Kunsthalle

Startschuss für die Neue Sachlichkeit: Grafik in der Kunsthalle Mannheim

Die Grafikschau „hart & direkt“ blickt in der Mannheimer Kunsthalle voraus auf die große Jubiläumsausstellung zur Neuen Sachlichkeit, die im November beginnt. Mit ihr wird zugleich ein ganzer Reigen an Veranstaltungen eröffnet

Von 
Thomas Groß
Lesedauer: 
Eine Frau steht vor einigen Werken der neuen Sonderausstellung „hart & direkt. Zeichnung und Grafik der Neuen Sachlichkeit“ in der Kunsthalle Mannheim. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Am Anfang steht die Grafik. Immer wieder bildete sie in der Kunst den Ausgangspunkt für größere Arbeiten, Gemälde oder plastische Werke. Grafisch, zeichnerisch ist ein Thema rasch aufzureißen, konzentriert aufs Wesentliche, das später weiter ausgestaltet werden kann.

Zur Ausstellung

Bis 12. Januar 2025 in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4. Di, Do bis So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr. Eröffnung von „hart & direkt“ am Donnerstag, 19. September, um 19 Uhr.

Am Anfang steht die Grafik auch jetzt in der Mannheimer Kunsthalle, wo im Altbau eine Schau mit grafischen Arbeiten das Interesse wecken und den Sinn schärfen soll für dasjenige, was ab November dann in dem Mannheimer Museum zu sehen sein wird - die umfassende Ausstellung „Neue Sachlichkeit - ein Jahrhundertjubiläum“.

Sie wird mit größeren, bekannteren Werken und auf wesentlich mehr Fläche an die berühmte Ausstellung des damaligen Kunsthallendirektors Gustav Friedrich Hartlaub erinnern, die der Stilrichtung im Jahr 1925 ihren Namen gab.

Grafik in der Kunsthalle Mannheim: Ungeschönt, überzeichnet und regelrecht bedrängend

An grafischen Arbeiten zeigt sich rasch, worauf es neusachlicher Kunst insgesamt ankam. Als hart und direkt lässt sich der Zugang zum Motiv wie auch die gewünschte Wirkung auf Betrachtende charakterisieren; und beides legt die grafische Technik schon per se nahe.

Die von Gunnar Saecker kuratierte Schau trägt deshalb eben diesen Namen: „hart & direkt. Zeichnung und Grafik der Neuen Sachlichkeit“. Neusachliche Kunst wirkt nüchtern, blickt kühl auf ihre Motive, die - besonders bei den bekannten Vertretern Otto Dix und George Grosz - oft die sozialen Probleme der Zeit liefern. Ungeschönt, auch überzeichnet und gar bedrängend werden die Themen von den beiden vorgeführt.

Karl Hubbuchs „Die Schwimmerin von Köln“ aus dem Jahr 1924/1925 entstand in den Jahren der damaligen Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ an der Kunsthalle Mannheim. © Karl Hubbuch Stiftung/Städtische Galerie Karlsruhe 2024 / Kunsthalle Mannheim/Cem Yücetas

Die Ausstellung vollzieht die Unterscheidung in zwei Gruppen nach, die schon Hartlaub traf: Der linke Flügel mit seinem Protagonisten Georg Grosz zielt auf politische Wirkung; Grafik und Zeichnung sind für ihn bevorzugte Mittel gerade wegen ihrer technischen Reproduzierbarkeit, die rasche Verbreitung ermöglicht und somit große Resonanz verspricht. Es geht nicht um Originalität, um künstlerische Aura, sondern um Wirkung, nicht um gebändigte Formen, sondern um das Aufrütteln des Betrachters durch schwungvolle, unruhige Gestaltung.

Dagegen ist der sogenannte rechte, klassizistische Flügel weniger am Menschen und an dessen schwieriger Lebenssituation interessiert. Er ist von moderner Technik fasziniert, von der Präzision und findet ein Vorbild für sein Streben nach Klarheit in altdeutscher Kunst. Menschliche Figuren werden hier zum Teil ihrer Umgebung, sie interessieren nicht als Individuen. Passend dazu steht der rechte Flügel oft auch politisch rechts - Alexander Kanoldt etwa trat schon vor 1933 der NSDAP bei. Dagegen tendierte der ungeschönt realistische, sozialkritische Flügel zum linken politischen Spektrum.

