Bensheim. So muss in Weiden in der Oberpfalz neben der Nummer auch der der Straßenname auf dem Schild stehen. Im oberbayrischen Unterschleißheim darf man die Hausnummer nicht über der Tür anbringen, sondern neben dem Hauseingang und in nicht mehr als 2,5 Metern Höhe. Außerdem soll das Schild kobaltblau sein und eine genau definierte Größe haben.
In Bensheim scheint es solche Verordnungen derzeit nicht zu geben, oder wenn, dann sind sie kaum bekannt. Denn wer in den Straßen auf diese kleinen, aber wichtigen Informationen achtet, findet eine große Breite an Gestaltungen: vom handgetöpferten Exemplar bis zur solarbeleuchteten modernen Variante.
Auch etliche historisierende Nummernschilder sind dabei, etwa die emaillierte weiße Nummer auf blauem Grund, wie sie um 1900 vielerorts in Deutschland gebräuchlich war und als antik heute auf Online-Marktplätzen häufig angeboten wird. Auch alte emaillierte Schilder in anderen Farben findet man dort. Nicht aber Hausnummern, wie sie in Bensheim zur gleichen Zeit üblich oder vielleicht sogar verlangt waren!
Denn hier scheint es eine besondere Variante der Hausnummer gegeben zu haben. In den Stadtvierteln, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts entstanden sind, sieht man sie an vielen Häusern: Es sind aus Eisen massiv gegossene, plastische Schilder, etwa 16 mal 22 Zentimeter groß, mit stark erhabenen, voluminösen Ziffern, deren gerundete Formen ein bisschen an aufgegangenen Hefeteig erinnern.
Dabei ist es gleichgültig, ob man sich in den einstmals vornehmeren Gegenden wie dem nördlichen Villenviertel bewegt oder zwischen den Häusern der einfacheren Leute: Von der Metzendorfvilla bis zum Haus am Griesel haben viele Hausbesitzer die alte Nummer stets bewahrt, auch wenn die Platte oft stark eingeputzt und mehrfach mit Farbe überstrichen wurde. Auch an noch älteren Häusern, etwa in der Hauptstraße oder in der Hasengasse, sieht man diese Schilder noch recht oft.
In Auerbach dagegen haben mehrfache Recherche-Spaziergänge keine solchen Nummern auffinden lassen, es gibt in der Bachgasse allerdings einige etwas ähnliche, jedoch viel kleinere Exemplare.
Historische Hintergründe im Dunkeln
Auch in den nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Bensheimer Wohngebieten gibt es diese Nummern offenbar nicht.
Die historischen Hintergründe für die Anbringung dieser Hausnummern liegen bislang im Dunkeln. Bekannt ist nur, dass 1836 in Bensheim beschlossen wurde, den Straßen Namen zu geben und dass dieser Beschluss offenbar 1873 erneuert wurde, mit der Maßgabe, Täfelchen mit den Straßennamen anzubringen, die von der Stadtkasse bezahlt wurden.
Von individuellen Hausnummern ist dabei nicht die Rede. In einigen anderen Städten sind Regeln zur Vergabe, jedoch nicht unbedingt zur sichtbaren Anbringung von Hausnummern schon aus dem 18. Jahrhundert bekannt.
Sinnvoll sind Hausnummern einerseits für die Verwaltung und Kontrolle. Ihre Sichtbarkeit für jedermann ist aber erst dann wichtig, wenn Liegenschaften schnell aufgefunden werden müssen - von fremdem Besuch oder etwa von Rettungsdiensten.
Wann genau es in Bensheim so weit war, ist vorerst ungeklärt. Da die Nummern nur an vor etwa 1910 gebauten Häusern angebracht wurden, und zwar sowohl an solchen, die schon seit Jahrhunderten standen als auch an Neubauten, könnte man sich vorstellen, dass die Anbringung von Hausnummern zwischen 1873, als die Straßenbeschilderung beschlossen wurde, und dem Ende des 19. Jahrhunderts verlangt wurde und alle Häuser dann in einem Zug bestückt wurden. Spekulieren kann man bisher auch nur über die Herkunft der einheitlichen Beschilderung.
Vielleicht wurden die Nummernschilder in einer damals neu gegründeten Bensheimer Eisengießerei gegossen. 1894 wurde die Firma L. Netz & Söhne gegründet, die direkt an der Bahnlinie in der Nähe der heutigen Gartenstraße lag.
Möglicherweise wurden dort in erster Linie Teile für den Bahnbetrieb gegossen oder andere Formteile im Zuge der Industrialisierung. Spätestens 1904 wurde die Gießerei dann von den Brüdern Schnellbächer betrieben, später und bis 1921 dann unter dem Namen Schlenker & Co. Ein Auftrag zum Gießen von Hausnummern war sicher kein Großprojekt, aber vielleicht doch gedacht, um das heimische Handwerk zu fördern.
Die verwendete Schrift ähnelt der serifenbetonten „Clarendon“, die in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Siegeszug antrat. Auffällig sind die ausgeprägten „Tropfen“, durch die die Ziffern gut lesbar und zugleich dekorativ sind.
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