Mannheim. Wenn jemand nicht aufs Geld schaut, befindet er sich in einem Kaufrausch. Wobei es zu unterscheiden gilt, ob sich jemand die Ausgaben leisten kann oder nicht. Die englischen Fußball-Clubs können sich ihre Investitionen leisten. Dank Gönnern im Hintergrund.
Die dramatischen Auswirkungen dieser finanziellen Übermacht zeigen sich in dieser Transferperiode. Die Bundesliga ist zu einem Selbstbedienungsladen und zu einer Ausbildungsliga für die Vereine aus der Premier League geworden.
Mögen die bis zu 150 Millionen Euro noch halbwegs marktgerecht sein, die der FC Liverpool für Florian Wirtz an Bayer Leverkusen überwies – aber die 85 bis 90 Millionen, die der VfB Stuttgart nun von Newcastle United für Nick Woltemade bekommt, sind es nicht. Mit Jeremie Frimpong, Amine Adli und GranitXhaka verkauften die Leverkusener übrigens drei weitere Stars ins gelobte englische Fußball-Land. Piero Hincapie wird bald folgen.
Für die deutschen Vereine ist diese Transferperiode ein fatales Signal.
Die lange Liste an teuren Transfers über den Ärmelkanal ließe sich beliebig fortsetzen, zum Beispiel mit Hugo Ekitiké. Für ihn kassiert Eintracht Frankfurt inklusive Bonuszahlungen 95Millionen aus Liverpool. Kurzum: Die Engländer kaufen die Liga leer – selbst für einen Zweitligaspieler wie Caspar Jander legt der englische Zweitligist FC Southampton bis zu 15 Millionen Euro auf den Tisch. Und warum? Weil er es kann!
Für die deutschen Vereine ist diese Transferperiode ein fatales Signal. Und zwar unabhängig davon, dass man den Stuttgartern zu ihrer harten Verhandlungstaktik in der Causa Woltemade nur gratulieren kann. Bayern München gaben sie den Spieler nicht für 60Millionen Euro. Was hier und da schon für Kopfschütteln sorgte. Mittlerweile kann man sich aber offenbar sicher sein, dass irgendein Premier-League-Club noch um die Ecke kommt und einen Mondpreis zahlt. Die Folge: Vereine und insbesondere Trainer haben keine Planungssicherheit mehr, noch nicht einmal Branchenführer FCBayern.
Der Rekordmeister hätte sowohl Wirtz als auch Woltemade gerne verpflichtet. Mit beiden wurde gesprochen, aber keiner kam. Die Zeiten sind also vorbei, in denen sich die besten deutschen Fußballer automatisch und zwangsläufig für die Münchner entscheiden. Zwar merkte Bayern-Sportdirektor ChristophFreund richtigerweise an, dass „Newcastle nicht die oberste Kategorie“ unter den europäischen Fußballvereinen sei.
Aber dank eines Geldspeichers in Saudi-Arabien spielt der Club finanziell eben in einer anderen Liga als die Münchner, die bei Transfers im Spitzenbereich im Vergleich mit den milliardenschweren englischen Vereinen nur noch die zweite Geige spielen. Welche Bedeutung diesbezüglich dann Leverkusen, Dortmund und Co haben…das kann sich jeder selbst ausmalen.
Den Bundesligisten – und damit auch den Bayern – wird daher nichts anderes übrig bleiben, als sich die Stars selbst zu formen und in anderen Segmenten nach Spielern zu suchen. Der SC Freiburg sowie Frankfurt, Stuttgart und Leverkusen machten zuletzt vor, wie das gehen kann. Vor nicht allzu langer Zeit galt das auch für Borussia Dortmund, ehe der BVB ein wenig seine Identität verlor.
Dieser Weg ist fraglos beschwerlicher und erfordert Kreativität. Er ist aber alternativlos.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Die Fußball-Bundesliga ist eine Ausbildungsliga für England
Der Transfer von Nick Woltemade zu Newcastle United zeigt: Die deutschen Vereine und selbst Bayern München müssen sich neu erfinden, meint Marc Stevermüer.