Eines der prominenteren Werke der Schau in der Kunsthalle: George Grosz’ „Tischgespräch“ aus dem Jahr 1929. © Estate of George Grosz, Princeton, N.J. / VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Kunsthalle Mannheim/Cem Yücetas

Dass die Unterscheidung aber nicht immer aufgeht, zeigt die überwiegend aus der eigenen Sammlung bestückte und nicht nur durch die Vielzahl der Exponate beeindruckende Schau ebenfalls: Die Künstlerin Jeanne Mammen etwa wurde in den 1920er Jahren bekannt mit Schilderungen des Berliner Alltags und begeisterte sich für den Sozialismus, ihr „Modell im Atelier“ (1918-1920) aber wirkt der Zeit enthoben; die liegende Frau scheint eher von formalem Interesse gewesen zu sein und wird geradewegs zum Teil des streng komponierten Interieurs.

Um die individuelle Persönlichkeit ist freilich auch George Grosz, anders als immer wieder Otto Dix, meistens nicht bemüht. Grosz typisiert: Steife Herrschaften repräsentieren ebensolche Haltungen, geprägt von Militarismus und Herrschsucht. Und der politisch wie neusachlich „rechte“ Rudolf Schlichter kann durchaus auch, etwa im Porträt einer Prostituierten, triste Wirklichkeiten ins Bild setzen. Er appelliert dabei aber nicht ans Mitgefühl, übt keine Sozialkritik, sondern spricht eher eine moralische Warnung aus.

Grafik in der Kunsthalle Mannheim: Kunstschaffende erwiesen sich als anpassungsfähig

Als anpassungsfähig erwiesen sich nach 1933 viele neusachliche Kunstschaffende. Ihr kühler Blick bewährte sich auch bei völkisch-national geprägten Motiven. Begünstigt wurde das besonders durch die auf Struktur und Distanz setzenden „Fernlandschaften“, die für den (rechten) neusachlichen Stil so typisch waren wie die (im linken Flügel) sich vom Motiv lösenden „Farbwolken“; Naturzusammenhänge wurden oft auf einfache lineare Muster konzentriert.

Jeanne Mammen Modell im Atelier, zw. 1918-1920 Berlin, zw. 1918-1920 Aquarell und Bleistift, 61,00 cm x 51,50 cm Inv.-Nr.: SM 2018-09206 © VG Bild-Kunst, Bonn Reproduktion: Dorin Alexandru Ionita, Berlin Aquarell Bleistiftzeichnung © Jeanne-Mammen-Stiftung im Stadtm

Nach 1933 wird die Darstellung weniger streng und ergänzt durch eine Tendenz zur Innerlichkeit. Auch Otto Dix besinnt sich in dieser Zeit auf altdeutsche Traditionen. Ähnlich verfährt Georg Schrimpf, der zuvor streng gestaltete, aber politisch zum Anarchismus tendierte. Dass sich der neusachliche Stil auch nach 1945 flexibel zeigte, demonstriert die Schau ebenfalls: Stilisierte Formen ließen sich in der Bundesrepublik fortentwickeln zum Informell, während im Osten neusachliches Vokabular sozialistisch-realistisch ausbuchstabiert wurde.

Ordnungsprinzipien bietet die sehenswerte Schau ebenso wie Beispiele für Übergänge. Zu Beginn wird eine Auswahl hochkarätiger Arbeiten von Repräsentanten der „Flügel“ wie Dix, Kanoldt, Grosz oder Hanna Nagel versammelt, um typische Motive vor Augen zu führen, die künstlerische Klasse zu demonstrieren und Techniken vorzustellen. Davon ausgehend fächert die Ausstellung die Kunstrichtung weiter auf, vielfältig, aber immer übersichtlich. Den Blick schulen, den Sinn schärfen fürs Wesentliche: Dass sich Grafik dafür besonders eignet, zeigt sich hier erneut.

Die Schau ist ertragreich genug und macht doch gespannt auf die Jubiläumsausstellung, die Inge Herold kuratieren wird. Dort soll die Werkauswahl von 1925 auch ergänzt werden durch von Hartlaub vernachlässigte Werke von Künstlerinnen. In der Grafikschau wird das nicht betont, es war eher selbstverständlich bei der Auswahl. Jeanne Mammen bestätigt es ebenso wie Hanna Nagel oder Erika Streit. Entdecken lässt sich hier vieles - Details im vertrauten Kontext oder auch Künstlerpersönlichkeiten, die einem erstmals begegnen. Es lohnt sich.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke