Ludwigshafen. Es ist echt spannend: Man weiß nie, wann bei ihm ein Stück zu Ende ist. Auch wenn Pat Metheny gerade eine harmonisch abgerundete Schlusskadenz gespielt hat, gibt es für ihn immer noch etwas zu entdecken, was sich zu erforschen lohnt - ein reizvoller Akkord, den es harmonisch weiterzuspinnen gilt, verhallende Obertöne, die zu neuen Melodien inspirieren oder ein stehender Klang, dem noch eine dekorierende Ausschmückung hinzuzufügen ist. Der Meister-Gitarrist legt bei seinem beeindruckenden Enjoy-Jazz-Auftritt im ausverkauften BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen eine überschäumende Fabulierlust an den Tag.
Pat Metheny im Feierabendhaus: Musiker im Publikum - "das sind die, die nicht klatschen"
Und das nicht nur in musikalischer Hinsicht, er ist auch - bei ihm völlig ungewohnt - in Plauderlaune. Bei seinem zweistündigen Solo-Konzert hält er sein Publikum, das ihn beim Finale frenetisch mit Ovationen im Stehen feiert, durch allerlei Anekdoten bei der Stange. In aufgeräumter Stimmung wartet er mit witzigen Pointen auf, erzählt etwa, dass er im Kindesalter so schlecht Trompete geblasen habe, dass „die Vögel tot vom Himmel fielen“. Oder er mutmaßt, es seien wohl viele Musiker im Publikum: „Das sind die, die nicht klatschen.“ Aber wo steht geschrieben, dass Jazz nicht auch Entertainment sein darf? Und unterhaltsam ist Methenys Darbietung in höchstem Maße.
Geschickt zieht er einen langen Spannungsbogen über 120 Minuten, bis die Performance in einem spektakulären Höhepunkt gipfelt. Da lässt er den hinteren Bühnenvorhang fallen und wie in einer Zauber-Show quasi aus dem Nichts sein Orchestrion auftauchen - ein monströses, bizarres Instrumenten-Arsenal mit Becken, Rasseln, Trommeln, Glockenspiel, die wie von Geisterhand via Computer-Technik zischen, ratschen, klirren, klingeln. Davor sprintet der Sound-Magier von rechts, wo er ein paar Takte auf einem E-Bass intoniert, der daraufhin von alleine weiterspielt, nach links, dort bedient er auf gleiche Weise eine E-Gitarre, ehe er im Zentrum des Podiums zum Gitarren-Synthesizer greift, der in triumphierenden Klangspiralen aufheult. Es klingt wie einst bei seiner Pat Metheny Group, mit der er zum globalen Popstar aufstieg. Das Publikum rast.
Trotz einer Prise Las-Vegas-Glamour: Pat Metheny bietet eine exzellente One-Man-Show
Dass hier etwas Las-Vegas-Glamour aufblitzt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie exzellent diese One-Man-Show musikalisch ist. Sie beginnt leise und verhalten mit Improvisationen auf der akustischen Gitarre. Da ist es so, als säße der Saitenvirtuose auf der Veranda seines Landhauses und fantasiere auf der Klampfe, was ihm gerade in den Sinn kommt. Themen tauchen unvermittelt auf und verschwinden, wie - ganz kurz nur - sein Hit „This Is Not America“. Oder das verträumte Liebesthema des „Cinema Paradiso“-Films, mit dem Metheny in einem längeren Block dem Balladen-Album „Beyond The Missouri Sky“ seine Reverenz erweist, das er 1997 mit Bassist Charlie Haden aufgenommen hat.
Pat Metheny - Musiker mit vielen Facetten
- Der US-Gitarrist Pat Metheny, geboren 1954, ist mit mehr als 1,7 Millionen verkauften Tonträgern einer der populärsten Jazzinstrumentalisten aller Zeiten. In seiner Musik vereint er hochvirtuose Improvisationen mit Einflüssen aus Pop, Folk, Country, Latin, Ambient und Minimal Music zu einer oft eingängigen Sound-Mixtur.
- Schon mit 19 war er Gitarren-Dozent am Berklee College of Music in Boston. Mit seiner Pat Metheny Group (1977 bis 2010), deren Fusion-Stil ungewöhnlich melodisch angelegt war, erreichte er früh Popstar-Status. Das von David Bowie gesungene „This Is Not America“ wurde 1985 ein Top-20-Hit.
- Aber Metheny mag auch swingenden Jazz (etwa mit Roy Haynes und Dave Holland auf „Question And Answer“, 1990) und Experimentelles. 1986 erschien das Free-Jazz-Album „Song X“ mit Ornette Coleman, 1994 das radikale Noise-Projekt „Zero Tolerance For Silence“. Immer wieder aber kehrt Metheny als Solo-Gitarrist zum Wohlklang zurück.
Bei aller Wohlklang-Romantik offenbart sich aber eine improvisatorische Meisterschaft, die im Jazz ihresgleichen sucht. Metheny, der in endlos wirkenden Non-Stop-Linien schwelgt, besitzt eine unglaubliche Geläufigkeit, mit der er Melodien, motivische Variationen, harmonische Hinterfragungen, dissonante Reibungen und rhythmische Aufbrechungen scheinbar ohne Anstrengung in einen steten Ideenfluss integriert. Seine musikalische Eloquenz, das Ergebnis fast obsessiver Probenarbeit, kennt keine technischen Grenzen.
Das neueste Spielzeug von Pat Metheny: Die Bariton-Gitarre
Mit seinem neuesten Spielzeug, der Bariton-Gitarre, treibt er seine Ausdrucksfähigkeit auf die Spitze. Für sie zu komponieren, sei, als schreibe man für drei Viertel eines Streichquartetts, erklärt er. Das tiefer gestimmte Saiteninstrument eröffnet ihm tatsächlich neue Dimensionen, wie er im zweiten Teil seines Konzerts beweist. Es erlaubt ihm, seine melodischen Erfindungen simultan auf Ober-, Mittel- und Bass-Stimmen aufzuteilen; das Ergebnis sind faszinierend gegenläufige, kontrapunktisch vertrackte Improvisationen.
Aber Metheny wäre nicht Metheny, wenn er nicht auch seine avantgardistische Seite zum Zuge kommen ließe. Urplötzlich entfesselt er in einer wilden Free-Attacke ein schockierendes Geräuschinferno. Es braust, kracht, grummelt und rumort unheilvoll - und erinnert unweigerlich daran, wie viel Schreckliches gerade auf der Welt passiert. Ein grandioses Konzert.
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