Bensheim. Manchmal fallen korrespondierende Ereignisse spontan zusammen. Während am Fleckschen Haus - übrigens denkmalgeschützt - für eine Beteiligung am Ideenwettbewerb zum „Marktplatz der Zukunft“ aufgerufen wurde, hat Jürgen Noll von der neu formierten Bürgerinitiative einen Steinwurf entfernt für eine sogenannte Null-Bebauung demonstriert.
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Es war keine veritable Kundgebung. Die Aktion sollte beispielhaft und dreidimensional vor Augen führen, wie viel von Sankt Georg im Falle einer Neubebauung noch zu sehen wäre. 4,50 Meter war das Segeltuch hoch, das der Mann aus Gronau am Samstagmittag vor Ort gehisst hat. „Sechs Meter haben sie mir nicht genehmigt.“ Gleich hinter der Treppe hat er eine Eigenkonstruktion aus Holz und Stoff aufgestellt. Verdeckt wurde von dem schmalen Tuch wenig. Das Interesse der Bevölkerung hielt sich in Grenzen.
Gegen eine Bebauung werden Unterschriften gesammelt
Auf dem Papier hat Noll weitaus mehr Rückhalt. Mehr als einhundert Unterschriften dürften am Samstag dazugekommen sein - die Initiative hatte am Lammertsbrunnen einen zweiten Infotisch aufgebaut, wo man sich handschriftlich ebenfalls gegen eine Bebauung aussprechen konnte. Nach Angaben des BI-Initiators liegen bislang mehr als 800 Unterschriften vor. Diese sollen über seine Online-Petition und Unterschriftenlisten in der Stadt gesammelt worden sein.
In einem Leserbrief in dieser Zeitung hatte er im September zu einer neuen BI aufgerufen. Zunächst firmierte diese unter dem etwas pathetischen Namen „Je suis Schorsch“. Heute nennt sie sich pragmatisch und unmissverständlich „Kein Gebäude vor der Bensheimer Kirche St. Georg“.
Jürgen Noll sagt, was alles seiner Meinung nach nicht in Ordnung ist
Sauer und genervt über den wechselhaften Kurs in der Stadt hatte sich der Rentner erstmals im März 2023 ans Flecksche Haus (!) gestellt, um Bürger direkt zu adressieren. „Man findet einfach keine Lösung, die allen schmeckt, und auch die verantwortlichen Politiker reden nicht Tacheles“, sagt er gegenüber dem BA. Er habe selbst mit dem damaligen Bürgermeister Rolf Richter gesprochen, der nach dem Abriss die berühmte Reißleine gezogen hat. Im Dialog mit dem Rathaus habe er so viel Ignoranz und Desinteresse vernommen, dass er selbst aktiv werden wollte. Er schloss sich der „Vereinigung der mutigen Bürger“ um Edbill Grote an.
Es waren der Ankauf des Kaufhauses Krämer für zwei Millionen Euro, die umstrittene Rolle der MEGB (Marketing- und Entwicklungsgesellschaft und hundertprozentige Tochter der Stadt Bensheim) sowie der Abriss vom Haus am Markt, „das damals etliche Millionen Steuergelder gekostet hat“, was ihn dazu motiviert habe, auf die Straße zu gehen und zu sagen, was alles seiner Meinung nach nicht in Ordnung sei.
Option der Bürgerbeteiligung sei vertan worden
Anstatt eines Neubaus am oberen Marktplatz propagiert man eine multifunktionale Freiflächengestaltung in einer Mischung aus angedeuteter Freilichtbühne und Grünanlage - unter anderem mit „kultureller Nutzungsmöglichkeit und mit Aufenthaltsqualität zu jeder Jahreszeit für alle Generationen“. Dabei nimmt die BI ausdrücklich Bezug zu den Vorschlägen des Bensheimer Kulturunternehmers Klaus P. Becker, der sich im Sommer 2023 erfolglos darum bemüht hatte, seine Ideen für eine kulturelle Nutzung der Fläche in der Stadtverordnetenversammlung vorzustellen.
Jürgen Noll glaubt nicht, dass knapp fünf Jahre nach der Abrissbirne niemand mehr Interesse an der Zukunft des Kirchenvorplatzes hat. „Das bewegt die Leute weiterhin.“ Im letzten Monat hatte sich die Bürgerinitiative „Bensheimer Marktplatz Besser Beleben“ von der Bildfläche verabschiedet mit dem Kommentar, dass man in Bensheim eine gute Chance leider verpasst habe. Den Ideenwettbewerb hielten die Akteure nicht grundsätzlich für falsch - kritisiert wurde aber die Kooperationsbereitschaft von Seiten der Stadt. Die Option eines echten Bürgerbeteiligungsprozesses sei leider vertan worden.
Ausstellung der Wettbewerbsbeiträge am 29. Februar
Noll befürchtet nun, dass die „von vielen Bürgern eingeforderte“ Null-Bebauung im zweiten Ideenwettbewerb keine Rolle spielen wird. „Ich möchte eine demokratische Entscheidung über die Zukunft des Marktplatzes“, betont er. Doch jedes beteiligte Planungs- und Architekturbüro werde sich wohl zwangsläufig für irgendeine Form der Bebauung aussprechen. Dies liege in der Natur der Sache und sei nicht zu beklagen, führe aber zu einem einseitigen Prozess, ohne die Stimmen der Bensheimer Bürger zu hören. Viel Zeit bleibe nicht mehr, um einzugreifen, so der Gronauer.
Ab 29. Februar werden die Wettbewerbsbeiträge in Sankt Georg ausgestellt. Am 2. März kann man sie im Bürgerhaus ansehen. Dann sollen auch Bürger ihre Anregungen äußern können. Die Präsentation der finalen Siegerentwürfe findet am 24. April im Kolpinghaus statt. Jürgen Noll befürchtet, dass es mit der freien Sicht auf Sankt Georg bald vorbei sein dürfte. Die Verbauung des „Schorschblicks“ wäre für viele Bensheimer die Schlachtung einer heiligen Kuh. Auch der Bürgerinitiator hielte das für eine Schande.
"Bausünde" vermeiden, um am "Bensheimer Flair" festzuhalten
Die Kirche habe für die Stadt eine wichtige städtebauliche und historische Bedeutung, sagt er. Zusammen mit der Darmstädter Ludwigskirche sei das Bauwerk beispielhaft für den Klassizismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie für die erste Wiederaufbauphase in den 50er Jahren. Diese Kombination mache sie über die Bergstraße hinaus einzigartig.
Auch Touristen hielten das katholische Gotteshaus gerne im Bild fest. „Der Marktplatz ist ein zentraler Ort unserer lebenswerten Heimatstadt“, so Jürgen Noll am Samstag auf dem Marktplatz. Er möchte den Platz als gesellschaftlich-kulturellen Treffpunkt und freien Gestaltungsspielraum erhalten sowie Investitionskosten und damit auch Steuergelder sparen.
Das berühmte „Bensheimer Flair“, dessen Existenz nicht jeder wirklich erkennen kann, müsse an diesem Ort unbedingt erhalten bleiben. Eine weitere „Bausünde“ sei daher auf jeden Fall zu vermeiden.
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