Bensheim. Das alte Hospital liegt zwar an einer der meist frequentierten Achsen in der Innenstadt, aber nur selten nimmt man es bewusst wahr. Das liegt auch daran, dass man erst durch das steinerne Tor neben der Hospitalkirche gehen muss, um das alte Hauptgebäude richtig sehen zu können. Das Haus harrt derzeit (hoffentlich) neuer Verwendung, denn als Altersheim und Krankenhaus hat es offenbar ausgedient. Dabei ist der um 1812 in dieser Funktion errichtete Bau - im Vergleich zu der langen Geschichte des Bensheimer Spitals - eigentlich noch gar nicht so alt.
Einen als Kranken- und Armenhaus genutzten Kirchenraum gab es in Bensheim nämlich vielleicht schon seit dem frühen 9. Jahrhundert, ungefähr da, wo auch jetzt die Hospitalkirche steht. Auf alle Fälle aber stand hier spätestens 1321 das heutige Kirchengebäude. Es wurde im 14. Jahrhundert als Saalkonstruktion errichtet und erst um 1500 mit dem ebenfalls noch erhaltenen gotischen Chor versehen.
Über Jahrhunderte wurden in diesem Gebäude Pilger, aber auch Alte und Pflegebedürftige untergebracht, die keine Familie hatten. Mehrere Altäre ermöglichten es den Kranken, die Messe von ihrem Lager aus zu verfolgen. Doch bis zum 19. Jahrhundert verstand sich das Hospital nicht vornehmlich als Stätte der Heilung, sondern eher der Unterkunft und Versorgung. Und nicht alle Kranken wurden innerhalb der bewohnten Stadt gepflegt: Es gab mehrere „Gutleuthäuser“ - eines am Eingang zum Zeller Tal, ein anderes an dem zum Lautertal, eines in der heutigen Weinlage Paulus und ein weiteres zwischen Bensheim und Auerbach. Hier fanden die Aussätzigen Zuflucht, die wegen der Ansteckungsgefahr außerhalb der Ortschaft leben mussten.
Vom Armen- zum Krankenhaus
Bis ins 19. Jahrhundert dienten die öffentlichen Krankenanstalten in Europa in erster Linie der Versorgung und Pflege der Unterschicht. Wer es sich leisten konnte, holte den Arzt zu sich nach Hause. Für das 16. Jahrhundert ist die Verpflichtung eines Arztes durch die Stadt Bensheim urkundlich überliefert. Der bekam eine jährliche Entlohnung und konnte zudem teilweise auf eigene Rechnung arbeiten: „Habt Ihr bei Stadtverwandten und Bürgern Arzneien zu ordnen, so sollt Ihr einen getreuen Fleiß anthun doch um ziemlich Belohnung, wo es aber arme Leut wären, denen sollt Ihr Eure Kunst umsonst anwenden …“, heißt es in der Urkunde vom 14. Mai 1589. Eine Vorgehensweise, die gar nicht so weit von der heutigen Einteilung in Kassen- und Privatpatienten entfernt scheint.
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Erst mit dem medizinischen Fortschritt und der Zunahme von chirurgischen Eingriffen im 19. Jahrhundert nahmen die stationären Aufenthalte zu. Auch in Bensheim scheint mit dem 19. Jahrhundert eine neue Zeit anzubrechen. 1812 wurde das hier gezeigte neue große Haupthaus des Hospitals errichtet, diente aber noch für mehrere Jahrzehnte überwiegend als Altersheim und Armenhaus. Ein Bericht im Bergsträßer Anzeiger vom 3. Januar 1873 nennt zum Beispiel eine aktuelle Belegung mit neun Kranken und 26 Pfründnern (Bedürftigen). Und noch in den 1960er Jahren war im Spital neben dem Krankenhausbetrieb auch ein Altenheim untergebracht.
Ordensschwestern waren für die Pflege zuständig
Versorgt wurden die Armen, Alten und Kranken aus dem Geiste der christlichen Nächstenliebe offenbar überwiegend von ledigen Frauengemeinschaften, unter anderem von Beginen, die sich im 16. Jahrhundert in Bensheim niederließen, später von Schwestern weiterer Orden. Zur Geschichte des Hospitals gibt es eine kleine Schrift von Karl Hellriegel aus dem Jahr 1964, gewidmet der Kongregation der Schwestern von Allerheiligsten Heiland, einer Ordensgründung des 19. Jahrhunderts, die ihre Aufgabe in der Verpflegung armer Kranker und der Betreuung von Randgruppen sah.
