Bensheim. In diesem Jahr wird die jüngste große Bundeswaldinventur abgeschlossen. Dadurch erwarten Fachleute aktuelle statistische Erkenntnisse über Waldfläche, Holzvorräte, Artenvielfalt und Altersstruktur. Als zentrales Kontroll- und Monitoring-Instrument gilt die Erhebung als wichtige Grundlage für Entscheidungen von Politik und Wirtschaft. Die elementaren Fragen lauten: Welcher Wald ist zukunftsfähig? Und wie viel Holz kann im Sinne einer nachhaltigen Waldwirtschaft genutzt werden?
Es gibt aber auch Kriterien, die von dieser Dynamik unangetastet bleiben. Zum Beispiel die Funktionen des Waldes hinsichtlich seines Nutzens für Mensch und Umwelt im engeren Sinn. Gerade in Zeiten der Pandemie konnte der Wald sein positives Image als natürlicher Naherholungsraum in den vergangenen zwei Jahren erheblich steigern. Aber auch sonst profitiert der Mensch von den grünen Lungen um ihn herum: Der Wald ist Sauerstoffproduzent und CO2-Schlucker, Wasserspeicher und Klimaanlage, Luftfilter und Erosionsschutz. „Und das alles erledigt er kostenlos“, betont Wolfram Grüneklee.
Ein komplexes Ökosystem
Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald setzt sich seit über 60 ...
Der Forstfachmann ist Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) im Kreis Bergstraße. Beim jüngsten Kirchturmgespräch in der Bensheimer Michaelsgemeinde erläuterte der Heppenheimer die inneren Zusammenhänge eines komplexen Ökosystems, das im Kontext des Klimawandels vor massiven Herausforderungen steht. Eine kluge Forstwirtschaft spiele dabei eine wesentliche Rolle, so Grüneklee im Gemeindezentrum, wo Pfarrer Christoph Bergner am Mittwochabend zehn Zuhörer begrüßte. Die Veranstaltung fand unter der 3G-Regelung statt.
Corona und der Drang in die Natur haben den Wald als Sehnsuchtsort und Rückzugsraum ebenso wertgeschätzt wie belastet. Auch in Hessen, wo etwa 42 Prozent der Landesfläche aus Wald besteht. Ein bundesweit überdurchschnittlich hoher Anteil. Trockenheit, Käfer und Pilze haben ihn vielerorts stark geschädigt. Auch die Folgen des Klimawandels sind fast überall erkennbar, heißt es im aktuellen Waldzustandsbericht.
Der Landesbetrieb Hessen-Forst, der rund 70 Prozent der hessischen Waldfläche betreut, arbeitet derzeit am klimastabilen Wiederaufbau und Umbau, so Wolfram Grüneklee, der als Förster seit vielen Jahren Waldinventuren koordiniert und zum Thema Forst auch international unterwegs war. „Es geht um Fakten“, sagte er vor seiner zweistündigen Tour durch einen besonderen Lebensraum, der in der Regel als Baumbestandsfläche von einer bestimmten Mindestgröße und -Höhe mit einem eigenen Innenklima definiert wird.
11,4 Millionen Hektar Wald gibt es in Deutschland. Rund ein Drittel der Landesfläche ist mit Wald bedeckt. Dennoch gibt es nur 77 Baumarten, am häufigsten sind Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen. Grob lassen sich vier große Waldökotypen voneinander unterscheiden: Boreale Wälder im Norden der Erdhalbkugel, tropische Wälder in der Nähe des Äquators und gemäßigte Waldzonen wie in den Breitengraden Mitteleuropas. Diese sommergrünen Laub- und Mischwälder, die global rund eine Milliarde Hektar ausmachen, zeichnen sich durch eine relativ hohe Regenerationsfähigkeit aus, so der Waldfachmann. Eine Nutzung sei aufgrund einer schnellen Walderneuerung recht problemlos möglich: „Optimale Bedingungen für eine nachhaltige Holzproduktion“, so Wolfram Grüneklee. Darin unterscheiden sich diese Waldarten elementar vom tropischen Regenwald, der aufgrund seiner nährstoffarmen Böden sehr sensibel gegenüber äußeren Eingriffen ist – Störungen führen in der Regel zu irreversiblen Schäden, die kaum wiederhergestellt werden können. Der konsequente Schutz dieser sensiblen Zonen sei daher entscheidend für das globale Klima.
