Bensheim. Im Jahr 2024 lag die globale Durchschnittstemperatur erstmals zwölf Monate lang über 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – höchste Zeit zu handeln und nach wissensbasierten Lösungen für die Defossilisierung der Energieversorgung zu suchen, sagt Professor Dr. Andreas Dreizler von der TU Darmstadt. Seit rund vier Jahren forscht der Naturwissenschaftler an der Technischen Hochschule Darmstadt im Rahmen des vom Land Hessen geförderten Projekts „Clean Circles“ an der Möglichkeit, Energie chemisch zu speichern.
Professor Dreizler ist der Schulgemeinschaft als Vater von ehemaligen Schülern verbunden. In der Reihe der „Diwan-Gespräche“ am Goethe-Gymnasium gab er am Dienstagabend einen Überblick über die Möglichkeiten, die hohe Energiedichte von Eisen zur Speicherung von elektrischer Energie zu nutzen.
Um die Freisetzung von CO2 zu vermindern, würden international ganz unterschiedliche Ansätze verfolgt, neben dem Ausbau der Atomenergie, dem Abscheiden und Lagern von CO2 oder der Nutzung von Fusionsenergie sei vor allem die Nutzung von Wind und Photovoltaik eine Option. Um die erzeugte Energie aber jederzeit verfügbar zu machen, müsse sie gespeichert werden – und sowohl zeitlich als auch räumlich von der Erzeugung entkoppelt werden.
Wasserstoff als kohlenstofffreier Energieträger stehe dabei derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. Relativ neu in der Diskussion seien hingegen chemische Energiespeicher wie Aluminium oder Eisen, die unter anderem auch in Hinblick auf Lagerdauer und -kapazität vorteilhaft seien. Eisenstaub verbrennt unter Freisetzung von viel Energie, was etwa bei Feuerwerkskörpern genutzt wird. Während die Entwicklung der Wasserstofftechnologie noch viele Jahre dauern werde, schilderte Professor Dreizler das enorme Potenzial von Eisen für die Speicherung und den Transport großer Mengen an erneuerbarer Energie als relativ kurzfristig umsetzbare Technik. Nach einer Testphase soll ein stillgelegter Berliner Energieerzeuger als Pilotprojekt dienen und zeigen, dass thermische Kraftwerke, die bisher mit Kohle betrieben wurden, für den Betrieb mit Eisenstäuben umgerüstet und in einem Energie-Stoff-Kreislauf genutzt werden können.
Politischen Bedingungen und die hochgradige Abhängigkeit von Fördergeldern
Denn bei der Idee, Eisen als Energiespeicher einzusetzen, spielt auch das Ziel eines geschlossenen Kreislaufs eine Rolle: Bei der Einspeicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen wird zunächst Eisenoxid unter Energieaufwand reduziert. Örtlich und zeitlich davon getrennt wird der gewonnene Stoff dann - ohne jegliche CO2-Emissionen - oxidiert. Die so freigesetzte Energie dient dann der Stromerzeugung und das Eisenoxid kann durch Reduktion erneut als Energiespeicher genutzt werden, ohne nennenswerten Materialverlust.
Ein wichtiges Thema in diesem Modell ist allerdings der Transport: Die Forscher haben bei ihrem Kreislauf-Modell vor allem wind- und sonnenreiche Standorte außerhalb Deutschlands im Blick, etwa Australien: Regenerativ erzeugte elektrische Energie könnte dort kostengünstig produziert, in das gut verfügbare und damit ebenfalls preiswerte Eisen eingespeichert und dann nach Deutschland transportiert werden.
Um der Klimaerwärmung noch wirkungsvoll entgegentreten zu können, forderte Dreizler eine zur Grundlagenforschung parallele Anwendungsforschung und die Integration sozioökonomischer Aspekte in die Forschung, die den Blick auch auf die Auswirkungen auf den Einzelnen richte. „Die Förderung von PV-Anlagen auf Eigenheimen zum Beispiel ist hochgradig ungerecht“, sagte Dreizler und forderte in seinem Schlusswort Rahmenbedingungen, die Resilienz, Ökologie und Wirtschaftlichkeit vereinbar machen.
Dem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion, in der auch die politischen Bedingungen und die hochgradige Abhängigkeit von Fördergeldern zum Thema wurden. Wer nicht in die von populären Annahmen bestimmten Förderpläne passe, habe es schwer, sagte Dreizler. Während „Clean Circles“ auf Bundesebene kein Gehör gefunden habe, habe jedoch Hessen die Förderung beschlossen, die allerdings in zwei Monaten auslaufe. Obwohl die Zeit dränge, sei auch zu erwarten, dass die anstehende Bundestagswahl sich für mindestens sechs Monate bremsend auswirken werde.
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