Auerbach. Der brutale Überfall der Hamas-Terrororganisation auf Israel am 7. Oktober hat die Welt aufgerüttelt. In Deutschland allerdings sind bislang nur recht wenige Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den „Angriff auf die Menschenrechte und das Wertesystem“ zu demonstrieren und ihre Solidarität mit Israel zu bekunden. Stattdessen erreichte das Land eine Welle von Antisemitismus.
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„Die Zivilgesellschaft hat im Gegensatz zu Politik und Medien weitgehend kühl und zurückhaltend reagiert. Man fühlt sich allein gelassen“, äußerte sich Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, in der Alten Synagoge in Auerbach verwundert und enttäuscht. Sonntagsreden allein seien nichts wert, wenn Mitgefühl und Empathie nicht vorhanden sind. Es fehle das Verständnis, welche Gefühle es in Juden, die immer im Schatten der Schoah groß geworden sind, auslöst, ihren „sicher geglaubten Zufluchtsort Israel, ein Land, das uns im Ernstfall nicht die Türe vor der Nase verschließt“ zu verlieren. Er selbst betrachte Israel als seine „spirituelle Heimat“, gleichwohl es nicht der Ort sei, „wo ich meinen Lebensabend verbringen wollte“. Bei aller berechtigten Kritik an der israelischen Regierung und ihren Entscheidungen stehe man fest an der Seite Israels. Es gehe um das Überleben des einzigen jüdischen Staates.
Gedenken auf die Zukunft gerichtet, um Gesellschaft voranzubringen
Gemeinsam mit Philip Krämer, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Darmstadt, sprach er auf Einladung des Synagogenvereins Auerbach über Themen wie „Erinnern und Gedenken“, über Fragen des Umgangs mit Minderheiten und warum auch heute Holocaust-Gedenkstätten als „authentische Orte, die einen Hauch von Eindruck vermitteln, was geschehen ist“, Sinn machen und „enorm wichtig sind“. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Zeitzeugen sterben und nicht mehr über den Horror und das ihnen zugefügte Unrecht und die Leiden berichten können.
Neumann nannte die Mahnmale „Berührungspunkte mit der Vergangenheit“, in der junge Menschen die Atmosphäre „aufsaugen, Geräusche und Gerüche wahrnehmen können“ – trotz Missbrauch und Schändung durch Einzelne. Man dürfe nicht erwarten, dass es jedem etwas bedeute. Ursula Schlosser, Vorsitzende des Synagogenvereins, moderierte die Diskussionsrunde, an der sich die Besucher ebenfalls lebhaft beteiligten. Geschichte wecke ein Bewusstsein dafür, was Demokratie bedeute und welche Schlüsse man für die Zukunft ziehen kann und muss. „Das Gedenken ist in erster Linie auf die Zukunft gerichtet, um die Gesellschaft voranzubringen“, betonte Philipp Krämer.
Nicht in althergebrachten Gewohnheiten erstarren
Dass in Deutschland derzeit „vieles auf die Nazizeit projiziert“ und viele Vergleiche gezogen würden, beurteilten sowohl Neumann als auch Krämer kritisch. Es sei wichtig zu differenzieren. Die AfD sei eine „schwierige Partei“, aber die soziale, politische und rechtsstaatliche Situation sowie der beim Potsdamer Treffen aufgekommene Begriff der „Deportation“ und der Aufmarsch neuer Nazis sei mit dem Nationalsozialismus und der Vernichtung in den Konzentrationslagern nicht gleichzusetzen: „Wir müssen Lehren aus der Vergangenheit ziehen, um die Probleme von heute zu sehen und dagegen anzukämpfen“, appellierten sie an die Gesellschaft.
Dem von Teilen der jungen Generation kritisierten „Gedächtnistheater“ um den Holocaust setzte der Direktor und Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden die Unverzichtbarkeit von Ritualen entgegen. Gleichwohl dürfe man nicht in althergebrachte Gewohnheiten erstarren. Lieder wie die „Moorsoldaten“ und eine bestimmte Art von Veranstaltungen bedeuteten der Jugend nichts mehr. Vielmehr müsse man auch Schülerinnen und Schülern vertrauen, eigene Wege zu gehen, sich politisch zu betätigen und eigene Rituale zu finden, wie es heute schon an Schulen wie beispielsweise in Bensheim und Ober-Ramstadt der Fall sei. Daniel Neumann bezeichnete die Schule als „Zukunftsaufgabe“.
Dem Narrativ der Rechten entgegentreten - Kundgebungen sind wichtig
Angesprochen wurden in diesem Zusammenhang Hetze und Fehlinformationen vor allem junger Menschen – unter anderem mit Migrationshintergrund – durch soziale Netzwerke und arabisch sprachliche Medien, in denen die Hamas als Beschützer vor dem Aggressor Israel, als eine Art Robin Hood, gefeiert wird. Der Bundestagsabgeordnete Krämer sprach von einer „gesellschaftlichen Herausforderung“, der man mit verschiedenen Strategien begegnen müsse. „Wir müssen dem Narrativ der Rechten entgegentreten, dass sie für die Mehrheit sprechen. Deshalb sind Kundgebungen wichtig“, riefen Neumann und Krämer abschließend dazu auf, sich nicht zu verstecken.
Ursula Schlosser informierte die Besucher darüber, dass sich die Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger auflöst und der Synagogenverein Auerbach ab sofort die Gedenkfeier zum Pogrom 1938 am Standort der ehemaligen Synagoge organisiert. Man wolle auch da neue Wege gehen und „die junge Generation machen lassen“. Die nächste Veranstaltung in der ehemaligen Synagoge findet am 28. Februar statt. Hartmut und Christiane Heinemann von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen lesen Auszüge aus den Buch „Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 bis 1945.“
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