Lesefestival

Spannung und Nervenkitzel bei der Bensheimer Kriminacht

Franziska Franz und Michael Kibler fesselten ihre Zuhörer im Pipapo-Kellertheater mit zwei Kriminalgeschichten, die in Frankfurt und Darmstadt spielen.

Von 
Gerlinde Scharf
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Franziska Franz las bei der Kriminacht im Pipapo-Theater aus ihrem Buch „Tatort Kettenhofweg“. © Thomas Zelinger

Bensheim. Sechs Leichen in einer Villa im noblen Frankfurter Westend. Wer um Gottes willen hat den privaten Bordellbesitzer Gabor Bartos, dessen Ehefrau Ingrid und vier Prostituierte bei Nacht und Nebel aufs Grausamste ermordet? Hatte eine Bande, ein Einzeltäter, ein verprellter Freier oder gar die Mafia ihre Hände mit im Spiel? Oder war es möglicherweise eine Lebensmittelvergiftung?

Und gelingt es dem Darmstädter Privatdetektiv Steffen Horndeich tatsächlich, 40 Jahre nach dem gewaltsamen Tod der 24-jährigen Charlotte Fries, das Verbrechen doch noch aufzuklären und den Täter zu entlarven? Fragen über Fragen und Spannung pur, mit denen die Autorin und True-Crime-Podcasterin Franziska Franz und Bestsellerautor Michael Kibler das Publikum im restlos ausverkauften PiPaPo-Kellertheater „fütterten“.

Seit vielen Jahren schon genießt die Kriminacht beim Bensheimer Lesefestival Kultfaktor. Und dieses Mal gingen die Hobbyermittler und weiblichen Detektive nur wenige Kilometer von Bensheim entfernt, im nah gelegenen Darmstadt und in Frankfurt auf Verbrechersuche. Schnelle Erfolgserlebnisse gab’s für die Zuhörer allerdings nicht, und es klickten auch keine Handschellen. Vorerst jedenfalls. Schließlich verabreichten Franziska Franz mit ihrem ersten Frankfurt-Krimi „Tatort Kettenhofweg“ und Michael Kibler mit „Bunkermädchen“, seinem 19. Band mit dem erfolgreichen Ermittlerduo Horndeich/Jana Welzer, den Zuhörern zwar eine reichliche Portion Nervenkitzel, aber das Ende der Storys blieb im Dunkeln. Abhilfe schuf der Büchertisch der Buchhandlung Schlapp, auf dem ausreichend viele Exemplare der spannenden Regional-Krimis bereit lagen.

Mit dem Thriller „Tatort Kettenhofweg“ hat Franz einen der spektakulärsten Kriminalfälle Frankfurts, der vor mehr als 20 Jahren deutschlandweit für Aufsehen sorgte, „genau recherchiert“ und so authentisch wie nur irgend möglich in ihrem Buch nacherzählt. Tatsächlich machte die Frankfurter Mordkommission am 15. August 1994 in einer Gründerzeitvilla im Kettenhofweg 124 eine schreckliche Entdeckung. Sechs Personen, darunter der Besitzer des privaten Bordells, wurden erdrosselt aufgefunden. Einziger Überlebenden im Haus war Hund Struppi.

Michael Kibler hatte seinen Krimi „Bunkermädchen“ nach Bensheim mitgebracht. © Thomas Zelinger

Franziska Franz schildert das Geschehen rund um die Villa der Toten aus Sicht der Nachbarin, der Witwe Helga Lindemeyer, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes Heinz recht einsam fühlt. Mit ihren Freundinnen kippt sie beim Kaffeeklatsch ab und zu ein, zwei, drei Eierlikörchen, knuspert genüsslich ein Stück Frankfurter Kranz, hat ein Faible für alte Filme und sitzt die meiste Zeit am Fenster und beobachtet das Geschehen rundum. So auch die geheimnisvolle Villa, in der junge Frauen in Minirock, Stiefeln und Felljäckchen ein- und ausgehen. Dass es sich bei dem Etablissement tatsächlich um einen „Puff“ handelt, mag sie zunächst nicht glauben. Schließlich gilt der Kettenhofweg als eine „schöne, bevorzugte Wohngegend“, nicht zu vergleichen mit der „hässlichen Bahnhofgegend“. Und im Fenster der Villa hat sie auch „kein einziges rotes Licht gesehen.“ Helga vermutet eher, dass das Ehepaar Bartos „vielleicht ein Internat betreibt“, oder die Mädels als Putzfrauen beschäftigt. Oder sind sie etwa adoptiert?

