Energiedialog

In Bensheim mehr Tempo bei der Energiewende gefordert

Über 150 Teilnehmer waren beim Energiedialog im Bürgerhaus in Bensheim dabei. Über ein spannendes Format mit „Wetterfrosch“ Thomas Ranft, kreativen Ideen und barrierefreien Perspektiven.

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Thomas Tritsch
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Der Klimaexperte und TV-Moderator Thomas Ranft moderierte den Energiedialog der Stadt Bensheim am Samstag im Bürgerhaus. Rund 150 Teilnehmer waren gekommen. © Thomas Zelinger

Bensheim. Der Wissenschaftsjournalist und „Wetterfrosch“ Thomas Ranft erkennt im Diskurs über die Energiewende einen gravierenden Fehler im System: Bürger würden zu spät eingebunden, obwohl sie ein maßgeblicher Teil eines revolutionären Transformationsprozesses sind. Und wenn sie ihre Stimme einbringen dürfen, würde diese letztlich nur über Stellungnahmen und Einspruchsfristen definiert.

Doch wer aufgefordert wird, einen politisch bereits auf den Weg gebrachten Kurs – etwa während einer Offenlage – zu einem späten Zeitpunkt zu kommentieren, der werde im Grunde bereits zum persönlichen Veto aufgerufen. Dieses Vorgehen entspreche einer Teilhabe im Negativen und verhindere, dass sich Menschen früh, konstruktiv und aus einer positiven Haltung heraus einbringen und Veränderungen mitgestalten wollen.

„Wenn Kommunikation erst mit der Möglichkeit des Einspruchs beginnt, kann es nur ein Dagegen geben“, gab Ranft zu Bedenken. Es gehe aber um die Frage, was sich die Menschen von einer Sache wünschen und erhoffen – und wie sie für die ganz persönlich in ihrem eigenen Umfeld positiv besetzt werden könne. Auf diese Weise bringe man nicht nur andere Gedanken in Gang, sondern ermögliche auch eine auf breiter Basis getragene Dynamik ihrer Verwirklichung.

„Zukunft im Dialog mit den Bürgern gemeinsam gestalten“

Die gut 150 Teilnehmer, die am Samstag zu einer über dreistündigen Vortrags- und Dialogforum ins Bensheimer Bürgerhaus gekommen waren, brachten zumindest die Motivation mit, sich über grundlegende Ursachen des Klimawandels und aktuelle Entwicklungen auf dem Markt der Erneuerbaren Energien zu informieren und selbst einzubringen. Der Termin wurde von der Stadt Bensheim als Teil der übergeordneten Debatte angesetzt, bei der es darum geht, wie man die Ziele der Energiewende auf lokaler Ebene gestalten und erfolgreich umsetzen kann.

Im Rathaus kümmert sich darum in erster Linie das Team Klimaschutz, Umwelt und Energie mit dem städtischen Energiebeauftragten Steffen Giegerich. Im Bürgerhaus begrüßte Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung Vertreter aus Kommunalpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft, um den bereits begonnenen Austausch zwischen Bürgern, Verwaltung und Fachleuten weiterzuführen und zu intensivieren. „Wir wollen eine sachliche und faire Diskussion, wir möchten Potenziale aufzeigen und die Zukunft im Dialog mit Bürgern gemeinsam gestalten“, so die Umweltdezernentin.

TV-Moderator Thomas Ranft war eine gute Wahl. Der ARD-Wetter- und Klimaexperte hat es auf verbindliche Art und Weise geschafft, ein komplexes Thema allgemeinverständlich darzustellen und im weiteren Verlauf des Nachmittags auch kritischen und kollidierenden Haltungen Raum zu geben, ohne die Veranstaltung in einem ideologischen Kleinkrieg versanden zu lassen. Ein Profi halt.

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Doch zunächst hat es der sympathische Ranft in einem kurzen Impulsvortrag darauf angelegt, den Gästen richtig schlechte Laune zu machen: Mit der Ausbeutung des Planeten feiere die Menschheit des 20. und 21. Jahrhunderts eine rauschhafte Plünderungs-Party des Jahrtausends, bei der sämtliche Ressourcen ausgesaugt werden, ohne an Morgen oder gar an Übermorgen zu denken. Mit der Konsequenz, dass existenziell bedrohliche Klimaveränderungen nicht mehr aufzuhalten sind.

