Schauspiel

Hausautor Amir Gudarzi über sein Auftragswerk für Mannheim

Erst 2023 kam sein Roman heraus, jetzt kommt ein Stück des Mannheimer Hausautors im Studio Werkhaus zur Uraufführung. "Als die Götter Menschen waren" heißt die Auftragsarbeit für das Nationaltheater

Von 
Ralf-Carl Langhals
Lesedauer: 
Dramatiker und Romancier Amir Gudarzi liebt Spiegelungen. Nicht nur in der Mannheimer Innenstadt, sondern auch in seinen Werken. © Christian Kleiner

Mannheim. Die Götter hatten einst keine Lust mehr, zu arbeiten - und schufen sich dafür die Menschen ... Der Hausautor des Mannheimer Nationaltheaters wagt sich faustisch an Großes: Schöpfung, Kapital, Amazon und die Weltreligionen. Am 26. Januar wird Regisseur Franz Xaver Mayr die Auftragsarbeit „Als die Götter Menschen waren“ von Amir Gudarzi im Studio Werkhaus zur Uraufführung bringen. Wir sprachen daher mit dem iranisch-österreichischen Autor und Dramatiker „über Gott und die Welt“.

Herr Gudarzi, Ihr neuer Text bezieht sich auf das Atrahasis-Epos, eine gut 3000 Jahre alte sumerische Schöpfungsgeschichte eines unbekannten mesopotamischen Dichters. Das klingt komplex ...

Amir Gudarzi: Alles, was man braucht, ist im Text, man kann es verstehen. Ich lege alles, was nötig ist, um ihn zu verstehen, in das Stück hinein. Auch ich kannte das Epos zuvor nicht. Ich habe es irgendwann entdeckt und mich dann damit auseinandergesetzt. Grundsätzlich habe ich ein Problem mit Stücken, die auf die Menschen im Publikum herabschauen. Mir ist es wichtig, dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen.

Wo das Kapital ist, kennt man keine Nationalität

Für den europäischen Theaterkontext erzählen Sie eine in unserem Kulturkreis überwiegend unbekannte Geschichte ...

Gudarzi: Schon, aber Teile davon kommen uns durchaus vertraut vor. Der Punkt ist, dass auch die griechische Antike, die heute als Basis des klassischen europäischen Kanons verstanden wird, über Jahrtausende im Austausch mit der erweiterten geografischen Region und ihren Kulturen entstanden ist, es wurden also auch Erzählungen aus anderen Kulturkreisen darin aufgenommen. Die alten Mythen sind letztlich keine rein europäischen Geschichten, sondern schlicht Menschheitsgeschichten. Es macht mir Freude, diese kennenzulernen - und auch zu teilen.

Dazwischen treiben in Ihrem Text Figuren der Zeitgeschichte wie Elon Musk oder Basher al Assad und selbst wirtschaftsliberale Ungeheuer wie Amazon, Google und Twitter oder Paketzulieferdienste ihr Unwesen. Stellt Ihr Text bewusst Mythos und kapitalistische Realität gegenüber?

Gudarzi: Als bewusste Gegenüberstellung habe ich es nicht geschrieben. Es steht nebeneinander, aber ist kein Vergleich. Atrahasis hat ebenso wie das Gilgamesch-Epos sehr viel beeinflusst. Die Menschen vor 3000 Jahren standen auch ohne Internet und Social Media in regerem kulturellen Austausch miteinander, wobei Nationalitäten im Übrigen eine geringere Rolle spielten als heute.

Inwiefern?

Gudarzi: Kulturelle Trennungen waren nicht so scharf, Grenzen und Rassismus weit weniger vorhanden als heute, wo Gesellschaften in merkwürdigem Ost-West-Denken verhaftet sind; eine solche Ost-West Geschichte will ich nicht erzählen.

Welche denn?

Gudarzi: Das Atrahasis-Epos galt als verschwunden und wurde erst in den 1960er Jahren, als nach und nach einige Tafeln gefunden und übersetzt wurden, von Wissenschaftlern aus dem Westen neu entdeckt. Es sind Geschichten darunter, die wir aus dem Alten Testament kennen, wie etwa die Sintflut-Geschichte oder die Erschaffung der Menschheit aus Lehm, deren Originale durch Kriege und Eroberungen verschwunden waren oder verschwinden sollten. Zwischenzeitlich waren den Menschen diese Geschichten längst mit Eifer als DIE Wahrheit und Inhalte davon als religiöse Glaubensinhalte verkauft worden. Mir war es wichtig darzulegen, dass es diese kulturelle Gegensetzung von Orient und Okzident somit eigentlich nicht gibt.

Amir Gudarzi

  • In Teheran studierte Amir Gudarzi an der damals einzigen Theaterschule im Iran, wo er ein Studium in Szenischem Schreiben abschloss. Als kritischer Autor geriet er unter Druck, verließ das Land und lebt seit 2009 im Exil in Wien.
  • Für sein Stück „Wonderwomb“ wurde er mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatik 2022 ausgezeichnet. Ferner erhielt Gudarzi 2021 den Förderungspreis der Stadt Wien sowie weitere Preise und Stipendien, u. a. 2018 bis 2020 das „DramatikerInnenstipendium des österreichischen Bundeskanzleramts“ und 2020/2021 das Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums Berlin.
  • 2023 erschien sein Roman „Das Ende ist nah“ und er wurde Hausautor in der Nachfolge Friedrich Schillers am Nationaltheater Mannheim.
  • Premiere der Uraufführung seines Stücks „Als die Götter Menschen waren“ ist am Freitag, 26. Januar, 20 Uhr, im Studio Werkhaus. Karten telefonisch unter 0621/1680 150 oder nationaltheater-mannheim.de

 

Kennen unsere neuen Götter Ost und West?