Ihre Naivität bekommt einen kräftigen Knacks, als am Morgen des 15. August 1994 Streifenwagen der Polizei, Krankenfahrzeuge und schließlich zwei Leichenwagen und eine Menge Gaffer vor der Villa aufkreuzen. In den Abendnachrichten erfährt sie von der Tragödie: Sechs Menschen wurden ermordet. Helga ist geschockt und will unbedingt mehr über die Hintergründe des Verbrechens erfahren.

Zum Vergnügen der Zuhörer begnügt sich die Schriftstellerin und Podcasterin nicht allein mit der Schilderung des brutalen Verbrechens und den Umständen, die dazu geführt haben, sondern lässt es in den Dialogen gründlich und genüsslich „menscheln“. So palavert ihre Hauptfigur Helga mit Freundin Erika darüber, ob sich die Nachbarin etwa die Haare gefärbt hat, was deren natürliche Haarfarbe sein könnte und dass ihr Hund ständig Blähungen hat. Und sie beichtet über ihre Schwärmerei für den Hollywood-Star James Stewart.

Weiter geht’s nach einer kurzen Pause beim Finale des Lesefestivals mit einem „alten Hasen“: Michael Kibler, der mit seinen packenden, fiktiven Darmstadt-Krimis seit 20 Jahren eine große Fangemeinde begeistert, liest gewohnt charmant und professionell einige Kapitel aus seinem neusten Roman „Bunkermädchen“, der in diesem Monat erschienen ist, und richtet immer wieder das Wort direkt an die Zuhörer. Kibler lässt den Ex-Kommissar Steffen Horndeich, der sich nunmehr als Privatdetektiv seine Brötchen verdient, einen „Cold Case“ aus den 1980er Jahren wieder aufrollen. Immer an seiner Seite die selbstbewusste Partnerin und ehemalige Philosophiestudentin Jana Welzer.

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Zufällig erfährt Horndeich, dass sich vier Jahrzehnte nach dem Mord an der jungen Charlotte Fries, die neben einem Weltkriegsbunker auf einem ehemaligen Eisenbahngelände erdrosselt aufgefunden wurde, erstmals ein Zeuge gemeldet hat: Bislang tappte die Polizei, auch mangels Spuren, völlig im Dunkeln. In dem alten Bunker, auch „die Knell“ genannt, wurden neben der Leiche zwar fünf Matratzen gefunden, die darauf hindeuteten, dass hier Obdachlose nächtigten, aber niemand konnte bisher sagen, wer diese Personen waren, ob sie etwas mit dem Mord zu tun hatten oder den Täter gesehen haben.

Jetzt will ein Zeuge plötzlich „auspacken“. Er kennt den Namen von einem der Männer, die illegal in dem Bunker gehaust haben soll und beauftragt Horndeich und Welzer mit der Mordermittlung. Der Grund: Sein schlechtes Gewissen, weil er so lange geschwiegen hat. 66.000 Doller sind ihm die Recherchen wert. Ob die Identität des Täters aufgedeckt wird, verrät Michael Kibler nicht. Wie gewohnt baut er in die Handlung aber immer wieder feine humoristische Szenen mit ein, und auch eine Home-Story zum Privatleben seiner Hauptfigur mit Ehefrau Sandra und den drei gemeinsamen Kindern kommt nicht zu kurz. Kurzum, Kibler weiß, wie man Spannung aufbaut und die Leser, beziehungsweise Zuhörer, trotz Mord und Totschlag bei bester Laune hält.

Nach der knapp zweistündigen Lesung – inklusive kurzer Pause- signierten Franz und Kibler ihre Bücher und standen weiter Rede und Antwort. Beide Autoren bestätigten, dass schon im kommenden Jahr der nächste Krimi fällig ist: „Schreibblockaden gibt‘s nicht. Sie werden mit Bergsträßer Wein oder drei Eierlikörchen einfach ignoriert.“

Freie Autorin Seit vielen Jahren "im Geschäft", zunächst als Redakteurin beim "Darmstädter Echo", dann als freie Mitarbeiterin beim Bergsträßer Anzeiger und Südhessen Morgen. Spezialgebiet: Gerichtsreportagen; ansonsten alles was in einer Lokalredaktion anfällt: Vereine, kulturelle Veranstaltungen, Porträts. Mich interessieren Menschen und wie sie "ticken", woher sie kommen, was sie erreiche haben - oder auch nicht-, wohin sie wollen, ihre Vorlieben, Erfolge, Misserfolge, Wünschte etc.

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