Bensheim. Am 26. März 1945 wurde Sankt Georg durch Brandbomben bei einem Fliegerangriff bis auf die Außenmauern zerstört. Der brennende Kirchturm im Herzen der Stadt hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingeprägt.
Doch das Wahrzeichen der ältesten katholischen Kirchengemeinde in Bensheim ist durch seine exponierte Position nicht nur städtebaulich relevant, sie hat auch als identifikationsstiftendes Bauwerk für die Menschen nichts von ihrer Bedeutung verloren – wie die öffentliche Debatte über eine Bebauung des oberen Marktplatzes unterstreicht.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Einen „Schorschblick“ der ganz anderen Art kann man sich jetzt im Museum der Stadt Bensheim verschaffen. Der unmittelbare Nachbar am Ort hat eine neue Dauerausstellung konzipiert, die sich der Historie des Gotteshauses widmet, in ihren vielen thematischen Facetten aber weit über eine lineare Biografie hinausgeht. Die Exponate und Texte berichten von den Anfängen des romanischen Baus bis zur Wiedererstehung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das örtliche Leben mitgeprägt
Sie erzählt eine über tausendjährige Geschichte, die dem Besucher durch ihre plastische Struktur und lebendige Dramaturgie vitale Einblicke verschafft. Zur offiziellen Eröffnung am Samstag im Rahmen der Jubiläumsveranstaltungen anlässlich des 70-jährigen Jubiläums ihres Wiederaufbaus sprach Judith Schmidt vom Museumsverband Hessen von einer „sehr nahbaren Inszenierung“, die der Rolle der Kirche im Alltag der Menschen eine besondere Beachtung schenke. Der Verband vertritt die Interessen der hessischen Museen gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit und hat die Bensheimer Ausstellung finanziell gefördert.
Die Kulturanthropologin ist unter anderen zuständig für den Landkreis Bergstraße und lobte die Dauerausstellung als vielseitige Darstellung der Kirche, die für Bensheim nicht nur eine Institution an prominenter Stelle sei, sondern auch das örtliche Leben im Wandel der Zeit begleitet und mitgeprägt habe.
Unter dem Titel „Bensheimer Kostbarkeiten“ werden außerdem Meisterwerke liturgischer Schaugeräte von der Gotik bis zum Barock gezeigt. Darunter eine kostbare gotische Turmmonstranz von fast einem Meter Höhe, die filigran gearbeitet und kunstvoll verziert ist. Aber auch ein Kasel (Messgewand) mit einem spätgotischen Kaselkreuz sowie historische Bibeln, Rosenkränze und Kruzifixe sind in Vitrinen aus nächster Nähe zu sehen.
Eines der größten Exponate ist die Friedhofsglocke aus dem 17. Jahrhundert, die im 19. Jahrhundert umgegossen wurde. Als die Stadt Bensheim das Bischöfliche Konvikt 1981 vom Bistum Mainz erworben hatte und zum neuen Rathaus umbaute, wurde die Glocke gestohlen. Nachforschungen blieben ergebnislos. 2017 tauchte das vermisste Objekt wieder auf und erhielt einen Ehrenplatz im damaligen Heimatmuseum.
Lebendiges Bild im Laufe der Jahrzehnte
Darüber hinaus berichtet die Ausstellung vom christlichen Kirchenjahr, präsentiert Objekte der Volksfrömmigkeit sowie Zeitzeugenberichte von Bürgern, die den Moment des brennenden Kirchturms in eigenen Worten ausformulieren. „Geht amol schnell raus, ebe fällt die Kärsch“, wird die damals noch junge Elfriede Haus zitiert.
Aber auch Bilder von den Fronleichnamsprozessionen nach Kriegsende gehören zu diesen Bensheimer Kostbarkeiten, die Museumsleiter Jan Christoph Breitwieser in Zusammenarbeit mit vielen Akteuren zusammengestellt hat. Ein besonderer Dank richtete er an die Kirchengemeinde Sankt Georg, die zahlreiche Exponate aus dem Kirchenschatz, die sonst nur im Archiv in Tresoren aufbewahrt werden, beigesteuert hat.
Mit Pfarrer Christian Stamm, seit August 2021 in Bensheim, habe er einen historisch interessierten Menschen kennengelernt, der sich intensiv für die Kooperation mit dem Museum engagiert hatte, so Breitwieser bei der Eröffnung, zu der die Stadträtin Nicole Rauber-Jung zahlreiche Gäste begrüßte. Darunter viele, die zum Gelingen der Sammlung beigetragen haben.
Pfarrer Stamm, der am Sonntag zu einem Festgottesdienst eingeladen hatte (wir werden ausführlich berichten), betonte die konzeptuelle Qualität der Präsentation, die Kirche eng mit dem Leben der Menschen im Ort verbinde und so ein lebendiges Bild von Sankt Georg im Laufe der Jahrzehnte nachzeichne.
Beteiligung der Bürger
Breitwieser verwies auf den langen Vorbereitungs- und Entstehungsprozess der Dauerausstellung, der bereits unter Stamms Vorgänger Thomas Catta begonnen hatte. Er sprach von einem Konglomerat aus Stadtgeschichte, Kirchenhistorie und Volksfrömmigkeit, das rund 1200 Jahre umfasst und in ihrer inhaltlichen und medialen Vielfalt den Museumsbesucher direkt anspreche.
Auch die Zusammenarbeit mit dem Mainzer Dommuseum habe sich sehr positiv auf das Bensheimer Projekt ausgewirkt, das zudem durch eine breite Beteiligung der Bürgerschaft getragen worden sei. Breitwieser sprach allen Beteiligten seinen Dank aus. Auch jenen, die sich wissenschaftlich oder kreativ an der gelungenen Umsetzung des Konzepts beteiligt hatten. Sei es in punkto Design und Licht, Gestaltung und Beratung oder in der medial so diversen Inszenierung dieser lokalen Kostbarkeiten.
Judith Schmidt vom Museumsverband betonte den hohen qualitativen Anspruch des Bensheimer Museums und seines Leiters. Das Haus sei „in besten Händen“. Breitwieser ist Mitglied im Verbandsvorstand.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-bensheimer-kostbarkeiten-im-museum-_arid,2136141.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html