Selten sind Fotografien in der Sammlung Prinzhorn zu sehen. Und deshalb ist diese Ausstellung etwas ganz Besonderes. Generell katapultiert uns das Museum in die Zeit von vor etwa 100 bis 120 Jahren, als die Bildwerke von psychiatrieerfahrenen Männern und Frauen in Heidelberg - auch durch Hans Prinzhorn - aufbewahrt und gesammelt wurden. Das können Zeichnungen, Gemälde oder gewirkte, etwa gestickte Arbeiten sein, die heutige Betrachterinnen und Betrachter verzaubern, belustigen, erfreuen und eben auch zeitgebunden sind. Und diese Zeitgebundenheit wird einmal mehr deutlich durch diese Ausstellung, die aus sehr guten Abbildungen - ursprünglich auf großen Glasnegativen oder Glasdiapositiven - aus der Zeit von 1880 bis 1935 besteht, die in sechs schweizerischen Heimen oder Anstalten, wie sie früher genannt wurden, aufgenommen wurden.
Ursprünglich waren die Psychiater auch die Fotografen, die ab 1839 das neue Medium für ihre Arbeit zu nutzen begannen. So wurde etwa das Phänomen des Vorher/Nachher bei verschiedenen Behandlungsformen oder auch zur Diagnose benutzt. Zudem ging es um die Unterscheidung der Insassen und ihrer Krankheiten, aber auch Freizeitaktivitäten wie Zirkus oder Jahrmarkt wurden aufgenommen.
Infos zu "Hinter Mauern"
- Die Ausstellung in der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, Voßstraße 2, ist bis 31. Juli zu sehen.
- Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr.
Gerade in der Schweiz hat sich seit der Reformation eine wichtige Moral festgesetzt: Ordentlich, sauber und fleißig müssen alle sein, so auch die Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Dazu gehört die sinnvolle Beschäftigung, die Arbeit, hier auch in Gemeinschaft zu sehen - sie war und ist bis heute wesentlich. Psychiater und Psychiaterinnen - eine wesentliche hier im Kontext war Marie von Ries-Imchanitzky (1880-1942), tätig in Waldau - verwendeten Lichtbilder auch in Fachvorträgen und statteten medizinische Publikationen mit Abbildungsmaterial aus. Fotos wurden wirkungsvoll in der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt oder dienten der Unterhaltung. Das Medium der Fotografie (und bald auch jenes des Films) scheint die Psychiatrie geradezu beflügelt zu haben.
Aber was gibt es um 1900 ohne Medikamente überhaupt für Maßnahmen zur Behandlung der Kranken? Es wurde oft Bettruhe verordnet oder sogenannte Luftkuren, wie bei anderen Krankheiten auch. Aufregungszustände wurden über einen längeren Zeitraum mit warmen Bädern behandelt. Interessant ist auch, dass es wie in der gesamten Gesellschaft eine Hierarchisierung in Klassen gab: So wurde beim Essen und der Unterbringung unterschieden - von Einzelzimmer bis Schlafsaal. Von dem jungen Patienten Erwin Starré etwa ist überliefert, dass er sich bei seiner Mutter über das „Schweinefressen“ beschwert und darum bittet, in die zweite Klasse aufgestockt zu werden ...
Ergänzt wird die Ausstellung von Werken der Sammlung Prinzhorn, die den Anstaltsalltag um 1900 aus der Sicht der Patientinnen und Patienten widerspiegeln.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-sammlung-prinzhorn-aerztlicher-blick-auf-arbeit-und-freizeit-_arid,1929219.html