Bensheim. Es sind wahre Worte, die Dagmar Borrmann ruhig und gelassen im Eysoldt-Foyer des Parktheaters zum Auftakt der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ausspricht. „Es darf wieder umarmt und geküsst werden auf den Bühnen des Landes - wie schön“, umschrieb die Dramaturgin anschaulich den Normalbetrieb der Theater nach den harten Corona-Einschränkungen.
Am Donnerstagabend präsentierte die Jury in Gesprächen mit Regisseuren und Schauspielern das Programm, bevor mit dem Stück „Das Licht der Welt“ (Theater Heidelberg) das Festival ein erstes Ausrufezeichen setzte.
Borrmann übernahm dabei im Namen der Kuratoren, zu denen neben ihr der Schauspieler Nicolas Matthews, die Regisseurin und Dramaturgin Antonia Leitgeb sowie der Regisseur und Autor Florian Fischer (Träger des Kurt-Hübner-Regiepreises 2019) gehören, die Begrüßung, verbunden mit einer kleinen Grundsatzrede und Zustandsbeschreibung des deutschen Theaters.
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Sie freue sich unbändig, in Bensheim wieder live spielen zu können, dass man Theater schauen, lachen, diskutieren - und „den hervorragenden Bergsträßer Wein genießen kann“, betonte die Hochschullehrerin in einem sehr gut gefüllten Foyer vor interessiertem Publikum.
Die Begeisterung über ein gewisses Maß an Normalität in der Kulturlandschaft nach der Hochphase der Pandemie darf ihrer Ansicht nicht den Schluss zulassen, dass alles so sei wie früher. Besonders für junge Schauspielerinnen und Schauspieler hätten sich die Bedingungen geändert und das nicht zum Guten. Viele Theater seien zögerlich, ihre freien Stellen zu besetzen, weil sie mit Sparauflagen rechnen. Hinzu komme eine geringere Fluktuation in den Ensembles.
„Das erschwert den Absolventinnen und Absolventen den Einstieg in den Beruf“, konstatierte die Jury-Vorsitzende. Wobei nicht alle in die Strukturen von Stadt- und Staatstheater gehen wollten. Dies sei keineswegs mehr die einzige erstrebenswerte Option. Vielen empfänden die Arbeit in der Institution als einengend.
Eine erfreuliche Entwicklung
Unter hohem Produktionsdruck würden Schauspieler über ihre Leistungsgrenze und hinaus gefordert. Möglichkeiten der eigenen Entfaltung gebe es kaum. Doch kreative Herausforderung und eine gleichberechtigte Beteiligung seien berechtigte Forderungen des Schauspielnachwuchses.
Glücklicherweise gebe es immer wieder Gegenbeispiele. Solchen Aufführungen eine Plattform zu bieten, „sehen wir als eine Aufgabe unseres Festivals an“. Eine andere erfreuliche Entwicklung, so Borrmann: Die Ensembles werden diverses. Eigentlich sollten Schauspielerinnen und Schauspieler mit migratischem Hintergrund oder People of Color auf den Bühnen eines postmigratischen Landes wie Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein.
„Dass dies immer noch nicht so ist, zeigt, wie lange es wohl die Schauspielschulen als auch die Theater den notwendigen Diskurs gescheut und den praktischen Veränderungsprozess verschleppt haben“, kritisierte die Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt.
Theaterarbeit von Menschen mit Handicap
Nun sehe man in vielen Spielzeitheften divers aufgestellte Ensembles, das sei mehr als überfällig und der Beginn eines neuen Prozesses. Wie die Teilhabe dieser Schauspielerinnen und Schauspieler im Theaterbetrieb tatsächlich aussieht, welche Rolle ihre spezifischen Erfahrungen spielen, das sei ein längerer Prozess, der täglich neu ausgehandelt werden müsse.
Einbezogen müsse in den Diskurs darüber hinaus die Theaterarbeit von Menschen mit Handicap. Im Sichtungsprozess für die Woche junger Schauspieler 2024 will man diesem Thema besondere Aufmerksamkeit schenken. Für 2023 könne man aber mit voller Überzeugung sagen: „Es sind fünf Produktionen mit starken inhaltlichen und ästhetischen Setzungen.“ Ausgewählt wurden sie aus 63 Einreichungen. Der Fokus habe auf Arbeiten gelegen, die neue Perspektiven auf gesellschaftliche Legalitäten richten.
