Seit Anbeginn 1950 wird alljährlich Goethes „Götz von Berlichingen“, dem sie ihr Entstehen zu verdanken haben, bei den Burgfestspielen Jagsthausen aufgeführt, in diesem Jahr coronabedingt nun zum 72. Mal.
Die Inszenierung besorgt diesmal Christoph Biermeier, der frühere Intendant der Freilichtspiele Schwäbisch Hall, in der Ausstattung von Claudia Rüll Calame-Rosset.
Geborstene Säulen des Berliner Reichstagsgebäudes mit der Inschrift „Dem deutschen Volke“ auf dem Architrav über dem Westportal, zu deren Füßen der Kaiser sitzt und eine riesige, zerrissene Plane mit dem Berlichingen-Wappen, das ist der erste und bleibende Eindruck des Bühnenbilds. Dazu gehört noch die eiserne Hand des Götz auf einem Podest, die sich dessen Darsteller zu Beginn des Schauspiels überzieht.
Danach wird der Burghof in Nebelschwaden gehüllt, die man als Pulverdampf verstehen kann, der im Verlauf der knapp zweistündigen Aufführung immer wiederkehrt, in der Detonationen eine nicht geringe Rolle spielen. Zu Beginn und am Ende treten alle Mitwirkenden auf. Das kann man so deuten, dass das Ganze, was gezeigt wird, Theater und nicht Wirklichkeit ist, wobei immer wieder sozusagen theatralisch geschrien wird. Dabei wird nicht nur im Burghof gespielt, sondern auch auf einem der Burg stilistisch angepassten Vorbau.
Aber nicht genug damit, die Darsteller stürmen nicht nur einmal auf dem Mittelgang der Tribüne nach oben und unten.
Zwölf Berufsschauspieler verkörpern 26 Rollen, dazu kommen noch elf Laiendarsteller für die Aufführung von Goethes Werk, der dafür ursprünglich weit über 50 Personen vorgesehen hatte. Das bedeutet, dass man in diesem Jahr einigen bekannten Personen nicht begegnet, wie etwa Götzens Söhnchen Karl, Olearius, Bruder Martin sowie Sievers und Link, zwei Anführern der rebellischen Bauern.
Bei der Dauer der Aufführung versteht es sich von selbst, dass einige Szenen dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Dazu wurde auch die Szenenfolge gegenüber dem Gewohnten verändert. Das alles mindert aber nicht das Verständnis hinsichtlich des Gangs der Handlung. Denn das Anliegen Goethes, ein Bild von Götz, dessen Umfeld und der damaligen Zeit zu zeichnen, bleibt erhalten.
Um die Aktualität der Thematik oder auch nur deren Nachwirkung bis in unsere Tage transparent zu machen, hätte es allerdings nicht verschiedener moderner Utensilien bedurft, wie etwa Aktenkoffer, Handtasche, Sonnen- und Schutzbrillen von heute oder der Umnutzung eines im heutigen Straßenverkehr gebräuchlichen Leitkegels zum Megafon.
Dazu kommt die Neudeutung der Charaktere verschiedener Personen entgegen dem Gewohnten. Doch das ist die künstlerische Freiheit des Regisseurs, sofern sie noch durch die Intentionen des Autors gedeckt ist. Aber darüber kann man gewiss im einen oder anderen Fall streiten.
Kait Maertens in der Titelrolle ist ein nicht nur durch das Gewicht seiner Aufgabe die Szene beherrschender Götz, sondern auch kraft seiner Persönlichkeit und seiner Ausstrahlung ein glaubhafter Ritter mit der eisernen Hand, der nicht vom Fenster aus, sondern im Burghof stehend, nicht nur einmal den Götz-Gruß entbietet. In Helena Blöcker als Elisabeth hat er heuer nicht eine fürsorgliche, sondern eher kämpferische Frau an seiner Seite, ein schon entsprechend gekleidetes Flintenweib, das durchaus mit einer Waffe umgehen kann.
Ebenso ist Marianne McAven, der noch weitere Rollen anvertraut sind, als seine Schwester Maria nicht, wie gewohnt, das Heimchen am Herd, ein liebenswertes, eher zurückhaltendes Mädchen, das sozusagen nur auf Weislingen wartet, um ihn zu lieben, sondern eine für ihr Recht und für die Freiheit mit allen, auch körperlichen Mitteln, die nicht typisch für ihre Geschlechtsgenossinnen Anfang des 16. Jahrhunderts waren, sich einsetzende, schon weit ihrer Zeit voraus, emanzipierte junge Frau. Christian Baus gibt den Weislingen als einen zwiespältigen, die Seite wie andere die Hemden wechselnden, wenig charakterstarken, grauhaarigen Höfling. Nicht zuletzt ist das Adelheid von Walldorf zu verdanken, als die sich Bernadette Hug von der attraktiven, Männer verführenden Eva zu der sie beherrschenden und schließlich an ihnen zugrunde gehenden Adeligen wandelt.
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