Serie Hiergeblieben!

Kloster Lorsch: Mittelalter zum Mitmachen

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Reetbedeckte Hütten, majestätische Urviecher und ein Feuerplatz mit Kupferkessel: Im „experimentalarchäologischen Freilichtlabor“ wird das frühe Mittelalter für Besucher neu inszeniert. Auf gut vier Hektar Fläche erhält man einen plastischen Einblick in die Lebens- und Arbeitsbedingungen im achten und neunten Jahrhundert. Das Modell im Maßstab 1:1 macht die komplexen Zusammenhänge der mittelalterlichen Grundherrschaft am Beispiel eines idealtypischen Herrenhofs der Karolingerzeit deutlich. In dieser Konzeption ist Lauresham weit und breit einzigartig.

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In dem künstlichen Dörfchen im Lorscher Osten beackern die Zugochsen David und Darius die Felder wie einst. Doch die Idylle trügt: Lauresham ist weder Streichelzoo noch Abenteuerspielplatz. Seit 2012 ist unter wissenschaftlicher Begleitung ein Ensemble aus verschiedenen Wirtschafts-, Wohn- und Stallbauten sowie einer Kapelle entstanden, die streng nach jüngsten Forschungserkenntnissen der Siedlungsarchäologie angelegt wurden. Dazu werden handwerkliche und landwirtschaftliche Arbeitstechniken in Echtzeit erprobt. Schweine, Rinder, Gänse, Hühner, Schafe: Der Rückgriff auf alte Nutztierrassen bietet dabei auch die Chance, diesen meist stark bedrohten Tierarten eine Zukunft zu ermöglichen.

In einem Langzeitversuch werden in Lorsch unter anderem Zugrinder der alten Rasse Rätisches Grauvieh gezüchtet. Die Ackerflächen werden im jahreszeitlichen Zyklus der Dreifelderwirtschaft bestellt. Ochsen pflügen die für das Mittelalter charakteristischen „Wölbäcker“ – spezielle Hochbeete mit Senken und Rücken, die in Lauresham genauer untersucht werden. Sie gelten als wichtige Zeugnisse des historischen Ackerbaus in Mitteleuropa. Ein intelligentes System, mit dem unsere Vorfahren sowohl starke Regenfälle wie auch Dürreperioden klug überbrückt haben, wie Claus Kropp erklärt. Dadurch konnte die Gefahr von Ernteausfällen – im kleinen Maßstab wohlgemerkt – deutlich reduziert werden.

„Viele Projekte geben Antworten auf Fragen des 21. Jahrhunderts aus mittelalterlicher Perspektive“, so Kropp, der seit 2013 diesen besonderen Ort des Bewahrens leitet. Sein Ansatz: transparente Forschung und eine offensive, dialogische Wissensvermittlung auf einer Ebene. Innerhalb der didaktischen Gesamtkonzeption der Welterbestätte Kloster Lorsch bietet Lauresham unterschiedliche Kanäle für einen niederschwelligen Zugang. Und der Blick zurück lohnt sich.

Viele Ansätze in Acker- und Hausbau, in Viehzucht und Handwerk waren schon damals weit fortgeschritten. Ein Besuch in Lauresham rückt den Blick gerade. Das ach so dunkle Mittelalter nach der zivilisierten Antike: ein Klischee. „Technisch und handwerklich war man auf der Höhe der Zeit“, betont Kropp und nennt ein weiteres Beispiel: Messungen an einem mittelalterlichen Lehmhaus in Lauresham haben gezeigt, dass das schlichte Gebäude sogar die Dämmstandards der Gegenwart erfüllt.

Vorbildhaus aus Mannheim

Apropos Architektur: In Lauresham erlebt man verschiedene Haustypen aus verschiedenen Gegenden Deutschlands. Denn schon damals gab es regionale Unterschiede in der Bauweise, die sich in Lorsch auf engstem Raum entdecken lassen. Ein aktuelles Projekt ist die Rekonstruktion eines frühmittelalterlichen Grubenhauses, das in Zusammenarbeit mit Bensheimer Schülern realisiert wird. Der Aufbau geschieht nach einem Vorbildhaus, wie es in Mannheim-Vogelstang gesichert wurde. Der Rohbau steht, bis Herbst soll das Haus fertig sein.

