Manchmal sind heute Wanderer da, laufen über Kopfsteinpflaster vorbei an alten Häuschen, ein paar Palmen, an Johannisbrotbäumen bis zum Dorfbrunnen – und staunen: weil alles so aussieht wie früher und in fast keinem Reiseführer davon zu lesen ist. Eben erst ist die Schafherde durch den Ort gelaufen, einen Moment vorher nur kam ein Transporter und hat in der Bodega ein paar Kisten Wein abgeholt. Hier ist heute meistens noch gestern: So sieht es aus, so fühlt es sich an.
Hinweisschilder Richtung Biniagual sucht man auf Mallorca vergeblich, nur auf den letzten paar Hundert Metern gibt es sie, damit nicht doch noch falsch abbiegt, wer unbedingt kommen will. Es sind alles in allem nur eine Handvoll. Und so schnell man dann doch auf die Kopfsteinpflasterstraße in den Ort einbiegt, so schnell ist man am Brunnen mitten auf dem Dorfplatz und an der kleinen Kirche vorbei auch schon wieder draußen. In besten Zeiten der Vergangenheit hatte Biniagual kaum mehr als 50 Einwohner, heute ist es ein gutes Dutzend. Und zwischendurch war der Ort über Jahrzehnte fast ausgestorben.
Mallorca
Anreise Flug z. B. mit Eurowings (www.eurowings.com) nach Palma de Mallorca.
Unterkunft Das Landhotel Can Davero mit vier Sternen ist nur einen Spaziergang von Biniagual (www.bodegabiniagual.com) entfernt. Es liegt in einem großen, parkähnlichen Garten. Doppelzimmer mit Frühstück ab 136 Euro, www.candavero.eu. Von der Finca Son Miranda Agroturismo sind es zweieinhalb Kilometer Luftlinie bis Biniagual. Die Finca liegt auf einem zehn Hektar großen Gelände aus Oliven- und Weinpflanzungen. DZ/mit Frühstück ab 173 Euro, www.fincasonmiranda.com/Die Geschichte des Hotel Rural Sa Torre de Santa Eugènia reicht bis ins Jahr 1550 zurück. Doppelzimmer mit Frühstück ab 157 Euro, www.sa-torre.com. Zum Hotel gehört das gehobene Restaurant Celler Sa Torre de Santa Eugènia, das sich in historischen Gewölben befindet.
Buchtipp Vom Autor dieses Beitrags ist der Mallorca-Reportagenband „Miró und der ann mit der Mandarinenkiste“ erschienen, Picus-Verlag, 15 Euro.
Allgemeine Informationen www.illesbalears.travel/de/mallorca/ Spanisches Fremdenverkehrsamt, www.spain.info, HSO
Inzwischen kommt manchmal Besuch, um hier in den Gärten an langen Tischen zu essen, zu feiern und in der sanierten Dorfkirche zu heiraten. Biniagual ist zur Hochzeitslocation geworden – weil Heiraten und Bilderbuch so gut zusammenpassen. Und weil fast alle Häuser inzwischen dezent und im alten Stil saniert sind. Modefotografen kommen mit ihren Models für Shootings hierher, Firmen stellen ihren besten Verkäufern neue Produkte vor: weil es Spaß macht, die anderen zu überraschen – auch mit einer Location.
Da war nur noch die Bäuerin Joanaina
In den Jahren vor der Wiedererweckung des Örtchens war nur Bäuerin Joanaina geblieben, als Biniagual ansonsten ausgestorben war und nur noch ab und zu ein paar Podencos von anderswo über die kopfsteingepflasterte Dorfstraße zogen. Joanaina fegte mit dem Reisigbesen die Stufen der kleinen Kirche, obwohl längst kein Priester mehr kam. Die Sonne schaute zu, warmer Wind tastete sich durch verwilderte Gärten, pfiff über ungepflegte, aufgegebene Äcker mit rötlicher Erde. Inzwischen ist Joanaina umgezogen und wohnt nun im Himmel.
Schuld daran, dass heute wieder Leben in den Ort zurückgekehrt ist, war ein Deutscher, der nie das Rampenlicht gesucht hat, kein großes Geld damit verdienen wollte und sich stets der Idee widersetzt hat, hier ein Hotel zu bauen. Mit Erfolg. Es ging nicht darum, dass eines Tages Urlauber gepflegte Ländereien mit Olivenbäumen und Zypressen durchs offene Fenster ihrer Suite sehen können sollten. Es ging um diese Landschaft selbst.
Alles sollte werden, wie es war, nicht brach liegen, nicht primär auf Profit ausgerichtet sein. Die Mandeln sollten den Mitarbeitern gehören, die sie ernten, damit sie nicht an den Bäumen verkommen. Und auch Zitronen bringen wirtschaftlich betrachtet zu wenig, als dass heute jemand neu damit beginnt, sie anzubauen – außer die Farbtupfer und ihr Blütenduft gehören zu dieser Landschaft. Dass der lokale Wein der einheimischen Rebsorten Manto Negro und Prensal Blanc, der seit 1998 auf 34 Hektar angebaut wird, derart gut geworden ist, dass er stark nachgefragt und exportiert wird, ist ein hübscher Nebeneffekt. Die Etiketten der Flaschen tragen heute den Namen von Biniagual über die Insel, ins Ausland, in die Weinkeller von Spitzenrestaurants in Europa. Da schließt sich ein Kreis, denn ursprünglich war Biniagual ein Winzerdorf kleiner Weinbauern. Alles begann damit, dass jener Deutsche 1968 den seit einer Reblaus-Plage mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor weitgehend ausgestorbenen Ort und die brach liegenden Ländereien entdeckte und nicht fassen wollte, wie man all das verfallen lassen konnte.
Er kaufte die Ländereien rund um Biniagual auf, gut 170 Hektar, arbeitete sich in das für ihn fremde Feld der Landwirtschaft ein, schaffte Traktoren und Gerätschaften an, stellte Menschen ein. Mit dem Grundbesitz kamen die Häuser des Ortes hinzu – auch das, in dem Joanaina wohnte, die als letzte Einwohnerin noch dauerhaft in Biniagual zu Hause war.
Sie konnte bis zu ihrem Tod bleiben, ohne Miete zahlen zu müssen. Stattdessen einigte man sich, dass sie etwas für den Ort tun würde, und so fegte sie die Kirche. Ihr Dorf hatte sie nur selten verlassen. Am Meer war sie nie, auch schwimmen konnte sie nicht – wie viele alte Mallorquiner dieser Zeit.
Welcher deutsche Industrielle aus Frankfurt es gewesen ist, der Biniagual wiederentdeckt und quasi wachgeküsst hat? Er hatte nie den Drang, es zu sagen, blieb lieber im Hintergrund, und es existieren nur wenige Fotos von ihm außerhalb des Familienalbums. Er hat es nicht getan, um Schlagzeilen damit zu machen oder PR für seine Firma. Jetzt wohnt er bei Joanaina im Himmel, ist 2014 gestorben. Seine Familie kümmert sich seitdem um den Ort – in seinem Sinne.
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