Es ist die größte Armada der Geschichte: Am Morgen des 6. Juni 1944 steuern rund 6000 Schiffe mit 170 000 Mann an Bord von Südengland aus die Nordküste Frankreichs an. Ein Jahr danach ist der Zweite Weltkrieg in Europa beendet. Die Alliierte Invasion in der Normandie markiert den Anfang der Befreiung des Kontinents von den Nazis, damit auch vom Ende der Diktatur in Deutschland.
Doch zum Zeitpunkt der Invasion sind weite Teile Europas noch unter NS-Herrschaft; Großbritannien ist hier der einzige Kriegsgegner, der nicht besetzt ist. An der Ostfront jedoch ist die Wehrmacht seit der Niederlage in Stalingrad 1943 auf dem Rückzug. Zur Entlastung der Russen verlangt deren Regierungschef Stalin von den USA und Großbritannien einen Angriff im Westen: Die „zweite Front“ soll Deutschland in die Knie zwingen. Auf der Kriegskonferenz in Teheran 1943 sagen US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill dies für 1944 zu.
Die Deutschen kennen diese Gefahr natürlich. Sie überziehen die gesamte französische Nordküste mit Bunkern, Sperranlagen, Minen – und nennen das „Atlantikwall“. Und darauf vertrauen sie, denn die Masse der Waffen und Soldaten bleibt an der Ostfront gebunden. Zudem wissen sie nicht, wo genau und vor allem wann die Alliierten angreifen.
Der Start der Invasion hängt alleine von den Elementen ab
Doch auch die Alliierten haben Sorgen. Sie brauchen für ihre Fallschirmjäger den richtigen Stand des Mondes am Himmel und für ihre Schiffe eine günstige Flut. Vor allem darf das Meer nicht zu stürmisch sein. Schon aus einem sehr banalen Grund: Damit die Soldaten nicht durch Seekrankheit kampfunfähig werden. Es dauert, bis alle Faktoren stimmen. Immer wieder wird die Invasion verschoben, zuletzt am 4. Juni der Start vom 5. Juni abgeblasen. Laut der Meteorologen sind jetzt nur noch der 6., 7. oder 8. Juni möglich, danach erst wieder der 19. Juni oder gar ein Termin im Juli.
Doch ein ständiges Verschieben ist nicht möglich: Um den Überraschungseffekt zu wahren, muss die Aktion geheim bleiben – angesichts der Massen an Gerät und fast 200 000 Mann, die im Süden Großbritanniens warten, wird das aber immer schwieriger. Zudem wachsen bei den Soldaten, die daher nicht nach Hause schreiben dürfen, Ungeduld, ja Unruhe; der Kinofilm „Der längste Tag“ schildert das sehr anschaulich.
Die Entscheidung über den Termin liegt alleine bei US-General Dwight D. Eisenhower, dem Oberbefehlshaber der Westalliierten. Am 5. Juni versammelt er erneut seine Kommandeure. Der Chefmeteorologe, Oberstleutnant James Stagg, erstattet Bericht. Der 6. Juni sei günstig. Eisenhower erteilt den Befehl. „Okay, Boys, let‘s go“ lautet der Ausspruch, der ihm nachgesagt wird.
Um Mitternacht machen sich 170 000 Mann – Amerikaner, Briten, Kanadier, Franzosen, Polen, Norweger und Soldaten vieler anderer Nationen – auf rund 6000 Schiffen im Süden Englands auf den Weg an die französische Küste. Unterstützt werden sie durch Kriegsschiffe mit ihren Geschützen und 12 000 Flugzeuge.
Der Angriff von See aus erfolgt an der Küste auf einer Breite von 98 km zwischen Sainte-Mère-Église auf der Halbinsel Cotentin im Westen und Ouistreham im Osten. In den westlichen Abschnitten (Codenamen Utah und Omaha Beach) landen die Amerikaner, in den angrenzenden Abschnitten Gold, Juno und Sword Beach die Briten und Kanadier.
Die Invasion – Gedenken und Informationen
Besichtigen: Nahezu jeder Ort in der Normandie hat ein D-Day-Museum. Eines der größten: jenes in Bayeux. Führungen zu zentralen Schauplätzen des D-Day (Tagesfahrt im Van), 125 Euro p.P., www.getyourguide.de.
Gedenkjahr 2024: Noch bis 15. Oktober zahlreiche Veranstaltungen. Übersicht: www.ddayfestival.com
Höhepunkt: Am 6. Juni offizielle Zeremonie in Saint-Laurent-sur-Mer nahe Omaha-Beach, zu der Frankreichs Staatspräsident Macron über 25 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt eingeladen hat, an der Spitze US-Präsident Joe Biden. Mit dabei auch 300 Veteranen, alle weit über 90, manche gar 100 Jahre alt.
Zeremonie zum 75. Jahrestag 2019, noch mit Queen Elizabeth II., auf Youtube abrufbar (dazu Suchfrage eingeben: D Day 75 A Tribute to Heroes).
Bedeutung: Der D-Day ist in den USA und Großbritannien ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur. In Frankreich spielt er auf nationaler Ebene lange keine Rolle. General de Gaulle hat als Präsident (1958-1969) keinerlei Interesse an der Erinnerung daran, dass es Amerikaner und Briten waren, die sein Land befreit haben. Erst Nachfolger François Mitterrand hält 1984 eine Gedenkfeier ab – Kanzler Kohl ist nicht eingeladen. Zum 75. Jahrestag 2019 wird Angela Merkel eingeladen und freundlich empfangen.
