Im Fernsehen begann die Wiedervereinigung schon vor dem 3. Oktober 1990. Es war irgendwann im Frühjahr, in den westdeutschen Nachrichten, bei der Wettervorhersage. Über Nacht gab es eine gesamtdeutsche Wetterkarte, ganz ohne Grenze. Eigentlich war Deutschland noch geteilt, aber die DDR ging auf ihr Ende zu. Das nahmen ARD und ZDF vorweg. Die Grenzen waren offen, jeder konnte sie einfach überqueren. Dann kam die D-Mark. Die Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 war für manche fast wichtiger als die politische Einheit. Auch die bundesdeutsche Marktwirtschaft nahm die Einheit vorweg. In der DDR galt die Währung des Landes, das so lange Feind gewesen sein sollte.
Jeder hat seine eigenen Erinnerungen an diese Zeit. In ihnen zeigt sich, was uns im tiefsten Inneren immer unterscheiden wird. Für die Menschen im Westen ging das Leben in den Jahren 1989/90 mehr oder weniger normal weiter, im Osten veränderte sich alles. So schön die neue Freiheit auch war – zugleich brachte die Wende tiefgreifende Unsicherheit. Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, langjährige Freunde zogen in Richtung Westen, Institutionen lösten sich auf. Und mancher Nachbar entpuppte sich als Stasi-Spitzel.
Zwar konnte man reisen wohin man wollte, aus seinem Leben machen was man wollte, sagen was man wollte, wählen was man wollte. Kurz: Am 3. Oktober wurde der Wunsch nach Freiheit vom 9. November 1989 vollendet. Doch diese Freiheit hatte ihren Preis.
Kanzler Helmut Kohl hatte versprochen: Blühende Landschaften sollte es schnell geben. Doch die Hoffnung auf ein Leben wie im Westen wurde nur teils erfüllt. Es gab nicht nur Bananen, sondern auch Arbeitsamtsbescheide. Im Osten bekam die Wiedervereinigung einen bitteren Beigeschmack. Was hilft es, wenn man die Freiheit hat, alles zu tun und alles zu kaufen – aber es sich schlicht nicht leisten kann? Oder zumindest Angst davor haben muss, dass das Geld nicht reicht.
Biografische Brüche und enttäuschte Hoffnung wirken auch nach 34 Jahren nach. Es ist zwar zu kurz gegriffen, die Ergebnisse der letzten drei Landtagswahlen nur darauf zurückzuführen. Aber sie tragen ihren Teil dazu bei. Damit schließt sich ein Kreis. Wer wie in Thüringen eine gesichert rechtsextreme Partei wählt, gefährdet die gewonnene Freiheit und Wohlstand. Auch wenn es sich in der Wahlkabine womöglich nicht so anfühlt. Die erkämpfte Freiheit steht auf dem Spiel.
Journalisten und Politiker werden bedroht, Andersdenkende werden angefeindet. Es ist längst eine Grenze überschritten. Wir müssen reden darüber, was uns die Freiheit bedeutet. Teilen der Gesellschaft scheint der Grundkonsens abhanden gekommen zu sein und das Verständnis dafür, auf welcher Grundlage Freiheit und Wohlstand überhaupt gründen. Wir brauchen wieder mehr Verständnis füreinander, mehr Dialog, mehr gemeinsame Werte. Die Freiheit muss jeden Tag bewahrt werden, sie verpflichtet uns deshalb zum Optimismus. Den Willen, sich nicht mit dem aufzuhalten, was nicht funktioniert. Sondern sich auf das zu besinnen, was gut ist. Um die bestehenden Herausforderungen besser meistern zu können.
Die Feier der Deutschen Einheit ist der beste Tag, um unsere Freiheit zu feiern. Sich über das zu freuen, was wir gemeinsam geschafft haben. Deutschland ist nicht nur ein wohlhabendes Land, es ist reich an Kultur und Vielfalt, an Geschichte, Ideen und kreativen Menschen. Wir sollten uns das bewahren.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Mit Optimismus
Peter Schink findet, zum Tag der Deutschen Einheit sollten sich Westen und Osten daran erinnern, was sie gemeinsam geschafft haben