Mannheim. Joy, du bist im Juni Fünfzig geworden. Hast du groß gefeiert oder wolltest du an dem Tag am liebsten niemanden sehen?
Joy Denalane: Doch, ich wollte jemanden sehen, und zwar meinen Mann (lacht). Wir hatten allerdings seinen Fünfzigsten im April schon groß mit unseren Freunden gefeiert, deshalb haben wir meinen Geburtstag in aller Ruhe in Portugal verbracht.
Kommst du damit klar, 50 zu sein?
Denalane: Für mich macht das keinen Unterschied. Ich habe auch noch nie mit meinem Alter gehadert. Viele bekommen ihre erste Krise ja spätestens, wenn sie 30 werden, dann kommt die 40, dann die 50, und danach geht es erst so richtig bergab (lacht).
Du hingegen drehst gerade wieder richtig auf. Was motiviert dich?
Denalane: Das Leben an sich. Es gibt nichts Spannenderes. Ich bin seit ich denken kann ein Morgenmensch gewesen, und ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn ein frischer Tag anbricht. Mein Ziel ist es, jedem Tag etwas Gutes abzugewinnen.
Wann stehst du morgens auf?
Denalane: So gegen halb sechs, spätestens um sechs.
Da ist ja sonst bestimmt noch niemand wach.
Denalane: Eben! Das ist das Tolle. Der frühe Morgen ist die Zeit für meine Gedanken, meine Kreativität, aber auch für Verpflichtungen wie E-Mails schreiben und beantworten. Morgens passiert eine Menge in meinem Kopf. Ich lese in der Früh auch viel, sowohl die Nachrichten als auch Bücher.
Neues Album von Joy Denalane
- Joy Denalane wurde am 11. Juni 1973 in Berlin geboren.
- 1999 nahm sie mit der Band Freundeskreis den Hit „Mit dir“ auf, sie und Max Herre, der Frontmann dieser HipHop-Formation, wurden ein Paar.
- 2002 veröffentlichte sie ihre erste Platte „Mamami“, die auf deutschsprachigen Soul setzte.
- Sie bekam mit ihrem Mann Max Herre zwei Kinder, 2007 trennte sich das Paar, seit 2011 sind die beiden Musiker wieder liiert. Die beiden leben in Berlin.
- Nun veröffentlichte die 50-Jährige ihr siebtes Album „Willpower“, das seit 6. Oktober erhältlich ist. red
Was liest du aktuell?
Denalane: „Lieben lernen“ von der vor zwei Jahren verstorbenen amerikanischen Autorin bell hooks. Ich habe das Buch geschenkt bekommen und schaue immer wieder sehr gern rein.
Kann man das denn, lieben lernen?
Denalane: So verallgemeinernd vermag ich das nicht zu bejahen. Die Liebe läuft auf ganz vielen Ebenen ab, sie ist eine Kombination aus chemischen Prozessen, natürlich spielt die Attraktivität mit rein, aber ab einem bestimmten Punkt ist die Liebe auch eine innere Entscheidung, an der man arbeitet und auch arbeiten muss.
bell hooks war eine der führenden Feministinnen unserer Zeit. Du selbst bist aktiv in der „Keychange“-Initiative, die sich die Gleichstellung der Geschlechter in der Musik- und Veranstaltungsbranche auf die Fahnen geschrieben hat. Würdest du sagen, es geht voran?
Denalane: Man würde sich wünschen, dass bestimmte Entwicklungen schneller vonstattengehen würden, aber Stück für Stück geht es aufwärts. Wir führen heute Debatten, die wir vor einigen Jahren noch nicht geführt hätten.
Glaubst du, dass junge Frauen um die Zwanzig trotz aller gesellschaftlicher Diskussionen ähnliche Erfahrungen machen wie ihre Mütter?
Denalane: Das glaube ich nicht nur, das weiß ich sogar ganz genau. Und zwar von vielen Personen in dem Alter, die davon betroffen sind.
Du hast zwei Söhne, 22 und 20 Jahre alt. Habt ihr die beiden zu Feministen erzogen?
