Mannheim. Alles ein bisschen verrückt. Kein Wunder. Schließlich geht es um Liebe, von der William Shakespeare vermutlich so viel verstand, wie kaum ein anderer. Auch, dass sich hinter den hehren Empfindungen oft erotische Begierden verbergen. Seine Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“, die Christian Weise für das Mannheimer Nationaltheater im Alten Kino Franklin inszenierte, erzählt ausgiebig davon.
William Shakespeares "Was ihr wollt" am Nationaltheater - etliche Rollen geschlechtermäßig umbesetzt
Eine kahle hölzerne Wand versperrt zunächst den Blick auf die Bühne. Wenn sich in ihr mehrere Drehtüren öffnen, erscheinen im milden Nebel lauer Lüfte seltsame Gestalten, von Jana Findeklee und Joki Tewes phantasievoll kostümiert. Wir befinden uns auf Illyrien, Shakespeares Insel. Schon zu Beginn ist sie voll süßer Musik (Lotte Marlene Böwe, Lail Braslavsky), dazu erklingt, nicht minder wohltönend, Olivias Gesang. Bis der liebeskranke Herzog Orsino dem schönen Anfang ein jähes Ende setzt.
Dem bereits etwas in die Jahre gekommenen Zeitgeist folgend hat Weise etliche Rollen geschlechtermäßig umbesetzt. So ist Herzog Orsino ist eine Frau, Gräfin Olivia und Viola sind Männer. Neu ist das nicht. In der Ära des Regietheaters haben Frauen bereits auf zahlreichen Bühnen traditionelle Männer-Rollen erobert, mitunter aber auch die Wahrnehmungen des Publikums reichlich irritiert, ohne die Frage nach dem emotionalen Mehrwert dieses inhaltlichen Eingriffs eindeutig zu beantworten.
Nach einem Schiffsbruch strandet Viola (David Smith), getrennt von ihrem Zwillingsbruder Sebastian (Omar Shaker) an der Küste Illyriens. Eigentlich ein paradiesischer Ort, an dem die „Musik der Liebe Nahrung ist“, wie es poetisch in der Schlegel-Tieckschen Fassung heißt. Übersetzt von Jürgen Gosch und Angela Schanelec klingt das nüchterner: „Ist es Musik, die von der die Liebe lebt“. Gelegentlich hat das Paradies allerdings auch seine Tücken. Vor allem dann, wenn dort auf nicht allzu trittfestem Gelände aus dem Lustspiel, geht es um Erfüllung egoistischer Liebesbedürfnisse, ein Kampfspiel wird.
Eine höfische Gesellschaft mit wenig Menschenliebe
Doch in Weises Illyrien wird nicht nur anmutig musiziert und bemerkenswert gut gesungen, die Insel, eine Heimat für Trunkenbolde und Spaßmacher, kennt auch hässliche Gesänge. Denn was Toby Rülps (Rahel Weiss), Andrew Bleichenwang (Rocco Louis Brück) und der Narr (Sandro Sutalo) alkoholisiert im Kanon vereint von sich geben, hat wenig Chancen beim Eurovision Song Contest auf einem der vorderen Plätze zu landen. Und wenn alle drei später mit Hilfe der gleichermaßen kessen wie intriganten Kammerzofe Maria (Sarah Zastrau) dem verklemmten, in seine Herrin verliebten Hofmeister Malvolio (Patrick Schnicke) einen üblen Streich spielen, passt das ins Bild einer höfischen Gesellschaft, die bei Christian Weise in all ihrer oberflächlichen Schamlosigkeit häufig wenig Menschenliebe erkennen lässt.
Infos zu Regisseur Christian Weise
- Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Buch“. Anschließend Schauspieler und Puppenspieler an verschiedenen Theatern (Maxim Gorki, Berlin, Schauspiel Frankfurt, TaT).
- Seit 2001 arbeitet er als Regisseur. Inszenierungen im Mannheimer Nationaltheater, an der Columbia University (New York), am Schauspiel Köln, am Deutschen Theater Berlin und bei den Salzburger Festspielen. Von 2005 bis 2007 Hausregisseur in Halle.
- Zwischen 2005 und 2013 unter der Intendanz von Hasko Weber regelmäßige Regiearbeiten für das Staatstheater Stuttgart. Eine Zusammenarbeit, die sich seitdem am Deutschen Nationaltheater Weimar fortgesetzt hat.
- Mit Schillers „Räubern“ 2018 eröffnete Weise die erste Spielzeit der Schauspielintendanz von Christian Holtzhauer am Nationaltheater Mannheim. Seither Hausregisseur im Schauspiel.
Kaum am Ufer angekommen, verkleidet sich Fräulein Viola als Knabe und nennt sich Cesario. Sie tritt als Page in die Dienste des Herzogs Orsino (Jessica Higgins) und soll um die Gunst der Gräfin Olivia (Leonard Burkhard) werben. Doch die ist rasch mehr am Boten als am Auftraggeber interessiert. Natürlich ahnt sie nicht, dass der hübsche junge Kerl eine Frau ist, die von einem Mann gespielt wird. Hier liebt offenbar jeder jeden, selbst wenn die Theater-Wirklichkeit nicht immer so aussieht. Für den turbulenten, temporeichen Show-Charakter seiner Inszenierung steht Weise ein prächtig agierendes Ensemble zur Verfügung, dem, außer den bereits genannten Darstellern auch noch Ragna Pitoll (Antonio) und Annabel Gärtner (Valentine) angehören.
Liebe ist kein Wunder, sondern eher eine ansteckende Krankheit
Was da in Weises dreistündiger Inszenierung vor pittoresken Videoprojektionen kühn und mit viel Witz über die Bühne tobt, sucht nicht nach den Rätseln und Geheimnissen des Menschseins. Den Regisseur interessieren die schwermütigen Seelen der Liebenden weitaus weniger als die manchmal überdrehten Slapstick-Einlagen seines Komödienpersonals. Der Gefahr jedenfalls, dass sich Shakespeares verwickelte Liebesgeschichten zwischen den dick aufgetragenen Rüpel- und Clownsszenen verlieren, entgeht die Aufführung nicht immer. Weise ignoriert ein wenig, dass Shakespeares Stücke auch Gratwanderungen sind zwischen unvermeidbarer Realität und den finsteren Gefühlen nächtlicher Schattenwelten.
Für Shakespeare, das berichtet die Aufführung deutlich, ist Liebe kein Wunder, sondern eher eine ansteckende Krankheit. Nur wer ihre Gefühlswelt absurd findet, kann sich einigermaßen vor ihr schützen. Entsprechend austauschbar ist sie auch, zumal, wenn sich zeigt, dass die begehrten Objekte, nicht das sind, wofür sie ursprünglich gehalten wurden. Ein Beweis dafür, wie zufällig sexuelle Identität sein kann und dass die viel besungene Liebe oft nicht mehr ist als ein emotional gesteuertes Feststellungsverfahren mit beschränkter Haftung.
Weiter Aufführungen am 22.10.; 28.10. und 4.11. Karten unter 0621 1680 150.
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