„Der Mond ist nur a nackerte Kugel“ betitele Jörg Graser 1981 sein Regiedebüt. Im Dialekt- und Heimatfilm erkannte der „Spiegel“ „ein kleines Gleichnis von der verletzlichen Schönheit der Illusionen und der schlichten Beschissenheit der Realität“. Dieser Satz lässt sich in gewisser Weise auch für die Apple-Original-Films-Produktion „To the Moon“ anwenden, die zunächst im Kino ausgewertet wird. Dank der zugkräftigen Besetzung mit „Black Widow“ Scarlett Johansson und „Magic Mike“ Channing Tatum durchaus nachvollziehbar.
Zum Erdtrabanten – seit Georges Méliès‘ Fantasy-Stummfilm „Le voyage dans la lune“ (1902) ein ewiger Sehnsuchtsort des Kinos – geht es wieder. Und selbstverständlich ist Bart Howards 1954 erstmals eingespielter Ohrwurm „Fly Me to the Moon“, hier von Frank Sinatra interpretiert, zu hören. Um die Apollo-11-Mission kreist der Plot, die erste Mondlandung am 21. Juli 1969.
Im flüssig montierten Opener wird der historische Hintergrund mittels Originalmaterial – TV-Bilder, Zeitungsschlagzeilen – kurz rekapituliert. Die Sowjets haben 1961 mit Juri Gagarin den ersten Mann ins All gebracht. Eine Schmach für die USA. Präsident John F. Kennedy verspricht in seiner legendären Ansprache, dass es ein amerikanischer Astronaut sein wird, der seinen Fuß als Erster auf den Mond setzt – der Wettlauf ist eröffnet.
Zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Der Vietnamkrieg tobt, die Studenten rebellieren, Präsident Richard „Tricky Dicky“ Nixon, der es mit der Wahrheit wenig genau nimmt, steht unter Druck. Besonders schwer wiegt, dass 1967 beim Start von Apollo 1 die dreiköpfige Besatzung bei einem Brand im Cockpit ums Leben gekommen ist. Die Bevölkerung ist nicht willens, weiterhin Millionen von Dollars an Steuergeldern für die in Verruf geratene Raumfahrtbehörde NASA auszugeben. Hier kommt Kelly Jones (Johansson) ins Spiel, ihres Zeichens gleichermaßen verführerische wie clevere Marketingexpertin, die sich schon einmal einen künstlichen Babybauch unters Kostüm schiebt, um ihre Ziele zu erreichen.
Der zwielichtige Moe Berkus – von Woody Harrelson („Natural Born Killers“) lustvoll und schlitzohrig gespielt, selbst nachts angetan mit Stutzerhut –, mächtiger Strippenzieher und bei Militär sowie Geheimdienst bestens vernetzt, hat sie engagiert, um das Image der NASA aufzupolieren, politische Unterstützer aus allen Lagern und private Sponsoren zu finden. Was Kelly und ihre umtriebige Assistentin (Anna Garcia) sogleich erfolgreich in die Tat umsetzen und Geldgeber wie Omega oder Kellogg’s gewinnen.
„Wenn ich fertig bin, werden diese Männer berühmter sein als die Beatles“, verkündet die Werbefrau mit Blick auf die drei Raumfahrer selbstbewusst. Ihre kühnen Ideen kollidieren jedoch mit dem Auftrag des coolen Startdirektors Cole Davis (Channing Tatum). Die Funken fliegen – natürlich auch auf privater Ebene.
Versiert mischt Greg Berlanti („Love, Simon“), der den ursprünglich vorgesehenen Jason Bateman – dieser zog sich wegen „künstlerischer Differenzen“ zurück – ersetzte, Fakt mit Fiktion. Eine stylische, in Sachen Produktionsdesign und Kostümbild makellose Komödie hat er nach dem Drehbuch von Rose Gilroy inszeniert, diese mit dramatischen Elementen unterfüttert.
Johansson und Tatum spielen sich gekonnt die Bälle zu
Das Weiße Haus hat das kühne Unterfangen als zu wichtig zum Scheitern eingestuft. Eine gefälschte Mondlandung muss als Backup – Peter Hyams‘ „Unternehmen Capricorn“ (1978) um eine getürkte Mars-Landung lässt grüßen – in einem Hangar gedreht werden. Was zu weiteren Komplikationen führt. Nicht zuletzt weil sich der dafür verpflichtete Regisseur – herrlich tuckig angelegt von Jim Rash – für begabter als Stanley Kubrick hält.
Lustvoll spielen sich die quirlige, stets auffällig geschminkte Johansson – knallroter Mund, tiefschwarzer Lidschatten – und der steife, an ein Playmobil-Männchen erinnernde Tatum die Bälle zu. Zwei wie Katz und Maus, die trotz des Größenunterschieds – sie 1,60, er 1,85 Meter – auf Augenhöhe agieren. Er wortkarg, sie – in verschiedenen US-Dialekten – nonstop quasselnd.
Sorgfältig gezeichnet sind die Nebenfiguren, besonders Garcia („Superstore“), Kriegsgegnerin, Minirock-gewandete Feministin und das „Mädchen für alle Fälle“. Sie bekommt final wie ihre Chefin ihren Herzbuben ab, einen kleinen, bebrillten Ingenieur, der mit seinem afroamerikanischen Nerd-Kollegen dass prototypische, hier geniale „seltsame Paar“ bildet.
Die Schauwerte bestechen – einladend etwa das in Neon getauchte „Wolfie‘s Restaurant“, wo sich Kelly und Cole erstmals treffen. Klar und hell sind die nostalgischen Bilder des Ausnahme-Kameramann Dariusz Wolski („Napoleon“), überzeugend fallen die Effekte aus, klug eingesetzt sind die 60er-Jahre Rock’n’Roll-Hits. Rundum beste Unterhaltung – mit einer schwarzen Katze, der eine maßgebliche Rolle zufällt.
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