Der Schriftsteller Franz Kafka (1883 bis 1924) war ein leidenschaftlicher Filmfan. „In Kino gewesen. Geweint“, lautet eine seiner Tagebucheintragungen. An anderer Stelle notierte er begeistert: „Maßlose Unterhaltung“.
Seinem Freund, Kollegen und Verleger Max Brod berichtete er regelmäßig und ausführlich von seinen Besuchen im „Kinematographentheater“, einem „Ort des Vergnügens“, den er gerne in Begleitung seiner drei Schwestern besuchte. Besonders angetan hatte es ihm unter anderem Viggo Larsens Prostitutionsdrama „Die weiße Sklavin“ (1911), ein von der Kritik heftig gescholtener „Schundfilm“.
So hätte es dem Autor gewiss gefallen, dass viele seiner Texte filmisch aufbereitet wurden. Die berühmteste Adaption ist wohl „Der Prozess“ (1962) von Orson Welles. Weniger bekannt sind die TV-Verfilmung des Prosafragments „Das Schloss“ (1997) von Michael Haneke oder Igor Pischkes Kurzfilm „Die Verwandlung“ (2015), während für Cineasten „Klassenverhältnisse“ (1984) – basierend auf dem unvollendeten Roman „Der Verschollene“ von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet – Pflicht ist. Nur konsequent, dass Kafka gelegentlich selbst als Protagonist auftaucht, etwa in Person Jeremy Irons’ in Steven Soderberghs expressionistischem Thriller „Kafka“ (1991).
Nun hat sich Agnieszka Holland („Green Border“) Kafkas angenommen. In „Franz K.“ geht es zurück ins Prag des frühen 20. Jahrhunderts. In eine Welt, die – der Erste Weltkrieg naht – bald aus den Fugen geraten wird.
Kafka leidet unter seinem autoritären Vater (Peter Kurth), langweilt sich als Angestellter einer Versicherung und sehnt sich nach literarischer Entfaltung. Als seine Texte langsam erste Leser finden, beginnt die Reise des von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten jungen Mannes: Er sehnt sich nach Normalität, begegnet den Widersprüchen des Daseins und steckt mit seiner Verlobten Felice (Carol Schuler) in einer schwierigen Beziehung.
„Franz K.“ wurde für den Oscar als „bester fremdsprachiger Film“ eingereicht
Für den Oscar als „bester fremdsprachiger Film“ hat Polen das berührende Porträt des faszinierenden (Vor-)Denkers der Moderne eingereicht. Nach dem Skript von Marek Epstein („Charlatan“) setzt sich Holland in den Kopf ihres Helden, greift Schlüsselmomente seines Œuvres und seiner Biografie auf. Zeigt, wie er als Junge vom Vater ins Wasser geworfen wird, um so schwimmen zu lernen – ein Verweis darauf, dass er es nie einfach haben, ewig mit sich und seiner Umgebung ringen wird. Dies schlägt sich auch in der Bildsprache von Tomasz Nammiuk („Nina“) nieder: schräge Winkel, ungewohnte Perspektiven, die Szenen gerne assoziativ montiert.
„Franz K.“ ist ein skurriles, manchmal urkomisches, im Wortsinn kafkaeskes Werk, das Einblick in das Wesen und Wirken des Phänomens Kafka gewährt. Idan Weiss glänzt als Getriebener, der wuchtige Kurth („Herbert“) als herrischer Vater, „Shooting Star 2024“ Katharina Stark als dessen willensstarke Schwester „Ottla“, die zwischendurch – wie auch Sebastian Schwarz („Ballon“) als Brod – direkt in die Kamera spricht und so augenzwinkernd und verschwörerisch mit dem Publikum Kontakt aufnimmt. Kein gradliniges Bopic, vielmehr ein kaleidoskopartiges Puzzle. Mit Figuren, die je nach Situation Deutsch, Tschechisch oder Jiddisch sprechen.
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