Das Problem mit überhöhten Erwartungen ist, dass die folgende Enttäuschung in ihnen meist schon angelegt ist. Was ist nicht alles in die an diesem Freitag beginnende Fußball-Europameisterschaft in Deutschland hineinprojiziert worden? Das Turnier soll die schlechte Stimmung in der Republik drehen, die politischen Probleme und Krisenherde vergessen machen, die vorherrschende Agonie durch lebenslustige Leichtigkeit ersetzen. Ein neues Sommermärchen, wie bei der Heim-WM 2006. Mindestens.
Dieser Versuch einer gesellschaftlichen Überfrachtung dieses sportlichen Großereignisses ist zum Scheitern verdammt. Seit 2006 gab es eine Bankenkrise, eine Pandemie, terroristische Anschläge, den Aufstieg einer rechtsextremen Partei, wieder einen Krieg mitten in Europa, Inflation. Es ist einfach zu viel passiert, das die Menschen durchgeschüttelt hat. Und Märchen auf Knopfdruck funktionieren ohnehin nicht.
EM als Gelegenheit, wieder über nette Nebensächlichkeiten zu diskutieren
Deshalb wäre es sinnvoller, die EM als das zu nehmen, was sie ist. Eine wunderbare Gelegenheit, vier Wochen lang wieder über nette Nebensächlichkeiten wie die Besetzung der deutschen Torhüter-Position zu diskutieren statt über harte Kost wie den Ukraine-Krieg. Ein bisschen Ablenkung vom Alltag, gute Stunden mit Freunden und Familie.
Damit das gelingt, muss die deutsche Mannschaft nach den schweren Enttäuschungen bei den zurückliegenden Turnieren wieder Euphorie im Land entfachen. Die Chancen, mindestens ins Halbfinale zu kommen, stehen gar nicht schlecht. Der Umbau des Teams unter Bundestrainer Julian Nagelsmann wirkt, die individuelle Qualität ist hoch, der Heimvorteil nie zu unterschätzen. Noch wirkt das Mannschaftsgebilde ein bisschen wacklig, aber die nötige Stabilität kann sich auch im Laufe des Turniers noch entwickeln.
Mehrere Nationen kommen als Europameister infrage
Dazu kommt die Tatsache, dass es bei dieser EM nicht den einen großen Favoriten gibt, sondern gleich mehrere Nationen, die als Europameister infrage kommen. Frankreich und England mit ihrer breiten Auswahl an Weltklassespielern sind da zu nennen, auch Portugal und Spanien bieten ganz viel Talent auf.
In diesem illustren Kreis der möglichen Titelkandidaten bewegt sich auch die DFB-Elf. Und das ist eine viel bessere Ausgangslage, als sie noch nach den heftigen Rückschlägen im vergangenen Herbst gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) denkbar schien. Allerdings gilt auch in diesem Fall: Man sollte nicht den Fehler machen, seine Erwartungen an die deutsche Auswahl zu überhöhen.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Warum es keine gute Idee ist, die Fußball-EM mit zu hohen Erwartungen zu überfrachten
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