Bensheim. Am 18. März jährt sich eines der übelsten Kapitel der Bensheimer Stadtgeschichte: Am 18. März 1933, also wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933, wurde der führende Kopf der Bensheimer Sozialdemokraten, der Oberregierungsrat Franz Josef Roß IV., verhaftet und in einer Art Prozession verhöhnend in einem offenen Pritschenwagen durch die Stadt gefahren und der „Bevölkerung zur Schau gestellt“.
Was war der Hintergrund? Franz Josef Roß hatte sich aus einfachsten Verhältnissen zur führenden Persönlichkeit der Bensheimer Sozialdemokraten entwickelt. Bereits 1903 gehörte der damals 22-jährige Roß zu den Mitbegründern der SPD-Ortsgruppe Bensheim. 1919 wurde der selbstständige Tünchermeister Mitglied des Hessischen Landtages, dem er bis 1931 angehörte.
Ab 1929 arbeitete er als Regierungsrat in Darmstadt. In Bensheim war er lange Stadtverordneter (1912 bis 1933) und später Stadtrat (1945 bis 1949). Er war einer der Initiatoren des Baus des Volkshauses, das 1929 eingeweiht und 1933 von den Nazis besetzt und verwüstet wurde. Bekannt war er auch als Musiker und Dirigent des Arbeitermusikvereines.
Von den Nazis wurde Roß zu einem der „Hauptfeinde“ erklärt. Immer wieder versuchten sie ihn zu diffamieren. Als dann am 7. März 1933 viele namhafte Gegner der Nazis in „Schutzhaft“ genommen wurden, konnte sich Roß dieser Verhaftung noch entziehen. Durch die ständige Verfolgung erlitt er jedoch einen Zusammenbruch und kam ins Krankenhaus nach Darmstadt.
Dort hatte er als Regierungsrat auch ein Zimmer gemietet Wohnung. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde er in seinem Darmstädter Zimmer in Anwesenheit seiner Frau von Uniformierten der NSDAP verhaftet und nach Bensheim gebracht.
In Bensheim wurde er gemeinsam mit Franz Johann Fertig in einem Spott- und Schmähumzug durch die Straßen gefahren und zur Polizeistation in der Faktorei gebracht. Beiden wurden öffentlich Kahlköpfe geschoren. Augenzeugen von damals berichten (aus Mitteilungen des Museumsvereines Bensheim, Nr. 69, 2014):
Schmähzug durch die Innenstadt
„Dem Schmähzug voraus fuhr eine Drückkarre mit einem Speiskübel (Roß war gelernter Weißbinder). In einem offenen Pritschenwagen saß Roß auf einem Brett, das sie über die Seitenwände gelegt hatten. So fuhren sie ihn durch die Straßen, die Bahnhofstraße hoch, am Marktplatz vorbei und dann zur Polizeistation in der Faktorei.
Am Platz dort hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Die Leute standen bis zur Mittelbrücke, bis zur Schuhgasse und in der Claesse-Hall. Es gab ein Spottlied auf Franz Ross, dessen Text jeder wußte, zu einer Melodie, die jeder kannte. Die SA-Kapelle hatte sich neben der Tür aufgestellt, spielte immer wieder eine Melodie und viele sangen kräftig mit: Es war einmal ein Musikus, der spielte auf zum Tanz, dann wurde er Regierungsrat, das war der Rosse-Franzl.“
Drei Monate im KZ Dachau
Während der Schaustellung fielen aus der Bevölkerung Worte wie „Schlagt ihn tot“. Nach seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ einen Tag später musste er sich täglich zweimal bei der Polizei melden und verlor jedes Einkommen.
1944 wurde Roß noch einmal verhaftet und kam für drei Monate in das KZ Dachau. Nach dem Krieg wurde er in Bensheim rehabilitiert, übernahm die Leitung des Arbeitsamtes für den Bezirk Darmstadt, war Stadtverordneter und Ortsgerichtsvorsteher. Er starb im April 1949, bekam viele öffentliche Würdigungen.
Die Diffamierungskampagne gegen ihn in Bensheim war eines der dunkelsten Kapitel der Bensheimer Stadtgeschichte.
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