Darüber hinaus erfährt der Besucher in Lauresham einen prägenden sozialen Aspekt der damaligen Zeit: Das Thema Grundherrschaft ist als abstrakter Begriff kaum fassbar und schwer verständlich zu machen. Im fiktiven Lorscher Mittelalter-Labor können die komplexen Organisationsmuster einer solchen Adelsherrschaft dagegen sehr konkret vermittelt werden – ebenso wie das Prinzip des klösterlichen Grundbesitzes: Viele damalige Grundherren übereigneten aus (womöglich berechtigter) Sorge um ihr Seelenheil einen Teil ihrer Besitztümer an die Klöster. Das hat auch der Benediktinerabtei in Lorsch eine beachtliche Ausdehnung ihres Grundherrschaftsverbands von der niederländischen Nordseeküste bis ins Schweizer Graubünden ermöglicht.

Als der Komplex 1991 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen wurde, gab es nur wenige verbliebene Bauwerke. Die Königshalle, ein Kirchenfragment auf einer eiszeitlichen Flugsanddüne und die Klostermauer, dazu ein paar Fundamente unter der Erde. Eher wenig, um sich ein konturenstarkes Bild der Karolingerzeit machen zu können. Das Museumsdorf macht das weithin unsichtbare Kloster besser verstehbar. Und es bietet Profis spannende wissenschaftliche Ansatzpunkte zu Themen, die noch nicht ausreichend erforscht sind.

Claus Kropp spricht von einem Erfolgsmodell. Im Frühjahr gab es erneut Nachwuchs bei dem von ihm initiierten Projekt, die 1627 ausgestorbenen Auerochsen wieder in der Region anzusiedeln. Zwillinge! Fast schon ein symbolhaftes Zeichen für die fruchtbare Arbeit, die trotz Corona nicht stillgestanden hat. Der Herrenhof entwickelt sich weiter. Lauresham bleibt in Bewegung.

Neuheiten und Tipps

  • Auf dem Klostergelände laden verschiedene Stationen zu einem Besuch ein. Das Schaudepot Zehntscheune bietet eine Entdeckungsreise in die Klostergeschichte. Die Objekte dokumentieren eindrucksvolle Funde aus 200 Jahren Grabungsgeschichte. Ein architektonischer Höhepunkt des UNESCO-Welterbes ist die pittoreske Königshalle mit der weithin bekannten Sandsteinfassade. Gleich dahinter öffnet sich das Klosterareal, auf dem auch das Fragment der Nazarius-Basilika zu sehen ist. Im Pfingstrosengarten wachsen über 150 Arten und Sorten dieser bis heute bedeutenden Heilpflanze aus dem berühmten Lorscher Arzneibuch.
  • Unbedingt besuchen: Museumszentrum Lorsch mit integriertem Tabakmuseum (Nibelungenstraße 35; www.kloster-lorsch.de/muz
  • Diese Redaktion empfiehlt: Das Restaurant „Wirtshaus im Weißen Kreuz“, Marktplatz 2, 64653 Lorsch. Vorspeisen ab 5,50 Euro, Hauptgerichte ab 10,50 Euro. Geöffnet Mittwoch bis Montag von 11.30 bis 14.30 Uhr und ab 17 Uhr, samstags, sonn- und feiertags ab 11.30 Uhr. Durchgehend warme Küche.

UNESCO-Welterbe Kloster Lorsch Nibelungenstraße 32 64653 ...

UNESCO-Welterbe Kloster Lorsch Nibelungenstraße 32 64653 Lorsch

Kontakt: Telefon 06251/869200, www.kloster-lorsch.de.

Führungen und Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag öffentliche Führungen ab 11, 13 und 15 Uhr, mittwochs und samstags ab 14.30 Uhr Familienführungen durch das Freilichtlabor. Individuelle Führungen auf dem Klostergelände sind für Gruppen buchbar unter Telefon 06251/869200 oder per E-Mail an buchung@kloster-lorsch.de. Sonntags von 10 bis 17 Uhr sind Besichtigungen des Freilicht-labors ohne Führung möglich.

Anfahrt

mit dem Auto: Über A 5 oder A 67 sowie B 3, 47 oder 460 (Navigationsgerät: Nibelungenstraße 13).

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