Bensheim. Man kann selbstredend darüber diskutieren, ob man in diesen Zeiten ausgelassen neun Tage ein weinseliges Fest feiern sollte. Die Pandemie nervt nach wie vor, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt seit einem halben Jahr – und die Preise kennen nur eine Richtung.
Thomas Herborn weiß um all diese Themen. Der geschäftsführende Vorsitzende des Verkehrsvereins ist sich aber sicher: „Es ist wichtig, dass wir jetzt unser Winzerfest feiern. Es ist eine Traditionsveranstaltung, die die Menschen zusammenbringt.“ Im Sitzungssaal des Rathauses stellte er am Donnerstagnachmittag mit seinen Vorstandskollegen das Programm der 84. Auflage vor. Vom 3. bis 11. September bekommen die Besucher die guten alten Klassiker geboten. Lediglich das Brillant-Feuerwerk fällt – wie berichtet – ins Wasser. Einerseits, weil es wegen der Trockenheit nicht zu verantworten wäre. Andererseits, weil auf kommunalpolitischen Druck zurzeit geprüft wird, ob es noch zeitgemäß ist.
Am Grundkonzept nicht gerüttelt
Ansonsten habe man am Grundkonzept nicht gerüttelt. Warum auch? Das größte Weinfest in Südhessen ist seit Jahrzehnten ein Selbstläufer. Was jedoch nicht heißt, dass in der Vorbereitung und Organisation alles von selbst läuft. Das zeigt sich am Herzstück, dem Winzerdorf auf dem Marktplatz. „Das hat uns Nerven und Zeit gekostet“, so Herborn. Und Geld, denn für den Aufbau der Zeltstadt muss der Verein deutlich tiefer in die Tasche greifen.
Die Auswirkungen von Pandemie und Krieg nennt der erfahrene Winzerfest-Chef als Hauptgründe. Die seit vielen Jahren mit dem Aufbau betraute Firma habe sich Corona-bedingt aus dem Geschäftsfeld zurückgezogen. Einen Nachfolger zu finden, erwies sich als äußerst schwierig. „Der Zeltmarkt ist bundesweit leergefegt.“ Das hänge unter anderem mit den vielen Camps für Geflüchtete zusammen. Selbst ein Anruf beim Richtmeister des Oktoberfests in München brachte die Bensheimer nicht weiter.
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Letztlich wurde man in der Region fündig, die Zeltverleihfirma Helmling aus Bürstadt bekam den Zuschlag – und eine Woche mehr Zeit als bisher für die Arbeiten. Die Topographie des Marktplatzes behindert bekanntlich einen Aufbau von der Stange. Ohne hölzerne Unterkonstruktion geht nichts. Die Materialien musste der Verkehrsverein ebenfalls anmieten.
Trotz aller Hindernisse und Herausforderungen soll das Winzerdorf bis zur Eröffnung in einer Woche in gewohnter Pracht erstrahlen. „Da gibt es keine Veränderungen, auch die Budenpächter sind alle wieder mit dabei“, bemerkte Herborn.
Ein Stück Verlässlichkeit in unruhigen Zeiten bietet darüber hinaus der Programmablauf.
3. September: Am Samstag wird ab 18.30 Uhr auf dem Marktplatz offiziell eröffnet. Bis dahin wird Bürgermeisterin Christine Klein wieder aus dem Urlaub zurück sein, versicherte der Vorsitzende und bekannte ohne weitere Ausführungen, dass dies eine gute Nachricht sei. Bevor es im Winzerdorf ans Eingemachte geht, sind die Ehrengäste ins Bürgerhaus eingeladen, das erstmals seit 2017 wieder zur Verfügung steht.
4. September: Der Sonntag steht nicht nur im Zeichen des Festzugs. Vormittags präsentiert sich die Heimatvereinigung Oald Bensem mit ihren Gästen bei einer ökumenischen Morgenfeier in der Kirche Sankt Georg. Um 11 Uhr wird zum Empfang der Bürgerwehren in den Walderdorffer Hof eingeladen, mit Ehrungen und „ein paar Neuigkeiten, die wir dann verkünden werden“, erklärte Vorsitzender Heinz Walter im Rathaus.
Die 84. Auflage - die Nummer mit der Nummer
Seit 1929 wird in Bensheim immer Anfang September das Bergsträßer Winzerfest gefeiert. Ausnahmen bildeten die Kriegsjahre und zuletzt die Pandemie. Mit dem Zählen kann man da schon mal durcheinanderkommen. Nicht aber der Verkehrsverein. 2022 wird die 84. Auflage des größten Weinfests in Südhessen begangen.
Der geschäftsführende Vorsitzende Thomas Herborn leistete bei der Pressekonferenz im Rathaus diesbezüglich Aufklärungsarbeit. 2019 stand mit dem 82. das letzte "richtige" Winzerfest auf dem Programm. Ein Jahr später feierte man mit dem Virus im Nacken dennoch zum 83. Mal. "Das Winzerfest dehaam hat uns viel Aufwand beschert. Aber es waren neun schöne Tage mit dem Live-Stream aus dem Parktheater und allem drum und dran", so Herborn. Gemäß eines Vorstandsbeschlusses ging die digitale Pandemie-Edition deshalb regulär in die Annalen ein - im Gegensatz zu 2021. Vor einem Jahr lief die Winzerwoche quasi außer Konkurrenz ohne das offizielle Prädikat.
