Theater

Von Aberglaube bis Politik: Moderne Lesart von "Der Freischütz"

Die Schlossfestspiele Zwingenberg feiern ihr 40-jähriges Bestehen mit einer außergewöhnlichen Aufführung des "Freischütz". Regisseurin Angela Brandt setzt auf visuelle Opulenz und tiefgründige Psychologisierung

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Die Schlossfestspiele Zwingenberg feiern ihr 40-jähriges Bestehen mit einer außergewöhnlichen Aufführung des „Freischütz“. © Emília Horpácsi

Eine Rezeptur mit eher ungewohnten Zutaten: Um todbringende Freikugeln zu gießen, diese Munition des Teufels, braucht es unter anderem Scherben aus Kirchenfenstern und das rechte Auge eines Wiedehopfs. Beides nur mühsam aufzutreiben. Doch was soll‘s, die Wolfsschlucht-Szene aus dem „Freischütz“ handelt eben von abstrusem Aberglauben, der noch aus dem Mittelalter stammt. Das haben wir längst hinter uns gelassen, oder? Keineswegs, bescheidet uns Angela Brandt als Regisseurin eines Jubiläums-„Freischütz“ bei den Schlossfestspielen Zwingenberg im schönen Neckartal - die immerhin schon 40 Jahre alt geworden sind.

Die Wolfsschlucht-Szene als Spiegel gesellschaftlicher Irrationalität

Natürlich hat sie recht. Irrationalität ist wieder auf dem Vormarsch, der Befund ist mittlerweile alles andere als neu. Verschwörungsnarrative, wolkenreiche „Esoterik“, Zukunftsangst und rätselhafte, aber tiefe Frustrationen überall. Und das gebiert durchaus Gewalt.

"Der Freischütz"

Die Vorlage für seine Oper soll dem Komponisten auf Stift Neuburg nahe Heidelberg schon 1810 begegnet sein: mit dem Gespensterbuch“ von August Apel und Friedrich Laun, im selben Jahr erschienen. So berichtet es zumindest Max von Weber, Sohn des Komponisten. Doch das ist nicht zweifelsfrei belegt.

Die Arbeit an der Oper (und ihrem Libretto) fand erst deutlich später statt, in Webers Dresdner Jahren. Dass das Heidelberger Mausbachtal, nahe am Stift gelegen, Vorbild für die Wolfsschlucht sei, den populärsten Handlungsort des „Freischütz“, ist nur ein Gerücht. Doch Wanderungen durch das Neckartal hat Weber unternommen, und womöglich führten sie ja wirklich bis nach Zwingenberg.

Die „Wolfsschlucht“ dort hat 1983 einen jungen Musiker zur Festspielgründung inspiriert - und seit der Pioniertat von Guido Johannes Rumstadt ist „Der Freischütz“ schon in 25 Spielzeiten gegeben worden. In gut 70 Aufführungen. Auch wenn er inzwischen immer häufiger von Musicals verdrängt wird.

Etwa 320 000 Besucher haben das Festival bisher besucht.

Wenn Regisseurin Brandt in Zwingenberg besagte Wolfsschlucht-Szene optisch orchestriert, mit Fackeln auf der großen Freitreppe zum Schloss, mit einer Feuerstelle auf der Bühne, wird zwar viel Theater-Qualm erzeugt. Doch die Vermummten und Maskierten, die zu Anfang aufmarschieren, könnten auch an Stanley Kubricks letzten Film erinnern: „Eyes Wide Shut“. Da gibt es ebenfalls eine satanische Zeremonie - doch sie spielt in der Gegenwart. Und über allem thront am Schluss (in Zwingenberg) ein Herr in Anzug und Krawatte. Ein Politiker vielleicht, der all den Aberglauben auszunutzen weiß.

Wenig Requisiten, viele Menschen

Doch Brandt, früher als Assistentin der Regie-Legende Harry Kupfer tätig und seit langem an der Semperoper Dresden mit der Abendspielleitung betraut, kennt auch die „Freischütz“-Tradition. Den Bilderbuch-Naturalismus und die grünen Wald- und Försterhaus-Klischees, die sich in Zwingenberg besonders anbieten. Bisweilen scheint sie dem auch nachzugeben, eine Welt zu zeigen, in der „Dirndl“ sittsam, Jägerburschen schneidig und Honoratioren rüstig sind, wie einst im badisch-markgräflichen Amtsgericht. Oder so ähnlich. Doch es scheint eben nur so. Bereits der „Freischütz“ handele auch von Versagensängsten, unerfüllbarem Erwartungsdruck und unterdrückter Sexualität, glaubt Brandt. Und zeigt es mit profunder Psychologisierung.

Rainer Zaun brilliert als Erbförster

Für den deutschen Wald bleibt da im Bühnenbild von Helmut Mühlbacher nicht mehr viel Platz. Er schrumpft zur Abstraktion, zur grünen Glasfläche in schwarz gerahmten Vielecken. Die Bühne ist auch arm an Requisiten. Aber reich an Menschen. Sogar Charakteren. Was sich insbesondere in der Figur des Jägerburschen Kaspar offenbart, der keine Ausgeburt des Bösen ist, sondern wie ein betrogener, frustrierter Kriegsheimkehrer auftritt. Mit Tattoos und kaum verheilten Wunden taumelt er durch diese Inszenierung, und Kai Preußkers Stimme zeichnet ihn so finster, wie er ist.

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Aber der Jubiläums-„Freischütz“ bietet auch bekannte Namen aus der Festivalgeschichte auf. Vor allem Rainer Zaun, vielleicht der beste Zwingenberger Kaspar aller Zeiten. Das ist freilich lange her, jetzt wertet Zaun den Part des Erbförsters gehörig auf - konturenscharf wie immer.

Während Sebastiano Lo Medico ein etwas korpulenter Jägerbursche Max ist, dessen leichter italienischer Akzent freilich mitnichten stört: Er ist ja nicht bloß zu Beginn der Oper einer, der nicht ganz dazugehört. Seine Verzweiflungstöne klingen echt.

Xenia von Randow ist in Zwingenberg vom Ännchen zur Agathe aufgestiegen. Somnambul bewegt sie sich durchs Stück. Vielleicht ist Ännchen doch die dankbarere Rolle, in der aktuellen Inszenierung hat Viktoria Kunze jedenfalls schier unbegrenzten Spielraum. Und sie nutzt ihn aus: „Ein 16-Ender - Wow!“, ruft sie begeistert. Große Hirsche mag sie. Jägerburschen auch. Und wenn sie einen Kettenhund herbeipfeift, kommt ein gut dressierter Schoßhund angelaufen und hebt artig seine Pfoten. Witz hat diese Inszenierung eben auch.

Sänger aus regionalen Chören

Sogar der Zwingenberger (Laien-) Chor ist deutlich angewachsen, doch agiert er nicht nur mit Masse, sondern auch mit Klasse. Schön, dass mittlerweile viele Kinder mitmachen - und für den Jägerchor drei Chöre der Region die besten Sänger abstellen.

Dem Dirigenten-Intendanten Rainer Roos stehen für das Orchester unter anderem auch Nationaltheater-Musiker aus Mannheim sowie Instrumentalisten aus der Staatsoper in Stuttgart zur Verfügung. Mit geballter (Hörner-) Wucht, aber auch Andacht manövrieren sie sich durch die wunderbare Partitur.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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