Konzertkritik Indie-Pop

Wie die Sportfreunde Stiller in Heidelberg zu bayerischen Backstreet Boys werden

Ein Kompliment: So viel Spaß hat das Konzert der Optimismus-Ultras aus München im ausverkauften Karlstorbahnhof  gemacht. Die in Mannheim gegründete Vorgruppe Shitney Beers begeistert

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Jörg-Peter Klotz
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Massenhaft "Applaus, Applaus" gab es für die Sportfreunde Stiller (von links) Peter Brugger, Florian "Flo" Weber und Rüger "Rüde" Linhof im ausverkauften Karlstorbahnhof. © Rudolf Uhrig

Heidelberg. Die offiziell 713 Stehplätze im Saal des Karlstorbahnhofs sind seit Monaten ausverkauft: Kein Wunder, mit dem Konzert der  Sportfreunde  Stiller steht am Freitagabend das das erste große Pop-Event des Jahres im Kalender des vor 15 Monaten in den Heidelberger Süden umgezogenen Kulturhauses. Die Münchner nutzen alle Möglichkeiten der für Club-Verhältnisse großen Bühne - mit vergleichsweiser opulenter Licht-Show und für deutsche Indie-Rock-Verhältnisse erfreulich differenziertem Sound. Das geht bis zu kleinen Details wie dem Kreuz aus dem an Monthy Python erinnernden Albumtitel „Jeder nur ein X“ (2022), das in den Lichtkaskaden aufscheint.

„Ibrahimovic“ zu Beginn

Die am Ende mehr als zweistündige Show beginnt nach dem gelungenen Vorprogramm der in Mannheim gegründeten Indie-Pop-Band Shitney Beers um Punkt 21 Uhr wie das Intro eines modernen Rap-Tracks, Wie in diesem Genre gern genommen, trägt der erste Song des Abends gleich einen genialischen Macho-Fußballprofi im Titel: „Ibrahimovic“. Der schwedische Ex-Weltklassestürmer mit dem überbordenden Zlatan-Ego wird im  Text wie eine Mischung als großer Bruder und Flaschengeist eingesetzt. Der alles schon richten wird, wenn man Ärger hat  

Das passt zur positiven Haltung dieser drei Optimismus-Ultras, die eigentlich nicht so recht in diese krisengeschüttelte Zeit passen will. Aber gerade deshalb ist der Abend so wohltuend wie Sonne im Januar, wie sich schnell zeigt – und hat mehr als nur eine gute Seite, die die Sportys in ihrer letzten Zugabe besingen.

Das hat auch mit dem begeisterungswilligen Publikum zu tun. Das bereitet der zeitwilligen Popakademie-Studentin und Shitney-Beers-Frontfrau Maxi Haug „ein halbes Heimspiel“, wie es die Sängerin nach dem Konzert selbst ausdrückt. Das heißt: Im durchgängig fast voll besetzten Saal lassen sich alle Zuhörenden bis 20.40 Uhr ziemlich komplett auf den teilweise sehr feingliedrige Indie-Pop der Ex-Mannheimerin ein und verabschieden Shitney Beers mit viel Applaus. Mehr kann man im Vorprogramm  einer großen Band mit vielen Mitsinghymnen nicht erreichen.

Hintergrund

Mehr als nur "Ein Kompliment" für den neuen Heidelberger Karlstorbahnhof

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Jörg-Peter Klotz
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„Alles Roger!“ ist Programm

Aber auch die Hauptdarsteller führen auswärts in Heidelberg schnell höher als Rekordmeister Bayern zuhause gegen die TSG Hoffenheim im parallel laufenden Bundesligaspiel: Denn auch im zweiten Lied ist „Alles Roger!“– mit Ausrufezeichen und heftigem Mitklatschen. „Man kann nicht nur traurige Lieder singen“, legt Gitarrist und Vokalist Peter Brugger im Song „Frühling“ nach. Bevor der immer noch jungenhaft charmante 51-Jährige die Fans daran erinnert: „Hey, die Tage werden schon wieder etwas länger.“

Der Sänger findet viel Grund zur Freude an diesem Abend, vor allem darüber, dass ähnlich wie in Mannheims Alter Feuerwache 2022 nach der gut fünfjährigen Trennung der Band wieder ein volles Haus zusammen gefunden hat. Er findet es auch schön, wieder in Heidelberg zu sein: Beim Blick zurück auf Konzerte im Schwimmbad Musik Club und im alten Karlstorbahnhof am Rande der Altstadt sagt er „lang, lang Ist’s her - zu lang!“ Und Drummer Flo Weber verspricht am Schluss, dass es nicht wieder 15 Jahre dauert.

Diese Beziehung zu den Fans aber lange dauern: Denn vorn im Bühnengraben tummeln sich erstaunlich viele Kinder, so dass Brugger verrät, wie sehr es ihn anrührt, dass mittlerweile drei Generationen „mit unserer Musik etwas anfangen können“.

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Dass die Sportfreunde nicht nur Gute-Laune-Onkel sind, zeigt sich, wenn der Frontmann vom verlorenen Zugang der Bandmitglieder untereinander berichtet, der zur Pause geführt hat. Es folgt der aktuelle Song „Wächter“, der wie vieles an diesem Abend Gemeinsinn beschwört. Musikalisch läuft das alles wie geschmiert. Der Sound wird kompetent verdichtet vom in Heidelberg geborenen Gastgitarristen Mario Radetzky, Frontmann der Münchner Rockband Blackout Problems.

Strahlende Gesichter bei "Applaus, Applaus" und Co.

Noch wichtiger ist aber das Zusammenspiel zwischen der vor 28 Jahren gegründeten Band und ihren Fans: Die nehmen die neueren Songs fast genau so freudig auf wie die Klassiker. „New York, Rio Rosenheim“, „Applaus, Applaus“, „Komm schon“ und „Kompliment“ sorgen für strahlende Gesichter, Bewegung und Mitsingen. Wenn das bei Letzterem mit voller Inbrunst geschieht, wird auch der Letzte von der positiven Stimmung angesteckt. Und auch das Trio gibt sich gewohnt verspielt und ergänzt das selbstironische Punk-Stück „1. Wahl“ um den Boygroup-Hit „I Want It That Way“ und Brugger ruft „You can call us the Bavarian Backstreet Boys“.

In der Zugabe singt das Publikum den Refrain von „Lass mich nie mehr los“ unaufgefordert weiter. Ein sehr schöner Moment, den Brugger als Steilvorlage aufnimmt und in ein Plädoyer verwandelt – gegen eine rechtsextreme Partei, die zurzeit viel Zulauf habe und deren Namen er nicht nennt. Angesichts dieser erschreckenden Tendenzen begeistert es den Sänger, „dass bei unseren Konzerten ganz unterschiedliche Leute kommen und zusammen singen. Das bräuchten wir in diesem Land mehr, dass wir zusammen sind.“

Plädoyer gegen die AfD und für Zusammenhalt

Das Gefühl von Zusammenhalt verstetigt sich bei den weiteren Zugaben wie dem poltischen „Du bist eine Bank“, der ewigen Spaßnummer „Ich, Roque“, „Siehst du das genau so“ und „Es muss was Wunderbares sein (von mir geliebt zu werden)“ mit vertauschten Rollen an Mikrophon und Schlagzeug.

„Fast wie von selbst“ fühlt man sich um kurz nach 23 Uhr „Auf der guten Seite“ – nach einem Konzert, dem sich alles so gut fügt, wie die Titel der beiden Schlussnummern.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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