Fünf Schwestern dieser Kongregation lösten 1867 auf Wunsch des Hospitalvorstands, der aus Vertretern der Kirche und der Stadt bestand, die zuvor hier tätigen Schwestern des Ordens des heiligen Vinzenz als Pflegepersonal ab - offenbar recht überstürzt, denn in einer Chronik der Kongregation heißt es, sie hätten „in keiner beneidenswerten Lage“ und „in völliger Unkenntnis der bestehenden Gewohnheiten“ die Pflege von zehn Kranken, darunter zwei schwer an Typhus Erkrankten übernommen.
Fortan wurde die Einrichtung stetig erweitert, auch aufgrund von Pocken-, Diphterie und Choleraepidemien. 1890 arbeiten bereits neun Schwestern mit einem Arzt im Hospital. Doch beschränkte sich die Pflege nicht auf das Hospital: Die Schwestern gingen, wie es seit Jahrhunderten üblich war, auch in die Wohnungen der Kranken. Die religiöse Prägung der Pflege blieb über weitere Jahrzehnte erhalten: Noch 1986 gab es 22 Ordensschwestern. Als kirchliche Stiftung des bürgerlichen Rechts bestand das Hospital bis ins Jahr 2016.
Die Aufgaben des Hospitals wuchsen. Ständige Raumnot führte am Anfang des 20. Jahrhunderts zum Ankauf von mehreren Häusern in der Nachbarschaft des Hospitals und 1953 wurde ein großer Hospitalneubau begonnen, zehn Jahre später ein neues Bettenhaus westlich des Hospitalgebäudes. (beide wurden inzwischen durch Neubauten abgelöst). Mit der Einweihung des Bettenhauses 1964 stieg die Kapazität auf 215 Krankenbetten - das waren mehr als heute. Dafür werden heute mehr Patienten versorgt: 8600 waren es im Jahr 2022, gegenüber 4136 im Jahr 1966 und nur rund 100 Kranken, die ein Jahrhundert zuvor versorgt wurden.
Erst von Stiftungen, dann auch von Bürgern finanziert
Finanziert wurde das Hospital zunächst durch Stiftungen des Adels und schließlich auch der Bürger. Viele Äcker und Weinberge gehörten zum Grundbesitz des Hospitals; die meisten wurden verpachtet. Urkunden aus der Zeit von 1581 bis 1608 zeugen von einem beträchtlichen Vermögen des Hospitals, das Einnahmen auch aus der Vergabe von Darlehen erzielte. Die Versorgung der Alten und Kranken war aber immer ein reiner Zuschussbetrieb.
Im 19. Jahrhundert gründete sich ein Armenverein, der - neben der Unterstützung der armen Bevölkerung generell - auch für die Verköstigung der im Hospital Untergebrachten bezahlte. Man versuchte auch, durch Auftragsarbeiten der Hospitaliten wie Zigarrenmachen und Hanfspinnen Einnahmen zu erzielen. Immer wieder war es das Engagement begüterter Einzelner, die den Betrieb am Laufen hielten, sei es der Erwerb eines Hauses durch Kommerzienrat Euler oder die Anschaffung eines Röntgengerätes durch die Gattin des Bürgermeisters Frenay.
Im Inflationsjahr 1923 war die Lage des Hospitals fatal. In der Presse hieß es am 10. August, dass die „an sich ungünstige Finanzlage des Hospitals in katastrophaler Weise in Mitleidenschaft gezogen“ worden sei und die „Schließung der Anstalt in greifbare Nähe gerückt“ sei. „Eingedenk der großen Gefahren, welche eine Einstellung des Hospitalbetriebs für die öffentliche Gesundheits- und Wohlfahrtspflege“ berge, bat man um Geld- und Naturalienspenden. Während der Nazizeit wurden etliche Äcker verkauft und mehrere Stiftungen aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich wieder ein rasch wachsender Krankenhausbetrieb in kirchlicher Organisation zu „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken, nämlich der Versorgung der Bevölkerung mit stationärer und ambulanter Krankenbehandlung und als Altersheim“, wie es im Statut von 1951 hieß.
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