Bensheim. „Ich wollte nicht zur Beat-Oma werden“, sagt Margit Gehrisch mit einem ironischen Funkeln in den Augen. Eigentlich habe sie sich bereits mit 65 Jahren von der großen Bühne zurückziehen und zur Ruhe setzen wollen. Jetzt ist sie runde 70.
Und am Silvesterabend um Mitternacht endet eine Ära: Die Erfinderin und Chefin des Musiktheaters Rex übergibt den Schlüssel an Sascha Quadt, der den Club gemeinsam mit Gehrischs bisheriger Mitgesellschafterin Martina Wagner weiterführen wird (wir haben berichtet). Nicht nur eine Zäsur für eine der bekanntesten Live-Bühnen der Metropolregion, sondern auch das Finale einer schillernden Branchen-Karriere, die 1991 mit einer salopp dahingeschlenzten Idee begonnen hatte.
„Warum machen wir das nicht einfach selbst?“, fragte Margit Gehrisch damals eines Abends in die Runde. Mit ihren Freundinnen Elke Ditter, Christina Leusch und Carmen Rieber war sie regelmäßig zu Konzerten unterwegs. Um die Gigs nach Bensheim zu holen und die Region fortan mit Heimspielen zu beglücken, gründete mit den Kolleginnen die Konzertagentur „Die Veranstalterinnen“.
Prägend für das Kulturleben
Damals ohne Gender-Sternchen, aber mit geballter weiblicher Leidenschaft für eine Szene, die im Ort eigentlich noch gar nicht existiert hatte. Doch mit ihrem Faible für die Sparten Jazz, Weltmusik und Kabarett hatte das Quartett, das sich bald zu einem Trio verkleinerte - Elke Ditter stieg aus - den richtigen Riecher zur richtigen Zeit. Bis zum letzten Konzert mit Mikis Theodorakis im Jahr 1997 prägte die Agentur das Kulturleben in Bensheim, Darmstadt, Mannheim und Heidelberg.
Für Margit Gehrisch, die 1952 in Fürth im Odenwald geboren wurde und sich nach einer Lehre als Apothekenhelferin sowie einigen Jahren Berufstätigkeit ab 1986 mit einem Schmuckgeschäft in der Bensheimer Innenstadt selbstständig gemacht hatte, war der Sprung in die Kulturbranche eine entscheidende Weichenstellung in ihrer Biografie.
Und bald war klar, dass sie nicht zweigleisig fahren konnte und wollte - also wurde das Schmuckhaus zu Gunsten der Musik geschlossen. Das neue Netzwerk wuchs rasant, die Kontakte zu Managern, Bands und Booking-Agenturen dehnten sich aus. Und auf einmal gastierten in Bensheim Künstler, die man sonst bestenfalls in Mannheim oder Frankfurt zu hören bekam.
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Zunächst war vor allem der eigene Geschmack ausschlaggebend. Ein Luxus, den sich die Agentur durchaus leisten konnte. „Ich mochte klassische Liedermacher wie Konstantin Wecker und Ludwig Hirsch, aber auch Jazz und Blues“, sagt sie beim Blättern durch die Gästebücher von damals. Die schwarzen Alben bergen unzählige Erinnerungen.
Darin stehen wohlklingende Namen wie Giora Feidman, Hanns Dieter Hüsch, Dave Brubeck, Odetta Holmes, Lotti Huber, Maceo Parker, Eric Burden, Jango Edwards, Klaus Doldinger und das United Jazz und Rock Ensemble. Und viele prominente Künstler mehr. Seit dem ersten Gastspiel im Parktheater 1994 erwuchs eine langjährige und andauernde Freundschaft mit Gerhard Polt, der zuletzt 2018 in Bensheim gastierte.
„Wir waren damals schon etwas blauäugig“, so Margit Gehrisch in der Retrospektive über die ersten Konzerte. Aber auch mutig genug, um mit einem kleinen, aber anspruchsvollen Start-up die Branche zu bereichern. Personelle Veränderungen hat man gut überstanden, später hat sie mit Carmen Rieber als Duo weitergemacht. Die Agentur bespielte nicht nur Bensheim, sondern unter anderem auch die Mannheimer Feuerwache und die Stadthalle in Heidelberg.
Doch irgendwann hatte Margit Gehrisch das ständige Suchen nach freien Veranstaltungsorten satt. Sie wollte eine feste Location. Eine Heimat. Die fand sie 1998 in einem alten Kino in Lorsch, das per Zeitungsinserat angeboten wurde und mittlerweile eine Tanzschule beherbergte. „Als ich das erste Mal reinging, wusste ich gleich: das wird was!“
Nach einer kurzen, vertraglich bedingten Wartezeit baut sie das alte Lichtspielhaus an der Hirschstraße zum Musiktheater um. Eine Marke ist geboren. Thomas Schönefeld installiert die Ton- und Lichtanlagen. Und nach einer Phase mit viel Bürokratie und kleinen Anlaufschwierigkeiten konnte sich der Club schnell etablieren. Die intime Atmosphäre und das besondere Flair des Hauses kamen an, das machte sich auch an der Kasse bemerkbar. „Ich hatte viele Unterstützer, die mir geholfen haben“, so die Chefin rückblickend.