Gudarzi: Nein, wo das Kapital ist, kennt man keine Nationalität. Kapital ist gesichtslos, hat keine Ethnizität, ist nicht national, sondern multinational. Ich frage in meinem Stück „Wie könnten die sogenannten ‚neuen Wahrheiten‘ in Zukunft aussehen?“ und schlage somit die Brücke zu neoliberalen Verhältnissen.

Erzählen Sie mit einem Urmythos der Gesellschaftsgründung auch eine Geschichte der Arbeit?

Gudarzi: Ich habe versucht, zwei Spiegel gegenüberzustellen, die tausendfach in zwei Richtungen Bilder aus Vergangenheit und Zukunft zeigen. Kritisches Nachdenken ist mir dabei das Wichtigste. Ist eine zur Religion gewordene Geschichte die Wahrheit? Die Atrahasis-Schöpfungsgeschichte erhebt nicht den Anspruch, eine göttliche Geschichte zu sein. Die Götter- und Menschenebene wird darin mit Arbeit verknüpft. Das heißt, die Menschen, die sich Götter ausgedacht haben, werden dann von den Göttern durch Arbeit versklavt. Wie sieht es nun in Zeiten aus, wo weniger Menschen an Götter glauben und dabei immer noch auf den Führungsanspruch der jeweiligen Religionen treffen?

Lesung

"Das Ende ist nah": NTM-Hausautor Amir Gudarzi über seinen Roman

Veröffentlicht
Von
Anna Suckow
Mehr erfahren

Und wer arbeitet für sie?

Gudarzi: Wenn wir über Menschen reden wollen, die für die sogenannten neuen Götter, wie Elon Musk, arbeiten, sind das Menschen, die durch schlechte Entlohnung versklavt werden, oder Roboter. Und entstehen daraus nicht zwei Gesellschaften, die Gesellschaft der Armen und diese Elite der Reichen - und was bedeutet das für Demokratien, in denen es international Tendenzen gibt, dieser Elite das Recht zur Regierung aller zu geben?

Heißt unser Gott Kapital oder auch Amazon-Bequemlichkeit?

Gudarzi: Ich habe wenig Antworten und verstehe meine Aufgabe eher darin, Fragen zu stellen. Ich will weniger moralisieren, sondern diese so genannten absoluten Wahrheiten in Frage stellen.

Sie haben einen Paket-Fahrer oder den Google-Maps-Filmer Johnny im Stück, was bedeuten sie in Ihrer Menschheitsgeschichte?

Gudarzi: Was heißt Geschichtsschreibung, wenn alles digitalisiert wird? Ein Festhalten der Bilder ist unsere neue Art der Geschichtsschreibung. Aber was ist, wenn die Datenträger weg und Venedig untergegangen sein wird? Oder was ist mit den Ländern, die Google-Maps-Aufnahmen nicht zulassen? Es folgen Gedächtnisverlust und der Untergang einer Hochkultur, diese Gedanken haben mich zu diesen digitalen Welterfassern und Paketfahrern geführt.

Das Porträt

„Deutsch ist eine sehr neurotische Sprache“

Veröffentlicht
Von
Ralf-Carl Langhals
Mehr erfahren

Im Stück haben Sie eine Sequenz, die heißt „Elon Musk rettet die Welt“ - ist das blanker Zynismus?

Gudarzi: Er baut nicht nur Autos, sondern auch Raumschiffe, spricht von Leben auf dem Mars, hat mehr Satelliten als die Nationalstaaten - das ist eine zynische Geschichte. Propheten haben sich immer selbst zu Propheten und Rettern erklärt.

Was können wir tun?

Gudarzi: Wir können noch innehalten und entscheiden, ob wir so weitermachen wollen. Unsere Freiheit besteht leider nicht immer darin, aktiv zu agieren, unsere Freiheit besteht meist eher darin, innezuhalten. Die Kette des Mechanismus wird so unterbrochen und wir können so doch etwas ändern.

Wie zum Beispiel?

Gudarzi: Wir kommen alle in Situationen, in denen wir einen Moment länger nachdenken sollten. Denken wir etwa an Cristiano Ronaldo, der die Entscheidung getroffen hat, Unsummen Geldes von den Saudis anzunehmen, die gleichzeitig Menschenrechtsaktivisten wie Jamal Kashoggi umbringen und in Säure auflösen. Macht es Sinn, dennoch Fan zu sein? Denken wir an Regime wie das iranische: Wir mögen kleine Rädchen sein, aber wenn wir nicht mitmachen, funktioniert auch das große Ganze nicht. Die erwähnten Machthaber können nicht alles alleine machen, sind darauf angewiesen, Aufgaben, Aufträge und Befehle abzugeben. Darin liegt eine Chance für uns.

Dennoch scheinen Ihre Stücke eher dunkel und dystopisch ...

Gudarzi: Das ist eine bewusste Entscheidung. Religionen arbeiten mit der Utopie des Paradieses. Auf Erden aber zerstören sie die Welt, hetzen Menschen gegeneinander auf, zur Mission, zum Bekehren, zur Verbrennung, Steinigung, zum Heiligen Krieg. Es werden im Namen der Religion so viele Menschen umgebracht. Insofern darf man den Vorgang, Utopien zum metaphysischen Lebensziel zu erklären, im Hier und Jetzt durchaus in Frage stellen - und dystopisch betrachten. Vielleicht führen uns diese finsteren Aussichten eher dazu, zu Lebzeiten etwas zu ändern. Ich finde, einen Versuch ist es wert ...

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke