Klassik

So klangen Brahms' Vier Gesänge beim Heidelberger Frühling

Beim Heidelberger Frühlings wagten junge Musiker des Brahms.LAB eine kreative Neudeutung der romantischen Stücke mit unkonventioneller Besetzung und improvisatorischer Freiheit

Von 
Uwe Rauschelbach
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Bilden eine kreative Klangsymbiose: der Frauenchor 4x4 der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Mitglieder des Festivalcampus-Ensembles. © studio visuell

Heidelberg. Die Vier Gesänge opus 17 von Johannes Brahms sind zeitlos gültig. Ihre romantische Ästhetik berührt bis heute, wenn sich Texte und Harmonien - was zumindest für die ersten drei Gesänge zutrifft - auch als Kunstidyll einer nicht mehr greifbaren Vergangenheit erweisen. Eine Interpretation bewegt sich auf der Skala zwischen verklärendem Pathos und ironischer Ernüchterung. Beim Brahms.LAB, der Kreativspielwiese für talentierte Nachwuchsmusiker des Heidelberger Frühlings, überwog die improvisierende Aneignung.

Keine Rangordnung zwischen den Beteiligten

Demokratische Verhältnisse hatte Pianist und Künstlerischer Leiter Florian Weber angekündigt, was auf die Abwesenheit jeglicher Rangordnung zwischen den Beteiligten bezogen war, die nach und nach singend und spielend auf die Bühne der Aula der Neuen Universität einzogen. Der 4x4 Frauenchor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg unter seiner Leiterin Heike Kiefner-Jesatko und ein erweitertes Instrumentalensemble näherten sich den Brahms-Gesängen trotz der experimentellen Bedingungen keineswegs respektlos.

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Die Originalbesetzung mit Hörnern und Harfe wurde durch Posaune, Querflöte sowie Streicher, Klarinette und Schlagwerk ergänzt. Ein stattliches Kammerensemble also, in dem die jungen Musikerinnen und Musiker zugleich Gelegenheiten bekamen, solistisch zu improvisieren. Ein Konzert, das die Nähe zum Jazz suchte, ohne dass in der Stilvermischung bereits ein höherer Zweck zu suchen gewesen wäre. So bot die Öffnung für Einflüsse jenseits der Grenzen des Gewohnten und Konventionellen einen freien Umgang mit einem Repertoire, das, mehr als 160 Jahre nach seinem Entstehen, bisweilen in seiner eigenen Klassizität zu erstarren droht.

Naturgeräusche und Bodypercussion in Klassikstück

Wenn Heike Kiefner-Jesatko auch mit dem Chor und dem Instrumentalensemble zwei einander gleichberechtigte Klangkörper dirigierte, so kam den Frauenstimmen natürlich eine Hauptfunktion zu, um diesen hochromantisch vertonten Gedichten Ausdruck zu geben. Die exakte Zeichengebung am Dirigentenpult machte deutlich: Hier ging es, bei aller improvisatorischen Freiheit, durchaus auch um exakte Impulse und Prozesse, die den vom Notentext abschweifenden Vokal- und Instrumentalstimmen eine Struktur vorgeben sollten.

Neben Vokalisen erzeugte der Frauenchor Blas-, Zisch- und Schnalzgeräusche und kommentierte die vertonten Texte mit atmosphärisch-assoziierenden Sprechlauten.

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Veröffentlicht
Von
Hans-Guenter Fischer
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Rhythmisch prägnante Passagen wurden mit Bodypercussions verstärkt, während sich die Instrumentenstimmen in diesem brodelnden Klanglabor in wechselnden Formationen mischten. Joseph von Eichendorffs Grabesstille in „Der Gärtner“ wurde vom Chor mit Naturgeräuschen ausgeschmückt, und im darauffolgenden „Gesang aus Fingal“ ließen die Frauenstimmen die heulendem Hunde von der Leine. Brausende Winde wurden durch heftige Pauken- und Trommelwirbel entfacht.

Das alles brachte es mit sich, dass die Vier Gesänge nicht in einem Durchgang erklangen, sondern sich teilweise in Satzteile fragmentiert und durch heftige Zäsuren unterbrochen fanden, ist der romantische Ausdruck der Liebes- und Lebenssehnsucht in diesen Texten doch stets von Todesnähe begleitet. Dennoch mündete das unorthodoxe Musizieren nicht in kakophonischer Auflösung. Alle Strophen dieses Opus erklangen jeweils einmal störfrei, in wunderbar reinem Gesang und mit Originalbegleitung. Und es schien, als könnten sie sich erst jetzt aus ihrer klassizistischen Starre lösen.

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