Zeitzeichen Lest jetzt Krasznahorkai!

Unser Kolumnist hat ein Hauptwerk des neuen Nobelpreisträgers für Literatur gelesen und meint, man solle es ihm nun gleichtun.

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Thomas Groß
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Am Ende steht, was immer am Ende steht, wenn das Leben vorbei ist – ein biochemischer Vorgang der Zersetzung durch Bakterien und Kleinstlebewesen insgesamt, deren fleißiges Tun erst recht dann unbemerkt bleibt, wenn es unter der Oberfläche der Erde stattfindet. Und was hier, am Ende des Romans, nüchtern dargestellt und souverän auserzählt, zerfällt und mehr noch: zerlegt wird, das ist die gleiche Person, die kurz zuvor mit einer so pompösen wie lächerlichen Feier der Erde und ewiger Ruhe überantwortet wurde, es ist dieselbe Frau Pflaum, von der man schon zu Beginn dieses höchst ungewöhnlichen Buchs gehört und gelesen hat: Eine Frau, die ihre behagliche Ruhe schätzt, jedoch in unerhörte, kaum entwirrbare Gesamtereignisse verwickelt wird, in einen Strudel von bedrohlichen Umständen, zu denen starker Frost, unsichere Zukunftsperspektiven, ein mysteriöser Zirkus und aufbrausende Aggressionen viel beitragen.

Die Grundstoffe verbinden sich zu etwas Neuem

Von alldem erzählt der diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur, László Krasznahorkai, in seinem Roman „Melancholie des Widerstands“ in ausladenden Sätzen sehr ausführlich, aber rätselhaft bleiben die Geschehnisse doch, rätselhaft wie die geschichtliche Wirklichkeit mit ihren Antrieben, Fortläufen und Wendepunkten, und rätselhaft wie das Leben selbst.

In einer eigenwilligen Sprache, mit wenigen Absätzen und komplexen Satzkonstruktionen, die wie Strudel sind, aber doch in einer lakonischen, zuweilen ironisch-komischen Art schreibt der Autor über eine rätselhafte Welt und wurde deshalb oft mit Kafka und Beckett verglichen. Wer Krasznahorkai liest, spürt rasch, dass sich diese Lektüre lohnt – und dass er die hohe Auszeichnung verdient hat. Die Grundstoffe des Lebens verbinden sich zu Neuem, so ist es auch mit Sprache und Literatur.

Aber vorbei ist die Existenz am Ende des Romans doch, „zersetzt, zerfasert und erloschen“, ganz ähnlich wie, so die letzten Worte des Romans, „dieses Buch jetzt, hier, an diesem Punkt, aufgezehrt wird vom letzten Wort“ – Punkt. Ende.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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