielerinnen und Schauspielern, stehe aber auch symbolisch für den Geist eines freien Gemeinwesens und damit für die Freiheit von Kunst und Kultur an sich. „Die Zeit ist aus den Fugen“, zitierte der Akademie-Präsident – wie ein Jahr zuvor auf gleicher Bühne – aus „Hamlet“.

Kurt-Hübner-Regiepreis für Wilke Weermann



Der mit 5000 Euro dotierte Kurt-Hübner-Regiepreis ging in diesem Jahr an Wilke Weermann für seine Inszenierung „Unheim“, die er im Auftrag des Schauspiels Frankfurt in der Saison 2022/23 auf die Bühne gebracht hat. „Eine virtuelle Spukgeschichte in fiktionaler, aber naher Zukunft“, so Jurorin Rita Thiele in ihrer Laudatio.

Die frühere Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg sprach von einer schrecklich-schönen Dystopie und über die Gefahren der Digitalisierung. Der Regisseur spiele virtuos mit den Mitteln des analogen Mediums und zeige einen wilden Genremix, der mit zweidimensionaler Comic- oder Computerspiel-Ästhetik sowie markanten Charakteren begeistert. „Unheim“ ist eine Liebeserklärung an das Theater. Der Regisseur stellt die Frage, was verloren geht in einer Welt, in der alles vermeintlich besser wird. Weermann habe „mit viel Spiellust am Detail gearbeitet“.

Der 31-Jährige gilt momentan als eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Theaterlandschaft. 2021 wurde er mit seinem Stück „Hypnos“ zum Wettbewerb beim Heidelberger Stückemarkt eingeladen. Im gleichen Jahr erhielt er ein Stipendium am Institut für Digitaldramatik des Nationaltheaters Mannheim.

„Unheim“ steht derzeit noch auf dem Frankfurter Spielplan. „Ich arbeite daran, dass es eine dritte Spielzeit geben wird“, so der Preisträger im Parktheater.

Der Kurt-Hübner-Regiepreis wird als Förderpreis für junge Regisseure seit 1991 jährlich anlässlich der Vergabe des Gertrud-Eysoldt-Rings vergeben. tr

Sein Satz bezog sich nicht auf das ungemütliche Elisabethanische Zeitalter Shakespeares, sondern auf multiple Krisen im Aus- und Inland. Es gebe verfassungsfeindliche Kräfte, die Deutschland und seine Freiheit bedrohen, so Drescher. Damit sei auch die Freiheit des Theaters gefährdet, dessen Aufgabe es sei, die Entwicklung der Welt und der gesellschaftlichen Zustände zu spiegeln und den Menschen eine bessere Alternative anzubieten.

Eysoldt-Ring steht für den Geist eines freien Gemeinwesens

Drescher warnte vor der kommunikativen Manipulation als durchschaubare Strategie der Neuen Rechten, die eine sprachliche Deutungshoheit anstrebe. Wer es schaffe, sich in diesem „semantischen Kampf“ durchzusetzen, der präge die gedankliche Perspektive entscheidend mit. Das Theater müsse diesen Kampf aufnehmen und dazu beitragen, rechte Ideologien – auch verbal getarnte – zu entlarven und falsche Narrative durch Gegenerzählungen bloß zu stellen. Das ureigene Spiel der Fiktionen schärfe die Wahrnehmung und sei somit der natürliche Feind von Lüge und Täuschung.

In den Biografien des Regisseurs und Intendanten Max Reinhardt und „seiner“ Schauspielerin Gertrud Eysoldt lasse sich beispielhaft ablesen, was passiert, wenn Faschismus und Diktatur die Macht gewinnen, so Drescher in Bensheim. Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten soll Reinhardt noch am Abend des Reichstagsbrands das Land verlassen haben. Fortan stand die Eysoldt nur noch selten auf der Theaterbühne. Sie starb 1955. Durch den Ring lebt sie weiter.

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Der Theaterpreis geht auf ein Vermächtnis des Journalisten und Theaterkritikers Wilhelm Ringelband zurück, der von 1944 bis zu seinem Tod 1981 in Bensheim-Auerbach gelebt und in seinem Testament einen Schauspielerpreis mit dem Namen seiner Lieblingskünstlerin verfügt hat. „Der Eysoldt-Ring steht auch für den Geist eines freien Gemeinwesens“, so der Dramaturg und Professor Hans-Jürgen Drescher, seit 2016 Nachfolger von Hermann Beil, der am Samstag ebenfalls in Bensheim dabei war.

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