Nach der Auftaktinszenierung am Donnerstag geht das Theaterfestival, wie immer ausgerichtet von der Stadt Bensheim und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, am Dienstag, 14. März, um 19.30 Uhr weiter. Gezeigt wird „Once I lived with a stranger“ von Marie Schleef (Schauspiel Köln), die am 18. März den Kurt-Hübner-Regiepreis 2022 im Zuge der Eysoldtpreis-Verleihung erhält.
Eine Handlung, die ohne Worte auskommt
In der Aufführung stellt die Protagonistin nach und nach fest, dass sie wohl nicht allein in ihrer neuen Wohnung lebt. Die Idee dazu kam der Regisseurin beim Lesen einer Zeitungskolumne. Kreiert hat sie daraus eine Gruselgeschichte ohne Grusel, die als Ein-Personen-Stück mit der Performerin Kirstin Steffen auf die Bühne bringt.
Die Handlung kommt dabei ohne Worte aus, gesprochene Sprache gibt es nicht. „Ich wollte komplett auf die Sinne gehen, als Gegenbeispiel zum Zeitungsartikel. Es wird ein Abend, der entgegen der Sehgewohnheiten des Theaters geht. Der beste Tipp ist: sich darauf einzulassen und es auszuhalten“, erläuterte Schleef im Gespräch mit Antonia Leitgeb.
Auf große Worte verzichtet auch der Beitrag am Mittwoch, 22. März. Das Performance-Kollektiv Planetenparty Prinzip aus Graz widmet sich im dritten Teil seiner „Bürgerkriegstrilogie“ dem Aufmarschieren. Im Mittelpunkt stehen die vier Protagonistinnen, die sich ganz einem System verschrieben haben und bereit sind, sich bis zur Selbstaufgabe unterzuordnen.
Die Geschichte eines vor einem Krieg Geflüchteten
„Eine wahnsinnige Lust am Theater und am Erzählen, das aber anders aussieht als am Stadttheater“, beschrieb Florian Fischer den Ansatz des Kollektivs. Ein Detaillierter Austausch mit den Künstlern scheiterte an der brüchigen Online-Verbindung nach Österreich.
In „Im Herzen tickt eine Bombe“ von Wajdi Mouawad erzählt das Schauspiel Frankfurt am Freitag, 24. März, die Geschichte eines vor einem Krieg Geflüchteten, der sich in einer Winternacht auf dem Weg ins Krankenhaus macht, wo seine Mutter im Sterben liegt.
Getragen wird das Monolog-Stück von Abdul Aziz Al Khayat, der selbst vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland fliehen musste. „Für die Arbeit war dies absolut fruchtbar“, erzählte Regisseurin Martha Kottwitz im Eysoldt-Foyer. Ausgewählt habe sie Abdul Aziz aber nicht wegen seiner Biografie. Seine Erfahrungen seien stark eingeflossen, aber auf der Bühne „sehen wir nur die Figur und nicht ihn als Privatperson“.
Eine Besonderheit spielt in der Inszenierung das Bühnenbild, angelegt wie eine große Staffelei, weil der Protagonist mit der Malerei versucht, seine inneren Dämonen zu bekämpfen.
Den Abschluss der 28. Woche junger Schauspieler bildet das Staatstheater Darmstadt mit „Drei Kameradinnen“ am 25. März. In Shida Bazyars Roman geht es um die Freundschaft dreier junger Frauen, die Gewalt und Ignoranz mit Solidarität begegnen - bis ein möglicher Brandanschlag in einer dramatischen Nacht alles verändert.
Ein divers besetztes Ensemble
„Viel Wut, viel Kränkung, viel Erfahrung von intersexueller Diskriminierung und Rassismus, die Drei kriegen alles ab, wenn man nicht so aussieht, wie die Dominanzgesellschaft sich das so vorstellt“, fasste Dramaturg Maximilian Löwenstein zusammen.
Eine kraftvolle, bisweilen humorvolle Produktion mit tollen musikalischen Nummern und einem divers besetzten Ensemble, lobte Dagmar Borrmann des Abschlussstück und die Arbeit der Regisseurin Isabelle Redfern.
Weitere Informationen auf www.stadtkultur-bensheim.de und www.darstellendekuenste.de
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