Die Corona-Bestimmungen ließen 2021 aus Sicht der Verantwortlichen keinen normalen Betrieb zu. Man organisierte daher die Winzerwoche auf dem Marktplatz. Mit Einlasskontrollen durften dort gleichzeitig bis zu 500 Personen in den abgesperrten Bereich. "Das hat auch wunderbar funktioniert, aber es war eben kein Winzerfest", bemerkte der Vorsitzende. So blieb es bei Nummer 83 aus dem Jahr 2020, entsprechend folgt nun die 84. "Alles ein bisschen kompliziert", räumte Herborn ein - aber mathematisch korrekt hergeleitet. Somit kann das Fest in einer Woche ohne Zweifel beginnen.
Ein bisschen soll zudem an das 90-jährige Bestehen von Oald Bensem erinnert werden. Das hätte vor zwei Jahren zelebriert werden sollen, „doch ein kleines Virus verhinderte unsere große Feier“. 2023 soll zumindest der Große Zapfenstreich nachgeholt werden. Der Festzug startet um 14 Uhr, an der Streckenführung hat sich nichts geändert. Losmarschiert wird an der Carl-Orff-Straße, über die Darmstädter Straße geht es ins Zentrum (siehe weiteren Bericht).
5. September: Der Tag der Betriebe am Winzerfest-Montag ist ein Klassiker, der ab 11 Uhr die Innenstadt füllt. Daran dürfte sich dieses Jahr nichts ändern.
6. September: Den Ägidimarkt gibt es seit 1619 – und er dürfte schon die eine oder andere endemische Lage mitgemacht haben. In den vergangenen zwei Jahren mussten auch die Jahrmärkte in der Fußgängerzone eine Auszeit nehmen, nun feiern auch sie ein Comeback.
7. September: Beim Tag der Senioren wird eine Idee aus der Pandemiezeit weitergeführt. Die Stadtkapelle wird in den vier Seniorenheimen vorbeischauen und jeweils ein Platzkonzert spielen. „Dadurch können auch Menschen teilhaben, die sonst nicht ins Winzerdorf kommen könnten – eine schöne Sache“, konstatierte Herborn. In den Seniorenzentren werde der Aufmarsch mit eigenen kleinen Rahmenprogrammen garniert. Und wer im Alter noch mobil sei, der könne ja praktisch jeden Tag zum Feiern in die Stadt kommen.
8. September: Zum Tag der Jahrgänge und Vereine wird der Kinderzirkus Hallöchen die jungen Besucher zum Mitmachen auffordern – wie vor Corona auch. Von 14 bis 17 Uhr gibt es im Winzerdorf ein buntes Angebot, bei dem die Kleinen die Möglichkeit haben, selbst zu Stars in der Manege zu werden.
9. September: Am Tag der Jugend wird im Bereich der Stadtmühle eine Bühne aufgebaut. Von 20 Uhr bis Mitternacht treten drei Bands auf, zeitgleich spielt die Formation Haifly (ehemals DNS) im Winzerdorf. Im Bürgerhaus können bei der Gebietsweinprobe ab 19 Uhr die Erzeugnisse von 16 Betrieben aus dem Anbaugebiet verkostet werden. Tickets gibt es nur im Vorverkauf über die Tourist-Info, Telefon 06251/8696101. „Wir hoffen, dass es voll wird im Bürgerhaus“, verdeutlichte Christa Guth. Sie zeichnet für die Organisation verantwortlich.
10. September: Am zweiten Samstag bricht die Bürgerwehr Oald Bensem ab 12.30 Uhr zu ihrem Traditionsmarsch durch die Innenstadt auf, musikalisch begleitet vom Spielmannszug. Wer den Männern und Frauen auf ihrem Weg eine flüssige Zuwendung zukommen lässt, bekommt als Dankeschön einen Salutschuss spendiert.
11. September: Zum krönenden Abschluss haben die Geschäfte von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Außerdem werden die schönsten Festwagen und Fußgruppen ab 15.30 Uhr auf dem Marktplatz prämiert. Mit der Einholung der Fahne um 22 Uhr ist das 84. Winzerfest Geschichte.
Dank an den Bauhof
Ans Ende will aber eine Woche vor dem Anfang niemand denken. Die Verantwortlichen müssen letzte mögliche Hürden aus dem Weg räumen. Auf unüberwindbare Schwierigkeiten wird man dabei vermutlich nicht stoßen. Thomas Herborn verwies beim Pressegespräch unter anderem auf das Sicherheitskonzept, das laufend aktualisiert und angepasst werde. So wird es in diesem Jahr auf Anraten der Polizei weitere Zufahrtssperren während des Festzugs geben.
Der Dank des Vorsitzenden galt letztlich allen Beteiligten, die ihren Beitrag leisten, darunter unter anderem der Bauhof. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter packen lange vor der Eröffnung mit an und kümmern sich während der Festtage um den Müll, der in den Tonnen, aber oft auch weit daneben zu finden ist. Warme Wort fand Herborn zudem für Hilde Deppert, die gute Seele des Verkehrsvereins. Ihr Engagement sei bewundernswert, vor allem, weil bei ihr immer mehr Arbeit hängenbleibe als eigentlich gedacht.
Info: Das vollständige Programm findet man im Internet unter www.bergstraesser-winzerfest.de
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