Krautrock

Warum die Festival-Bastion Finkenbach unbeschadet bleibt

Beim Odenwälder „Krautrock“-Festival gibt es auch ohne Mani Neumeier und seine Band Guru Guru keine größeren Veränderungen: 1500 Menschen feiern "Finki"-Klassiker wie Kraan oder Birth Control

Von 
Hans-Günter Fischer
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Auch ein Dauergast beim „Finki“: Star-Bassist Helmut Hattler mit Kraan. © Thomas Wilken

Mag ja sein, dass dieser Gag nicht mehr taufrisch ist: „Leider kann Pink Floyd heute nicht auftreten - wegen des Brexits“, scherzt beim Festival in Finkenbach Neil Palmer, ein inzwischen eingedeutschter Engländer, wie er betont. Palmer ist eigentlich als Keyboarder bei Alex Auer And The Detroit Blackbirds tätig, aber diese Formation spielt erst den allerletzten Gig des zweiten Abends. Wenn im Odenwald schon Sonntag ist. Palmer hat also noch viel freie Zeit und gibt gekonnt den Festspielmoderator. Und zwar einen, der (wie mancher Brite) den Comedian serienmäßig mitliefert.

Die Birth-Control-Formation um den zurückgekehrten Sänger Peter Föller (Mitte) demonstrierte beim Krautrock-Heimspiel in Finkenbach gewohnte Klasse. © Thomas Wilken

Oft gelingt The Spacelords ein „Flow“

Die Gruppe, die am ersten Tag gewissermaßen als Pink Floyd-Ersatzband angekündigt wird, nennt sich The Spacelords. Die drei Herren reden eher nicht so oft, vom Singen halten sie sich ebenfalls meist fern. Ihre Musik sei als „instrumentaler Space- und Psychedelic-Rock mit Stoner-, Kraut- und Prog-Rock-Einflüssen“ zu definieren, lässt sich nachlesen. Eine Umschreibung wie fürs Lexikon. Doch sie trifft zu, die teilweise schon leicht ergrauten Spacelords offerieren eine schwerblütige, stoische Musik, die Stücke laufen zehn Minuten oder länger. Sie sind druckvoll, aber von begrenzter musikalischer Ereignisdichte. „Soundscapes“ und Effektgeräte spielen eine ziemlich große Rolle, die ausführlichen Instrumentalpassagen atmen manchmal noch den Prog-Rock-Geist der 1970er. Es soll ein „Flow“ entstehen. Was gar nicht so selten glückt.

Birth Control als klassischer Headliner

Dass nach dem Rückzug Mani Neumeiers und seiner Gruppe Guru Guru Finkenbach das Herz herausgerissen worden sei, hätte man durchaus denken können. Doch das ist wohl nicht der Fall, man stellt stattdessen fest, dass sich gar nicht so viel verändert hat. Auch am Programmkonzept aus „Kraut“- und Blues-Rock sowie Weltmusik. Selbst alte Helden treten wieder auf: Die Säulen des Programms, die jeweiligen Top-Acts an den beiden Abenden des Festivals sind „Krautrock“-Veteranen. Birth Control machen den Anfang, dabei hätte am vermutet, dass die Gruppe nach dem Tod von Schlagzeuger und Sänger „Nossi“ Noske, ihrem absoluten Zentrum, nicht mehr lebensfähig sei. Stattdessen kehren nun zwei Altmitglieder, die vor 40 Jahren (!) ausgestiegen waren, in die Band zurück.

Selbst eine aktuelle Platte gibt es, mögen diese neuen Stücke auch, nach vielversprechendem Beginn, bisweilen zum Versanden neigen. Doch im Ganzen wirken Birth Control vital und fast wie neu geboren. Nur das Ende (des Konzerts) ist trotzdem klar, da schleppen die fünf Musiker, von denen Martin Ettrich immer wieder eine süffig melodiöse E-Gitarre einflicht, eine schwere Hypothek mit sich herum. Oder ein singuläres Highlight, je nach Standpunkt. Es heißt „Gamma Ray“ und ist für Birth Control, was „Der Elektrolurch“ für Guru Guru ist: der eine Song, den ihre Fans für immer mit der Band verbinden. Dieses Mal spendet ein funky Bass-Solo von Hannes Vesper ein paar neue Frischzellen.

Wucan aus Dresden beeindrucken

So etwas braucht die junge Dresdner Gruppe Wucan nicht. Vor allem wegen ihrer Hauptfigur Francis Tobolsky - die schon aus dem Soundcheck eine Show macht und eine Massierung von Talenten zeigt: als Sängerin (mit exponierter, exaltierter Kopfstimme), Flötistin, Tänzerin. Als „Heavy Flute Rock“ wurde die Musik von Wucan schon bezeichnet. Und mit Jethro Tull verglichen. Aber es ist Jethro Tull 2.0: viel schneller und viel härter. Manchmal fühlt man sich dann auch etwas erschlagen.

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Wucan dürften trotzdem noch viel Zukunft haben, ihr Debüt in Finkenbach zumindest ruft nach einer Wiedereinladung. Auch Mother’s Cake aus Österreich sind eine ziemlich junge Band, und ihrem Namen werden sie zunächst gerecht, indem sie gute Hausmannskost servieren: schnurgeraden Hardrock. Aber rasch kommt mehr hinzu, die aktuelle Platte etwa nennt sich „Cyberfunk!“ - tatsächlich zählen auch die Red Hot Chili Peppers zu ihren Bezugsgrößen. Doch Leadsänger Yves Krismer, dessen Vortrag reizvoll quengelnd und gequält erscheinen kann, ist auch zu einer wirklich schönen Stadion-Schnulze fähig. Fast, als wolle er zum Jon Bon Jovi Österreichs befördert werden (aber warum eigentlich „befördert“?). Dann wieder gibt es verschrobene, verträumte Prog-Rock-Anklänge. Die Kuchenbäcker aus Tirol lassen sich nicht auf einen schlichten Nenner bringen. Das spricht für sie.

Helmut Hattler findet es "unbezahlbar"

Über Kraan dagegen, Top-Gruppe am zweiten Tag, muss man wohl nichts mehr sagen, die Lizenz zum Grooven haben sie bereits seit mehr als 50 Jahren. Wie oft haben sie in Finkenbach gespielt? Womöglich weiß das nicht mal Hellmut Hattler, doch er nennt das Festival „eine Bastion“, bezeichnet es als „unbezahlbar“. Der Bassist bildet mit den Gebrüdern Peter und Jan Fride Wolbrandt an der E-Gitarre und dem Schlagzeug eine nicht mehr enger vorstellbare Einheit, so „zusammen“ ist sonst keine Band. Doch diesmal gibt es auch den jungen Gast-Keyboarder Martin Kasper - der etwa das alte „Jerk Of Life“ auf Touren bringt. Und eine überraschend starke neue Platte gibt es ebenfalls, sie trägt den Titel „Sandglass“. Präzision und Elastizität im Rhythmischen sind immer noch auf Top-Niveau. Für „Krautrock“ ist das eher untypisch. Aber bei Kraan hat der Begriff ja ohnehin noch nie gepasst.

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