Musikalische Originale
Auch in Lorsch dominierten zunächst musikalische Originale: Die Hamburg Blues Band mit dem 2004 verstorbenen britischen Saxofonisten Dick Heckstall-Smith fühlte sich dort ebenso wohl wie Soulfinger, Roher Chapman oder Supercharge. Aber auch Größen wie Manfred Manns Earth Band, Ian Paice, Colosseum, Mother’s Finest, Pete York, Wishbone Ash, Helen Schneider und Chris Thompson haben hier wiederholt das Publikum gerockt. Hinzu kamen „Nischenprodukte“ und Spezialitäten wie Erika Stucky, Kraan, Hazmat Modine oder Lydie Auvray, die im Musiktheater Rex immer wieder ein feines und aufmerksames Gehör fanden.
Gleichzeitig verlagerte sich das Programm sukzessive auf Tribute-Shows und Coverbands. Zu den Genres Bluesrock und Rock (nach wie vor sehr präsent) gesellten sich Mainstream-Pop, Revival-Bands und Disconummern. Sounds, die viele Fans anlocken.
Gehrisch buchte zunehmend auch das, was der Masse gefällt. Nicht nur ihr selbst. „Ich wollte das Programm stärker öffnen.“ Der Club spricht seither ein diverses Publikum an. Den Ticketverkäufen hat das natürlich nicht geschadet.
Aber auch personell bewegte sich in den Nullerjahren einiges. Mit Martina Wagner holte sie 2005 eine Mitarbeiterin ins Boot, die bald zu ihrer wichtigsten Partnerin werden sollte. Zunächst an der Theke, bald auch im Büro. Bereits vor Jahren stand fest, dass Wagner die Zukunft des Rex mit begleiten würde.
Doch in Lorsch bahnte sich langsam, aber sicher ein radikaler Bruch an. Strengere Brandschutzauflagen hatten die Besucherzahlen zuletzt stark eingeschränkt. Gehrisch wollte einen Cut, sie kündigte den Vertrag und streckte die Fühler aus. An der Bensheimer Promenadenstraße - im ehemaligen Cheru - wird sie fündig. Am 30. September 2012 eröffnet sie das neue „kleine“ Rex an ihrer alten Wirkungsstätte nach größeren Umbauarbeiten. Die Marke zieht mit um. Und die Chefin zeigt sich optimistisch: Sie will die zentrale Location als Szenetreff etablieren. Weitere Bensheimer Spielstätten wie Kolpinghaus und Bürgerhaus sind ebenfalls im Visier.
„Der Standort hat viel Geld verschluckt“, sagt sie heute. Ein langes Leben war ihm nicht vergönnt. Vor allem am Anfang lief es mau. Richtig glücklich war die Gastgeberin in der ehemaligen Kneipe nie. Der Begriff der Übergangslösung fiel damals immer häufiger. Als sich die Perspektive ergab, in den deutlich größeren Ex-Güterbahnhof auf einem komplett neu angelegten Gelände an der Fabrikstraße zu ziehen, war Gehrisch hellwach.
Umzug in die alte Güterhalle
Nach dreijährigem Umbau bezog sie das neue Haus im September 2015. Das Flair des denkmalgeschützten Gebäudes mit seinem Industrie-Chic, dem stimmigen Interieur und einem bald auch herausragenden Soundsystem überzeugt. Mit bis zu 600 Gästen und einem flexiblen Innenleben erfüllt die Location das, was Margit Gehrisch schon immer vorgeschwebt hatte.
Nicht nur die Marke Rex war angekommen, auch die Chefin sah im Bensheimer Westen ihre berufliche Endstation: „Gleich nach der Eröffnung dachte ich mir: Das ist das Ziel, jetzt könntest du eigentlich aufhören!“
Aber auf Margit Gehrisch wartet noch eine weitere Herausforderung: Die Lockdowns waren Schocks auf Raten. Doch die Solidarität der Besucher und einiger Unternehmen hat die Clubchefin schwer beeindruckt. „Das hat mich umgehauen und berührt mich heute noch“, sagt sie. Ein Stammgast initiiert eine Spendenaktion („Das war mir anfangs gar nicht recht“). Aber es hat dem Musiktheater mit über die harten Zeiten geholfen.
Gelassen in die Zukunft
Die Leute tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Rex Retter“. Weil es drinnen nicht mehr geht, inszeniert die erfahrene Veranstalterin ein Open Air auf dem Festplatz am Berliner Ring - nicht ihre erste Freiluftparty. Auch in Lorsch hatte Gehrisch seit 2002 schon mehrere Festivals organisiert. Die Pandemie mit ihren Zugangsbeschränkungen, den langen Schlangen und den Impfkontrollen am Einlass kommentiert sie rückblickend als harte Bewährungsprobe.
Neben der Unterstützung von Stadt und Kreis hätten letztlich auch die staatlichen Kultur-Hilfen dem Rex den Allerwertesten gerettet. Insgesamt habe man Glück gehabt und die Krise passabel und aufrecht überstanden.
Persönlich sieht sie der Zukunft gelassen entgegen. Den Rückzug empfindet sie auch als Befreiung und Erleichterung nach über drei Jahrzehnten Musikbusiness an einer in jeder Hinsicht lauten Konzertfront.
Doch ihr Gehör hat die jahrelange Nachtschicht ebenso gut überstanden wie ihr Faible für Kunst und Musik. „Ohne meine Familie und meine Freunde wäre ich nicht so weit gekommen“, betont Margit Gehrisch voller Dankbarkeit. Trotz Ruhestand wird sie der Kultur verbunden bleiben. Ein Farewell-Konzert ist in Vorbereitung. Und neue Ideen haben nach wie vor genügend Freiraum zur Entfaltung.
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