BENSHEIM. Johann Sebastian Bachs allererste Adventskantate „Nun komm, der Heiden Heiland“ BWV 61 aus dem Jahre 1714 war das Hauptwerk beim von Klaus Thielitz dirigierten Adventskonzert der Bensheimer Kantorei und der Camerata Michaelis in der dicht besetzten Michaelskirche. Neben diesen beiden Ensembles hatte auch der von Ralph Dillmann geleitete Kinder- und Jugendchor der Michaelsgemeinde seinen Auftritt. Christoph Bergner übernahm die liturgischen Elemente der traditionell gottesdienstlich geprägten Veranstaltung und gab darüber hinaus eine kurze Einführung in die Bach-Kantate. Gemeinsam mit dem Publikum gesungene Lieder und Kanons rundeten das gut 75-minütige Programm ab.
Seit 1708 wirkte Johann Sebastian Bach als Organist und Kammermusiker am Weimarer Hof. 1714 erfolgte zusätzlich die Ernennung zum Konzertmeister der Hofkapelle mit der Pflicht „alle Zeit den vierten Sonntag in der fürstlichen Schlosskapelle ein Stück von seiner eigenen Komposition unter seiner Direktion“ zu präsentieren. Knapp zwei Dutzend Weimarer Kantaten haben sich erhalten – darunter Bachs früheste Adventskantate BWV 61, die am ersten Advent 1714 ihre Premiere erlebte. Neun Jahre später als frisch bestellter Leipziger Thomaskantor führte der Komponist das Werk an seiner neuen Wirkungsstätte nochmals auf – ein Zeugnis besonderer Wertschätzung.
Von herausragender Qualität und Originalität ist schon der ausdrucksstarke Eingangschor mit seiner im Stil einer französischen Ouvertüre gehaltenen kunstvollen Verarbeitung des 1524 (also vor genau 500 Jahren) veröffentlichten Luther-Chorals „Nun komm, der Heiden Heiland“. Die sicher singende Kantorei und das sorgfältig begleitende Instrumentalensemble (Continuo-Orgel: Wolfgang Portugall) fanden unter Thielitz’ sehr engagierter Leitung zu einer beeindruckend konturenklaren Wiedergabe dieses zugleich ernst und festlich gestimmten a-moll-Satzes. Ähnlich konzentriert gelang der auf dem Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ basierende G-Dur-Schlusschoral.
Das aus Mitgliedern des Mannheimer Nationaltheater-Opernchores bestehende Solistentrio vereinte die strahlkräftige Sopranistin Mariko Schröder (G-Dur-Arie „Öffne dich, mein ganzes Herze“), den geschmeidigen Tenor Bertram Kleiner (C-Dur-Arie „Komm, Jesu, komm zu deiner Kirche“) und den kurzfristig für Junchul Ye eingesprungenen Bassisten Bartolomeo Stasch. Im zentralen Jesus-Rezitativ „Siehe, ich stehe vor der Tür“ empfahl sich der mit wunderbar sonorem Timbre und kultiviertester Stimmführung aufwartende junge Sänger unbedingt für größere oratorische Aufgaben.
Darmstädter Hofkapellmeister
Wohl zum ersten Mal im Programm vertreten war an diesem Abend Musik von Christoph Graupner (1683-1760), der es in seiner rund 50-jährigen Amtszeit als Darmstädter Hofkapellmeister unter anderem auf über 1400 Kirchenkantaten brachte. Die zwei von Kantorei und Camerata vorgestellten Kantatensätze „Mit Ernst, o Menschenkinder“ (1728) und „Fröhlich soll mein Herze springen“ (1746) ließen erahnen, dass der lange vergessene Komponist und einstige Bach-Konkurrent um das Leipziger Thomaskantorat viel dankbares Repertoire zu bieten hat. Als quasi lokalpatriotische Mission sollte Graupners konzertante Wiederentdeckung ohnehin hohe Priorität genießen.
Vom reizvollen Wechselspiel zwischen dem für die Strophen zuständigen Chornachwuchs und der die Refrains beisteuernden Kantorei lebte John Rutters 1996 geschriebene Erfolgsmotette „Schau auf die Welt“, die den 1945 geborenen Engländer einmal mehr als charakteristisch sanftmütigen Ohrwurm-Garanten zeigte. Am E-Piano begleitete Wolfgang Portugall. Am Ende dieses reich bestückten Abends stand herzlicher Beifall für alle Beteiligten.
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