Ranfts pessimistischer Kommentar war pure Selbstkritik: Der Mensch neige leider dazu, eine Menge Durcheinander anzurichten und ignorant darüber hinwegzusehen. Es sei wie eine Party in einem Supermarkt, bei der sich jeder nach Gusto bedient, aber weder aufräumt noch bezahlt. Den Treibhauseffekt mit zu viel Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe erklärte er am Beispiel eines Glashauses. Das Sonnenlicht gelangt durchs Glas auf den Erdboden, der sich erwärmt. Die von ihm abgegebene Wärmestrahlung kann aber aufgrund einer anderen Wellenlänge nicht mehr durchs Glas zurück. Der Raum wird immer heißer. Dies sei 1. Klasse Mathematik.

Kohlendioxid bleibt rund 1000 Jahre lang, bis es abgebaut ist

Und weil die Menschen seit über 100 Jahren immer mehr Öl, Gas und Kohle verbrennen, wird immer mehr CO2 freigesetzt. 40 Prozent davon sammeln sich in der Atmosphäre an. Das Fatale: Kohlendioxid bleibt dort rund 1000 Jahre lang, bis es abgebaut ist. „Wir müssen aufhören, fossile Rohstoffe zu verbrennen“, so der Meteorologe. Und zwar komplett. Eine Alternative gäbe es nicht. Reduzierungen seien kein Weg, um die „extreme Zunahme von Wetterextremen“ noch irgendwie ausbremsen zu können. Dachbegrünungen, Aufforstungen, die Förderung der Biodiversität: alles gut und richtig. „Lösen werden wir das Problem damit aber nicht“, so Thomas Ranft in Bensheim, wo er mahnend für eine alternative Energiegewinnung durch Sonne und Wind warb.

Man müsse Windräder nicht unbedingt schön finden, doch sie seien ein wesentlicher Bestandteil der künftigen Energieversorgung. Neben technologischen Neuerungen und deren Nutzung komme es aber vor allem auf den Menschen an, der sich in seinem alltäglichen Mikrokosmos an das Problem anpassen muss. Sprich: das eigene Verhalten reflektieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Nicht die Politik oder die Wissenschaft rette die Welt, sondern der einzelne Mensch in purer Eigeninitiative in seinem unmittelbaren Umfeld. Momentan gehe bereits vieles in die richtige Richtung. „Aber wir müssen noch etwas schneller werden!“

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ps
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Erich Merkle gehört vielleicht zu jenen kreativen Machern, von denen sich Thomas Ranft im Bürgerhaus viel mehr gewünscht hat. Der Wirtschaftsingenieur überdacht Ackerflächen. Unter anderen. Als CEO und Vorstand der Grid Parity AG hat er bereits vor zwanzig Jahren erste Entwicklungen angestoßen und mehrere Patente angemeldet. Seit acht Jahren konzentriert er sich von München aus auf integrierte Anwendungen zur Eigenstromerzeugung in sehr unterschiedlichen Marktsegmenten. Seine Spezialität sind Photovoltaik(PV)-Überdachungen: über landwirtschaftlichen Flächen, Sportplätzen, Schwimmbädern, Golfpanlagen sowie Park- und Campingplätzen – und vieles mehr. Halbtransparente und flexible Doppelglas-Module lassen Licht durch, schützen den Boden aber vor Extremwettern und Überhitzung und ernten gleichzeitig ein Maximum an Sonnenenergie.

Mit seinen Agri-PV-Modulen war er vor zwölf Jahren in Ägypten. In der Wüste sind die Pflanzen verdorrt. „Die Pflanzen sind durch die Verschattung viel besser gewachsen als ohne Solardach“, berichtet er in Bensheim. Gleichzeitig könne der Strom direkt von der Landwirtschaft vor Ort für Geräte und Maschinen genutzt werden.

Unter dem Schlagwort Urban PV (innerstädtische Photovoltaik) will der CEO Kommunen dabei helfen, möglichst viele Flächen der Stadt- und Landschaftsarchitektur ohne zusätzlichen Flächenverbrauch als Energielieferanten zu nutzen. Solare Überdachungen etwa für Schulhöfe und Spielplätze werten versiegelte Flächen auf und erlauben die Nutzung an regnerischen Tagen, sagt er. Der unmittelbare wirtschaftliche Nutzen sei dabei nur ein Nebenaspekt. PV-Überdachungen seien nicht nur ästhetisch attraktiv, sondern als Schattenspender und Schutz vor Niederschlägen wie Regen, Schnee und Hagel überaus sinnvoll. Auf diese Weise könne auch eine Stadt wie Bensheim einfach und wirkungsvoll zusätzliche Flächen zur Energiegewinnung erschließen. „Man muss es nur wollen“, so der Firmenchef.

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