Denalane: Ja, das würde ich sagen. Aber auch die Söhne von feministischen Eltern sind einer Welt ausgesetzt, in der sie sich als Männer zurechtfinden und innerhalb gewisser patriarchaler Strukturen agieren müssen. Egal, wie feministisch du erzogen wurdest oder wie woke dein eigenes Denken ist - sobald du das Haus verlässt, bist du einem toxischen Machtgefälle ausgesetzt. Ich will hier nicht die Oberlanze brechen für die Männer, aber es ist nicht leicht, einer zu sein. Erst recht nicht, wenn du dich gegen diese Strukturen auflehnen möchtest oder sie bewusst meidest.
War es eigentlich dein Anliegen, mit „Willpower“ ein schönes und eher unbeschwert klingendes Album zu machen, um dieser komplizierten Welt etwas entgegenzusetzen, das vor allem leicht und schön ist?
Denalane: Interessant, dass du das Album so empfindest, und es gibt tatsächlich Songs wie „Fly By“, „Good Times Better“ oder „Hideaway“, die das Leben, die Liebe und das Glück zelebrieren. Auch ist das Soundgerüst eher hell und freundlich. Der erste Song „Can’t We Smile“ - Musik und Refrain habe ich von John Hammond gecovert, die Strophen sind von mir - fühlt sich wie eine Umarmung an.
Aber?
Denalane: Aber das Gegengewicht bilden Lieder wie „True (Soweto)“, das sich damit auseinandersetzt, marginalisiert in einer Mehrheitsgesellschaft zu sein und nicht dazuzugehören. Oder „By Heart“, das Unsicherheiten und Momente des Zweifels thematisiert, sowie den Versuch, trotz allem über sich hinauszuwachsen. Auch „Far Cry“ ist kein fröhliches Lied, darin geht es um die Unersättlichkeit, die Gewinnmaximierung und den ewigen Verbesserungswahn in unserer Gesellschaft.
Der Song „Happy“, den du auf dem Album einmal allein und einmal im Duett mit dem Wu-Tang-Clan-Rapper Ghostface Killah singst, ist sogar beides: glücklich und traurig.
Denalane: Genau, „Happy Sad“ könnte man auch sagen. Glücklich und traurig zugleich. Speziell in diesem Lied gibt es sehr viele unterschiedliche Gefühlsregungen zwischen tiefer Trauer und großer Dankbarkeit.
„I’m happy for the loss“ singst du in „Happy“. Das Lied handelt vom Tod deines Vaters. Wie ist die Zeile gemeint? Dass du glücklich bist, ihn gekannt zu haben?
Denalane: Ganz genau. Natürlich bin ich nicht froh, jemanden verloren zu haben, den ich liebte. Ich bin vielmehr glücklich, dass ich ihn kannte und dass wir diese Zeit miteinander hatten. Diese Zeit war unglaublich toll, sie hat mein Leben bereichert und mich geprägt. Insbesondere die letzten Lebensjahre mit ihm waren etwas sehr Besonderes.
Inwiefern?
Denalane: Wenn Menschen sehr alt und krank werden, findet so eine Umkehr der Eltern-Kind-Beziehung statt. Meine Geschwister und ich durften mit meinem Vater auf diese Reise gehen und den Wechsel von den Beschützten zu den Beschützenden mitmachen. Mein Vater hat sein liebenswertes Wesen bis zum Schluss behalten. Und so ist die tiefe Traurigkeit über den Verlust meines Vaters immer gespickt mit der Erinnerung an die schönen Momente, die wir miteinander hatten.
Dein Vater war auch ein großer Musikliebhaber, oder?
Denalane: Oh ja, er kannte sich richtig gut aus. Alles, was ich über Musik weiß, habe ich mithilfe seiner Plattensammlung gelernt. Er war zu mir auch gnadenlos ehrlich, was meine Musik anging. Grundsätzlich wohlwollend, und das meiste fand er richtig gut, aber wenn er etwas nicht mochte, hat er kein Blatt vor den Mund genommen. Und fast immer Recht gehabt.
Bist du auch so schonungslos wie er?
Denalane: Diese Ehrlichkeit zieht sich tatsächlich durch die Familie. Ich bin sehr direkt, und manchmal ist meine Art für Außenstehende erschreckend hart. Ich bin ganz sicher kein Mensch, der anderen Honig um den Bart schmiert.
