Ludwigshafen/Mannheim. 8 Uhr morgens ist eigentlich keine Zeit für Popstars. Außer sie feiern dann noch. Darum geht es in „8 Uhr“, mit dem Apache 207 sein neues Album „21 Gramm“ beginnt. So lange wird die Release-Party des Achterbahn-Fans im Haßlocher Plopsaland in der Nacht zum Freitag nicht gedauert haben. In einigen der ersten Songs geht es wie so oft um den filmreifen Aufstieg des Volkan Yaman vom Bordstein in Ludwigshafen-Gartenstadt zum Blick auf die Skyline aus der Penthouse-Etage eines Luxushotels.
Interessant bleibt das, weil der rekordverwöhnte Rapper und Sänger immer neue Wege findet, diese autobiografische Geschichte neu zu erzählen. Und sie häufig mit mahnenden Blicken auf die Schattenseiten seiner Senkrechtstarter-Karriere („Nachrichten von irgendwelchen Besessenen“, „Für die Kamera“) und das womöglich baldige Ende des immensen Erfolgs relativiert: „Mama, sagt, gib auf Dich acht Uhr morgens, weil Champagnerregen nicht reicht“, heißt es dazu in „8 Uhr“. Der Song eröffnet „ein ehrliches Album“ – so zitiert Apache im Lied seinen Lieblingsproduzenten Lennard Oestmann alias Jumpa auch im Artwork. Der Titel spielt auf den weit verbreiteten Glauben an, dass die Seele des Menschen 21 Gramm wiege. Dabei trägt Apache in der Öffentlichkeit permanent Sonnenbrille, um sich nicht in die Seele blicken zu lassen – wie er 2022 in einem seiner rar gesäten Interviews dieser Redaktion verriet.
Trotz der Awards und der vielen Liebesbriefe, können wir nicht glauben, dass man uns jemals liebt
Tatsächlich liefert schon der erste Track ein paar Bekenntnisse, die seinen Ruf als etwas anderer Rapper unterstreichen. Etwa „Wir führen ein exzessives Leben und sind immer auf Reisen / Riesenmomente mit ein wenig Kalkül“ und „Trotz der Awards und der vielen Liebesbriefe, Können wir nicht glauben, dass man uns jemals liebt.“ Derlei Selbstzweifel machen klar: Trotz ausverkaufter Arena-Tourneen und Charts-Rekorde sieht „Deutsch-Raps Miroslav Klose“ seine Karriere wie ein Profifußballer – zeitlich begrenzt. Aber es gibt auch wieder kleine Ausflüge in die Selbstironie, die den Zwei-Meter-Mann einst auch für Fans außerhalb des Rap-Genres spannend gemacht haben: „Meine Haare sind Natur. Da ist kein Glätteisen. Eine amtliche Statur mit einer Speckfalte.“
„Du hast mich erwischt wie ein Porsche 911 ohne Bremsen und Licht“
Die 15 Songs folgen einer relativ klaren Dramaturgie: Nacht- und Party-Songs rahmen das Thema Liebe ein. Romantisch wie noch nie („Engel“, „Wir haben uns lieb“ – trotz Skit-Intro mit F-Wort), auch in Bezug auf Autos. In „Porsche 911“ kommen Womanizer und Autonarr zusammen: „Du hast mich erwischt wie ein Porsche 911 ohne Bremsen und Licht“ – das könnte auch vom ebenfalls PS-verrückten Xavier Naidoo kommen.
Musikalisch gibt es einige Neuerungen: Rap-Parts und gesungene Passagen gehen immer organischer ineinander über (was vor Jahren manchmal noch unvermittelt aneinandergeklebt wirkte). So bekommt das Album einen Gesamt-Flow.
Ab dem zwölften Song „Wieder alleine“ macht das Album die Nacht wieder zum Tag – aus Single Perspektive. Hier schillert der Sound Apache-typisch durch mehrere Pop-Jahrzehnte ab den 1980ern, zwischen Oldschool-Disco und kurzen R&B-Chören, die auch dem Michael Jackson der 1970er gefallen hätten. „Für die Kamera“ ist dann eine fast lupenreine Funknummer mit erstaunlich organischem Groove. Das lässt den einen oder anderen eher durchschnittlichen Beat in der ersten Albumhälfte vergessen. Im „Jumpa’s BTN Extended“-Remix des ohnehin schon clubbigen dritten Songs „Bis tief in die Nacht“ zeigt der Produzent, dass er auch auf der Time Warp auflegen könnte. Unerwartet, aber gut. Neu ist auch der massive Einsatz der Gitarre, wie man ihn von den letzten Apache-Konzerten kennt: Ungewohnt rockig-rifflastig wie „Mann muss“ mit ironischem Blick auf Männer-Latein. Oft aber auch mediterran perlend („Die Welt“).
Beste Nummer mit Gitarrensound wie bei den Red Hot Chili Peppers
Der mit Abstand beste Song, das nachdenkliche „Ein Lied für dich“, setzt auf einen unwiderstehlichen Gitarrensound, wie ihn John Frusciante für die Power-Balladen der Red Hot Chili Peppers kreiert. Bevor es mächtig Fahrt aufnimmt, veredelt ein Streicher-Part den Sound – das ist vor allem ein Lied für den Live-Einsatz, auf das sich die Fans am 12. September bei Glücksgefühle und im Februar in der ausverkauften SAP Arena freuen können.