Eingriff ist maßgeblich
Demgegenüber würden durch die Entnahme von Bäumen in heimischen Wäldern nur wenige Nährstoffe aus dem Boden entfernt, so Grüneklee. Die Erde sei hier stark von Mineralien durchsetzt. „Deshalb kann sich Deutschland eine Forstwirtschaft leisten.“ Der Eingriff des Menschen sei sogar maßgeblich für die Zukunft der Wälder im Zeichen klimatischer Veränderungen. Die Anpassung durch die Natur selbst würde um ein Vielfaches länger dauern, so der Förster, der das Konzept eines Mischwalds aus Laub- und Nadelbäumen als richtige Lösung für die nächsten Jahrhunderte bezeichnet.
Im Zuge klimatischer Extreme müsse man den Wald stabiler und widerstandsfähiger machen. Beim langfristigen Umbau benötige man also Baumarten, die mit dem Wandel zurechtkommen. Zudem sei ein pflanzlicher Mix aus vier bis fünf Arten pro Bestand gegenüber Störungen durch Borkenkäfer, Stürme oder Dürre weit weniger anfällig als Nadelbaum-Monokulturen.
Das Problem: Die durch ihre Wuchskraft und Schattentoleranz sehr konkurrenzstarke Buche als eine in vielen hessischen Wäldern dominante Baumart (fast ein Drittel des Bestands) kommt mit dem zunehmenden Hitze- und Trockenstress schlecht zurecht. Auch die Anfälligkeit gegenüber Pilzen habe in den vergangenen Jahren stark zugenommen, betont der SDW-Vorsitzende. Das wärmere Klima macht aus einer von Natur aus überlebensstarken Art eine Achillesferse des Waldes. Vor allem ältere Exemplare knicken gegenüber den neuen Bedingungen ein.
Man spricht in Hessen längst von einem Buchensterben. Für den Forstbetrieb bedeutet das einen Wettlauf mit dem Klimawandel. Die Anpassungsfähigkeit der Bäume werde maßgeblich darüber entscheiden, wie unsere Wälder zukünftig aussehen, so der Experte. Doch gerade an der Bewertung des menschlichen Eingriffs entzündet sich immer wieder der Streit zwischen Forst und Naturschutz, zwischen den Konzepten Wirtschaftswald und Naturwald.
Einer der großen Gewinner der klimatischen Dynamik wird vermutlich die Eiche sein, die in Hessen derzeit – auf Rang drei hinter Buche und Fichte – rund 14 Prozent der Waldfläche ausmacht. Sie kommt mit Trockenheit besser zurecht. Aber auch die hohe Qualität des Holzes und die enorme biologische Vielfalt an Organismen, die an Eichenstandorten leben, sprechen für sie, so der Forstfachmann. Langfristig sei daher ein steigender Anteil Eichen sowie zusätzliche, auch fremdländische Arten, in einem klugen Mix die richtige Wahl.
Größer als die Autoindustrie
Abschließend ging Wolfram Grüneklee noch einmal auf die Bedeutung der Forstwirtschaft im holzreichsten Land Europas ein. Eine nachhaltige, multifunktionale Bewirtschaftung und naturnahe Nutzung seien die erklärten Grundsätze der Branche, die bundesweit rund 1,1 Millionen Menschen beschäftigt – das sind deutlich mehr als die Automobilindustrie. Der Wald als Standortfaktor mit Holz als umweltfreundlichem Rohstoff und nachwachsende Ressource.
Zudem sei die Nutzung des heimischen Bestandes besser als Importe aus fragwürdigen Quellen: Denn ein nicht unerheblicher Teil der international gehandelten Hölzer stammt aus illegalen Quellen. Ihr Anteil am weltweiten Handel beträgt Schätzungen zufolge zwischen sieben und 17 Prozent, wie das Thünen-Institut für Forstökonomie mitteilt. Zumeist stamme dieses Holz von gefährdeten und geschützten Arten aus nicht genehmigter Nutzung.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-der-bergstraesser-wald-muss-widerstandsfaehiger-werden-_arid,1902655.html