Dein Vater war Südafrikaner. Geht es in dem leicht jazzigen „True (Soweto)“ um seine, und damit auch um deine, Identität?
Denalane: Ja. Mein Vater war immer das Symbol für „Aha, wegen ihm sehe ich also aus, wie ich aussehe, und das ist auch gut so“. Soweto ist eine Metapher für das Schwarzsein. Als Tochter einer weißen Deutschen und eines schwarzen Südafrikaners hat mein Aussehen einen großen Einfluss auf mein Leben, und der Moment kurz nach dem Tod meines Vaters, in dem ich dieses Lied schrieb, war ein Moment großer Einsamkeit. Meine Mutter starb bereits vor über zwanzig Jahren, und obwohl ich eine erwachsene Frau bin, stand plötzlich die Erkenntnis im Raum: Jetzt habe ich gar keine Eltern mehr. Mein Vater war mein Fels. Sein Tod war der schlimmste Verlust meines Lebens, und als er nicht mehr da war, fühlte ich mich total allein. Nicht nur ohne die Eltern, sondern auch allein in dieser weißen Mehrheitsgesellschaft.
Ist dieses Gefühl der Einsamkeit jetzt immer noch so stark?
Denalane: Es ist mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Ich weiß natürlich, dass ich nicht allein bin auf der Welt.
Du hast „Willpower“ erneut zusammen mit Roberto Di Gioia und deinem Mann Max Herre produziert. Habt ihr nach „Let Yourself Be Loved“ nahtlos weitergearbeitet?
Denalane: Ha, das haben wir. Ich hatte einfach das Bedürfnis, und es hat erneut wirklich Spaß gemacht. Musikalisch haben wir uns bei diesem Album nicht mehr so sehr von der Motown-Ära inspirieren lassen, sondern von den ganz späten Siebzigern. Die Sounds sind wärmer, mit mehr High Fidelity, wir haben im Studio viel an Teddy Pendergrass oder an „Off The Wall“ gedacht, das erste Album von Michael Jackson, das Quincy Jones produziert hat.
In deinen Texten geht es des Öfteren um Freiheit. Was bedeutet dir Freiheit ganz persönlich?
Denalane: Meine persönliche Freiheit ist es, morgens aufzuwachen, ohne daran denken zu müssen, die Schulbrote zu schmieren (lacht). Ich kann mich, seit unsere Jungs aus dem Haus sind, wieder ehr auf mich selbst konzentrieren, auch auf die Liebe zu meinem Mann. Die Jahre vor dem Auszug der Kinder waren stark um die beiden herumgebaut. Max und ich, wir kamen zusammen, und kurze Zeit später waren wir bereits Eltern. Deshalb haben wir über die Jahre wenig Zeit als Paar, wenig Zweisamkeit gehabt. Die holen wir jetzt nach.
Wie denn zum Beispiel?
Denalane: Eigentlich dachte ich, diese neue Freiheit würde sich darin ausdrücken, dass wir viel öfter verreisen, aber wir stellen fest, dass wir jetzt noch mehr arbeiten als vorher - weil wir jetzt die Zeit dafür haben. Die Musik ist allerdings wirklich Spaß für mich, keine Bürde.
Romantik ist für euch also, von morgens bis abends im Studio zu hocken?
Denalane: Unter anderem (lacht). Trotzdem ist es ein Privileg, auch mal zu sagen, wir fahren jetzt für ein paar Tage irgendwohin und arbeiten eben nicht.
Wenn die Kinder aus dem Haus sind, stellen manche Paare fest, dass sie sich eigentlich nichts zu sagen haben und all die Jahre nichts gemeinsam hatten außer den Kindern.
Denalane: Das ist bei uns ganz gewiss nicht so. Da wir beide Künstler sind, die unabhängig voneinander Sachen erleben, ist unsere Beziehung sehr ausgewogen. Und wir erleben allein immer wieder neue Geschichten, die wir dann miteinander teilen.
Wie weit sind eure Söhne denn jetzt weg?
Denalane: Einer ist in Berlin und einer in London. Isaiah, unser Ältester, ist inzwischen selbst unter die Musiker gegangen - und was soll ich sagen, er ist richtig gut.
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