Parktheater

Ein unkonventioneller Bühnen-Orkan

Einfallsreiche Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ begeistert auch junges Bensheimer Publikum

Von 
Thomas Tritsch
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Mit nur drei Schauspielern brachte das Neue Globe Theater aus Potsdam Shakespeares „Sturm“ auf die Bühne des Parktheaters. © Thomas Neu

Bensheim. Wenn der Zauber vorüber ist und die imaginären Bühnen-Welten „zu dünner Luft“ zerfließen, dann kehrt der Zuschauer von einer abgeschiedenen Trauminsel zurück, in der sich die Welt komprimiert und das Leben in seiner Essenz offenbart: Macht und Ohnmacht, Liebe und Hass, Rache und Vergebung.

„Wir sind aus solchem Stoff, aus dem man Träume macht, und unser kleines Leben beginnt und schließt ein Schlaf“, lässt Shakespeare seinen Prospero am Ende sagen – dieses zauberhaft vergeistigte Alter-Ego, mit dem er ein Bild seiner selbst entwirft und drei Jahre vor seinem Tod einen heiter-melancholischen Abschied von der Bühne inszeniert hatte.

In seinem Vermächtnis „Der Sturm“ hat er noch einmal seine ganze Magie und dramatische Schöpferkraft ausgespielt in einem Gedankenversuch, bei dem kein Gott, sondern ein Intellektueller über die Erde herrscht, der seine Dominanz über die wilde Natur und den dekadenten Menschenadel allein aus seinen Büchern bezieht.

Reiner Geist regiert über all die politischen Gangster und Thronräuber, die allein der Nachsicht und Vernunft des weisen Zauberers ihr Leben verdanken. Ihre Lektion haben sie gelernt – in einer Inselszenerie, die aus heutiger Perspektive fast wie ein wissenschaftliches Experiment anmutet, bei dem die Reaktion humaner Prototypen in existenzieller Lage auf isoliertem Terrain ausprobiert wird.

Intrigen, Liebe, Illusionen

Das Publikum im recht gut besuchten Parktheater durfte träumen, und zwar reichlich. Mit lediglich drei Darstellern gelingt es dem Neuen Globe Theater aus Potsdam, den kompletten Mikrokosmos von Shakespeares Vermächtnis auf die Bühne zu bringen: Intrigen, Liebe, Philosophie und Illusionen, aber natürlich auch Hochmut und Läuterung und den ewigen Kampf zwischen Engeln und Dämonen innerhalb einer utopischen, apokalyptischen Vision. Der „Sturm“ ist ein reinigender Regen mit Happy End, bei dem der Sieger sich in lächelnder Demut übt.

In Bensheim hatte das Ensemble bereits im letzten Jahr mit „Don Quijote“ gezeigt, wie man mit sparsamen Mitteln Weltliteratur inszeniert. Auch diesmal gelang es Regisseur Kai Frederic Schrickel, mit minimalistischer Besetzung vor Werkstattkulisse ein großes Schauspiel zu entfachen.

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Grundlage ist die Fassung von Joachim Lux, ein Dreipersonenstück, in dessen Handlung Prospero, der Hexensohn Caliban und der Windgeist Ariel den Plot als Spiel im Spiel erzählen. Unter der Regie von Barbara Frey – wiederholt Juryvorsitzende des Gertrud-Eysoldt-Rings in Bensheim – entwickelte sich das Stück damals an der Wiener Burg (Akademietheater) zu einem zehnjährigen Kassenschlager.

In dieser kunstvoll komprimierten Version übernehmen die Globe-Schauspieler auch die Rollen der herzoglichen Tochter Miranda sowie der gestrandeten Schiffsmannschaft mit Königen und Prinzen, betrunkenen Kellermeistern und Matrosen.

Der Figurenwechsel gelingt süffig und rasant, augenzwinkernd komisch und requisitenreich direkt vor den Augen des Publikums. Marius Mik verwandelt sich von Caliban (halb Mensch, halb Fisch) mit Glitzerkleid in die sanfte Miranda. Und Laurenz Wiegand rollt als freiheitsliebender Ariel über die Bühne, bevor er sich zum Prinzgemahl mit glitzernder Uniformjacke oder zur fleischgewordenen Harpyie häutet.

Überbordendes Spiel

Das leidenschaftliche, überbordende Spiel wird von Andreas Erfurth als Prospero angeführt und im besten Sinne angestachelt. Einst Herzog von Mailand, wurde der Feingeist von seinem Bruder Antonio verraten und auf dem Meer ausgesetzt. Der Proviant: Bücher, die kostbarer sind als alle irdischen Besitztümer und politischen Herrschaftsreiche.

Prospero, der „Glückliche“, unterjocht sich Ariel und Cailban, die ihm aus der Hand fressen und servil seine Pläne ausführen. So auch den Sturm, den Ariel auf der Bühne mit Nebelmaschine und Gießkännchen entfacht und der Prosperos Feinde kentern lässt und an die Insel schwemmt.

Fortan sind alle seinem Einfluss ausgesetzt, der Inselkönig wird über die Erzählungen der Diener nicht nur zum Regisseur seiner eigenen Vergangenheit, sondern lenkt durch seine Macht auch die Ereignisse auf dem Eiland, auf dem sich bald alle an die Gurgel – oder an die Wäsche wollen. Mit Ariels Hilfe vereitelt er die Pläne derer, die ihn ermorden wollen.

Traum und Wahn, nüchternes Kalkül und rauschhafte Fantasien vereinen sich, und am Ende darf Königssohn Ferdinand – nach einigen Prüfungen – mit Erlaubnis des Schwiegervaters in spe sogar die schöne Miranda ehelichen. Durch Zauberei finden die Menschen letztlich zu sich selbst, aus Magie entstehen Gnade und Güte statt Vergeltung. „Edler als die Rache ist die Tugend.“ Der Humanismus triumphiert über das wilde Biest im Menschen.

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Als kreativer Gestalter und Richter einer visionären Märchenwelt zieht sich Prospero auf dem Höhepunkt seines Erfolgs zurück, legt den Zauberstab beiseite und verzichtet auf die Macht. Wie bei Shakespeare, der hier ein letztes Mal gezaubert hat – zwei Jahre später brannte das Globe-Theatre ab.

Prosperos finaler Akt ist Noblesse und Glorie in Vollendung, und nach all den wilden Szenen, der vielen Lieder (Musik von Rüdiger Krause) und der klamaukigen Momente dieser eindrucksvollen Bühnencollage wird Andreas Erfurth am Ende dann doch ganz leise und lyrisch, wenn er über die Vergänglichkeit philosophiert und dabei auch stumm über Kolonialismus und Unterdrückung, Natur und Zivilisation sowie von den Grundlagen gerechter Herrschaft und edler Selbstdisziplin spricht.

In diesem Moment wird einmal mehr deutlich, wie souverän, locker und unbemüht die Inszenierung mit Kontrasten und Stimmungen spielt und dem Publikum frische Perspektiven auf einen klassischen Stoff anbietet. Gerade für junge Zuschauer, die am Dienstagabend zahlreich präsent waren, dürfte dieser kurzweilige und unkonventionelle Bühnenorkan die Tür zum Theater ein Stück weit aufgestoßen respektive noch weiter geöffnet haben. Stürmischer Applaus im Parktheater.

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