Ansonsten hat der massive Erfolg fast zu Beginn tatsächlich eine Schattenseite: Frühe Lieder wie „Kein Problem“ oder „Roller“ mit seinen 224 Wochen in den Single-Charts sind einfach schwer zu toppen. Die Muntermacher „GWHF“ (als Kürzel für „Girls Wanna Have Fun“ fast schon mit diversem Unterton), „Wolken“, „Man muss“ oder am meisten „Morgen“ haben durchaus Hitqualitäten. Sie fallen im Vergleich aber zwangsläufig ab. Wobei: Von den bisherigen Klickzahlen der vier Vorab-Singles zwischen rund 2,3 und 12,5 Millionen Klicks bei Spotify wagen viele Musiker nicht mal zu träumen. Zum Vergleich: „Roller“ steht bei mehr als 450 Millionen, „Komet“ (mit Udo Lindenberg) bei fast 280. Das ist natürlich eine ganz andere Dimension. Aber auch normal im Musikbusiness: Die Rolling Stones, Bob Dylan oder Rap-Altmeister wie LL Cool J leben seit Jahrzehnten ganz gut damit, nicht an ihre alten Erfolge anknüpfen zu können.
An die großen Erfolge der Frühzeit knüpfte Apache zuletzt vor allem mit Duetten an
Auffällig: Ganz hohe Zahlen erreichte der gebürtige Mannheimer Apache 207 zuletzt hauptsächlich mit „Auswärtsspielen“ und Kollaborationen. „Wunder“ mit Ayliva steht auf Spotify bei rund 158 Millionen. Ehrenhaft, dass „21 Gramm“ trotzdem nicht krampfhaft auf prominente Feature-Gäste setzt.
Die oft reflexhaft zitierte Zeile „Apache bleibt gleich“ gilt für „21 Gramm“ nur bedingt: Musikalisch und ein wenig auch inhaltlich führt der Ludwigshafener seine permanente Neuerfindung fort – ohne sein Stammpublikum zu verschrecken.
Zum Album
- Der Rapper und Sänger Apache 207 wurde am 23. Oktober 1997 in Mannheim als Volkan Yaman geboren . Er wuchs in Ludwigshafen-Gartenstadt als Sohn einer alleinerziehenden Mutter aus der Türkei auf und machte am Theodor-Heuss-Gymnasium 2017 Abitur.
- Dem Jura-Studium in Mainz kam die rasante Musikkarriere in die Quere: Seit 2018 veröffentlicht er zunehmend erfolgreich Singles mit charakteristischen Videos . Die Folge: Ein Vertrag beim Joint-Venture Twosides (Rapper Bausa und Lucas Teuchner) und Sony/Four Music.
- Der Platin-Hit „Kein Problem“ brachte im April 2019 den großen Erfolg weit über die Deutschrap-Szene hinaus. Noch getoppt wurde er vom Millionenseller „Roller“ vier Monate später, dem zweiterfolgreichsten deutschsprachigen Lied der Nachkriegszeit.
- Am Freitag, 12. September, spielt Apache 207 ab 21.30 Uhr als Headliner beim Glücksgefühle-Festival auf dem Hockenheimring . Seine drei Konzerte vom 6. bis 8. Februar in der Mannheimer SAP Arena sind ausverkauft .
- In Ludwigshafen betreibt er das Label Feder Musik . Die Firma wird von Apaches Bruder Hakan Yaman und Johannes Götz geführt, die seine Karriere managen.
- Am 29. August erscheint das Album „21 Gramm“ bei Feder Musik/Four Music im Vertrieb der Sony digital, als CD und Doppel-LP. Dazu gibt es diverse Fan-Editionen.
- Es ist das vierte Studioalbum nach „Treppenhaus“ (2020), „2sad2disco“ (2021) und „Gartenstadt“ (2023) . Dazu gab es die Kurz-Alben (EPs) „Platte“ (2019) und „Gesegnet“ (2025) mit Luciano.
Allerdings: Während das Land und natürlich auch seine Heimatstädte Mannheim und Ludwigshafen massive Probleme vor sich herschieben, mit zunehmend blau gefärbten Wahlkarten politisch nach rechts rücken, wird es für einen klugen, bald 28-Jährigen irgendwann nicht mehr ausreichen, über die eigene Aufsteigergeschichte zu räsonieren. Die ist zwar inspirierend, was in harten Zeiten auch hilfreich sein kann – aber zumindest mal ein Mutmachersong oder vermitteltes Gemeinschaftsgefühl über die eigene Clique und Familie hinaus gehören irgendwann mal ins Aufgabenheft. Er muss sich ja nicht gleich in eine Mischung aus Danger Dan, Campino und Curse verwandeln.
Und manche Zeilen aus dem Luxus-Gefängnis („Wie soll man Immobilien, Karriere, Familie und Liebe zusammen denn noch managen?“) können noch so selbstreflexiv gemeint sein – wenn die soziale Schere noch weiter auseinander geht, klingen Klagelieder eines Pop-Millionärs irgendwann mal abgehoben. Dabei bezieht sich die Zeile „Apache bleibt gleich“ ja wohl vor allem auf die Bodenhaftung eines Aufsteigerkindes mit Seele.
Harte Konkurrenz zum Platz eins kommt vor allem von Helloween
Dass „21 Gramm“ die sechste Platzierung von Apache 207 in den deutschen Album-Charts wird, ist natürlich sicher. Ob es aber wie beim Longplayer-Debüt „Treppenhaus“ (2020) und beim Vorgänger „Gartenstadt“ (2023) wieder für Platz eins reicht? Darüber entscheiden die Fans von Bryan Adams und Helloween mit, deren neue Alben ebenfalls am 29. August erscheinen. Vor allem die Anhänger der 1984 gegründeten Hamburger Metal-Band sind treu – auch was physische Tonträger angeht. Da hat die Apache-207-Firma Feder Musik allerdings auch einige attraktive Pakete geschnürt – man bekommt die CD und Doppel-LP allerdings auch ohne Hoodie, T-Shirt, Schlüsselanhänger oder Bluetooth-Box.
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