Filmische Umsetzung: „Der längste Tag“ (1962), mit Darstellern aus den 1944 an der Schlacht beteiligten Ländern (USA, GB, F, D): John Wayne, Robert Mitchum, Henry Fonda, Rod Steiger, Richard Burton, Sean Connery, André Bourvil, Curd Jürgens, Gert Fröbe, Vicco von Bülow, Dietmar Schönherr, Hans Söhnker. -tin
Die Luftlandetruppen sollen im Hinterland agieren. Viele werden jedoch bereits in der Luft hilflos von den Deutschen abgeschossen. Legendär ist das Schicksal der US-Soldaten John Steele und Ken Russell, die mit ihren Fallschirmen im Turm der Kirche von Sainte-Mère-Eglise hängenbleiben, während unter ihnen auf dem Kirchplatz heftige Kämpfe toben. Dort findet ihr Kamerad John Ray den Tod, als er jenen deutschen Soldaten, der auf die beiden anlegt, noch ausschalten kann.
An den britischen Abschnitten Gold, Juno und Sword gelingt die Landung, auch am Utah Beach. Am Omaha Beach dagegen kommt es zum Desaster. Viele Soldaten ertrinken mit ihrer 37 Kilogramm schweren Ausrüstung, bevor sie den Strand erreichen, oder werden an Land abgeschossen, da auf den 300 Metern Strandstrecke ohne Deckung. Bereits um 10 Uhr am Invasionstag liegen hier 3000 Tote und Schwerverwundete. Viele weitere Leichen schwimmen im Meer. An manchen Stellen ist das Wasser rot vor Blut.
Auch an den Steilküsten ist der Aufstieg für die Alliierten tödlich. Sobald die ersten die Kuppe erreichen, sterben sie im deutschen MG-Feuer. Doch am Mittag ist der Durchbruch geschafft. Am Abend haben sich die Alliierten überall festsetzen können.
Mit entscheidend ist die Unterstützung des französischen Widerstandes. Die Résistance liefert nicht nur im Vorfeld Informationen, sondern zerstört auch am Tag selbst Brücken und Telegrafenleitungen der Deutschen. Diese rächen sich furchtbar: Im Dorf Oradour-sur-Glane etwa ermordet die SS die gesamte Bevölkerung: 642 Menschen, darunter 254 Frauen und 207 Kinder. Nur ganze sechs Einwohner überleben.
Doch wie ist die Reaktion der Deutschen am Tag der Invasion selbst? Von Chaos geprägt! Der Befehlshaber des örtlichen 84. Armeekorps, General Marcks, feiert nachts in seinen 53. Geburtstag hinein; der Oberbefehlshaber in Frankreich, Feldmarschall von Runstedt, ist bei seiner Geliebten in Paris und zunächst nicht auffindbar; der für den Altlantikwall verantwortliche Feldmarschall Rommel weilt zu Hause in Herrlingen bei Ulm, um seiner Frau Lucie zum 50. Geburtstag zu gratulieren – mit einem Paar Schuhen aus dem besetzten Paris als Geschenk. Und der „Führer“? Er schläft.
Hitler weigert sich zu lange, Panzertruppen einzusetzen
Auf dem Berghof ist Hitler um 4 Uhr früh zu Bett gegangen. Nach Eintreffen der neuesten Meldungen, deren Relevanz man immer noch nicht erkennt, wagt niemand, ihn zu wecken. Erst beim Frühstück am späten Vormittag wird Hitler informiert. Doch das sorgt bei ihm keineswegs für Panik – im Gegenteil. „Die Nachrichten könnten gar nicht besser sein“, sagt er im Anflug von Hybris: „Solange die Alliierten in England waren, konnten wir sie nicht schlagen. Jetzt haben wir sie endlich dort, wo wir sie schlagen können.“
Eigentlich stehen zwei kampfstarke Verbände bereit, um den Invasionstruppen entgegenzutreten: die 12. SS-Panzerdivision und die Panzer-Lehrdivision. Für ihren Einsatz ist die „Führer-Genehmigung“ notwendig. Diese, von Runstedt nunmehr eingefordert, verweigert Hitler zunächst jedoch. Erst als die Hilferufe im Laufe des Tages immer dringlicher werden, erteilt er sie, um 16 Uhr. Zu spät. Innerhalb von zehn Tagen bringen die Alliierten 1,5 Millionen Soldaten auf den Kontinent.
Und trotzdem: In den kommenden Wochen gelingt es der Wehrmacht trotz uneingeschränkter See- und Luftüberlegenheit der Alliierten mit fanatischem Widerstand und einer Politik der verbrannten Erde, die Alliierten einige Zeit aufzuhalten. Erst am 25. August ist Paris befreit.
Die Invasion fordert auf Seiten der Alliierten 53 000 Tote, 18 000 Vermisste und 150 000 Verwundete, auf deutscher Seite 50 000 Tote sowie 150 000 Verwundete und Vermisste. Die Opfer unter der französischen Zivilbevölkerung betragen 20 000 Tote, zumeist übrigens durch Bombenangriffe der Alliierten.
Im Sommer 1944 ist jedem klar, dass der Krieg für Deutschland verloren ist. Auch und gerade Militärs. Jetzt wagen einige von ihnen um den Grafen Stauffenberg am 20. Juli das Attentat auf Hitler, der jedoch überlebt und weiter wütet. Erst am 8. Mai 1945 endet der Krieg. Ohne die Invasion hätte er weit länger gedauert. Und, wie Historiker annehmen, wohl den Abwurf einer Atombombe auch auf Deutschland gebracht – im Raum Mannheim-Ludwigshafen.
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