Ludwigshafen. Peter Kurth ist „sein“ Robert De Niro. In gewisser Weise. Und in jedem Fall ist Kurth so etwas wie der Lieblingsschauspieler von Thomas Stuber. Einer, der in seinen Filmen immer wieder auftaucht, wie De Niro bei Martin Scorsese. In zumindest einer Hinsicht ist die Parallele wirklich auffällig, denn in das Boxerdrama „Herbert“ hat sich Kurth hineingefightet wie De Niro einst in „Raging Bull“ (deutsch: „Wie ein wilder Stier“).
Scorseses Film ist längst zum Genreklassiker geworden, weil De Niro sich den dargestellten Boxer Jake LaMotta förmlich einverleibte, viele Kilo zu- und wieder abnahm. Um authentisch auszusehen. Denn er steht dem „Method Acting“ nahe, jenem Zweig der Schauspielkunst, der eine völlige Identifikation mit jeder Rolle sucht.
Regisseur Thomas Stuber hat hohe Ansprüche an Darsteller
Auch Peter Kurth legte sich schwer ins Zeug, als er zum Boxer Herbert wurde. Schon, weil Thomas Stuber es verlangte. Und nicht nur in diesem, seinem ersten Langspielfilm, gedreht 2014. In „Die stillen Trabanten“, jetzt beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen im Programm, verhält es sich genauso.
Selbst Nastassja Kinski, die eine vereinsamte Frisöse darstellt, soll sich eigens das Metier des Haareschneidens und -verschönerns angeeignet haben. Ohne großes Murren. Thomas Stuber ist der vielleicht etwas altmodischen Ansicht, dass man etwas, das man glaubwürdig-präzise spielen möchte, tatsächlich beherrschen muss. Auch dieses Insistieren - es ist seinen Filmen förmlich anzusehen - mag ein Grund dafür gewesen sein, in Ludwigshafen Stuber den „spontan“ vergebenen Regiepreis zu verleihen.
Was wohl nur bedeutet: ohne „offizielles“ Juryvotum. Einen Falschen trifft die Auszeichnung gewiss nicht, Preise pflastern schon seit langem Stubers Weg, selbst der „Studenten-Oscar“ für den besten fremdsprachigen Kurzfilm aus dem Jahr 2012 war diesbezüglich nicht der erste. Doch an den erinnert sich der Regisseur besonders gern: In Hollywood nahm er ihn aus den Händen Laura Derns entgegen, Hauptdarstellerin in „Wild at Heart“, einem der Kultfilme von David Lynch.
Der Regisseur und die Termine
- Im Kino feierte Stuber mit „In den Gängen“ seinen Durchbruch, einem starbesetzten Film mit Sandra Hüller, Franz Rogowski – und Peter Kurth. Das war 2018. Stuber rang hier der Arbeitswelt poetische Facetten ab, choreographierte etwa ein Ballett der Gabelstapler.
- Auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen wird ihm der Regiepreis am 2. September um 18.15 Uhr verliehen, danach laufen „Die stillen Trabanten“. Weitere Termine: 3., 4., 6., 9., 10. September (Näheres: www.fflu.de).
- Thomas Stuber, Jahrgang 1981, kam schon früh zum Film.
- 2004 begann er an der Ludwigsburger Filmhochschule sein Regiestudium. Bereits mit „Teenage Angst“, einem Studentenfilm über vier Schüler eines Internats, die sich Gewaltexzessen hingeben, erregte Stuber Aufsehen.
- Nach dem Studium (plus „Studenten-Oscar“ für die Abschlussarbeit) durfte er diverse Fernsehkrimis drehen, etwa aus der Serie „Großstadtrevier“. Später inszenierte er „Verbrannt“, den vielgelobten „Tatort“-Film zum ungeklärten Tod eines Asylbewerbers – nach einem realen Fall. Außerdem „Angriff auf Wache 08“, die „Tatort“-Variante des John Carpenter-Filmklassikers „Assault – Anschlag bei Nacht“.
Studiert hat Stuber an der Ludwigsburger Filmhochschule, doch geboren wurde er in Leipzig. Er bezeichnet sich als „ein verkapptes Kind der DDR“, das seine Jugendjahre in den 1990ern verbracht und oft in leeren, aufgelassenen Fabrikhallen gespielt hat. Deprimiert hat ihn das nicht, er spricht von einer „Zeit der großen Freiheit“. Und in die Fabrik- und Großmarkthallen ist er auch als Filmemacher immer wieder gern zurückgekehrt. Er findet sie nicht abgeranzt und schäbig, sondern ringt (mit seinem Mann hinter der Kamera) selbst solchen Schauplätzen eine bezwingende Ästhetik ab. Gerade solchen.
Kontinuität spiegelt sich in Besetzung wider
Kontinuitäten schätzt der Regisseur auch sonst. Er liebe es, die Filme „immer wieder mit denselben Leuten“ anzugehen, sagt er. Fast wie früher Rainer Werner Fassbinder. Das Beispiel Peter Kurth haben wir schon genannt. Doch es betrifft nicht bloß die Schauspieler, es ist vor allem auch der Autor Clemens Meyer, ohne den die wichtigsten der Stuber-Filme kaum entstanden wären.
Für seine Erzählbände ist Meyer schon gelegentlich „ostdeutscher Hemingway“ genannt worden, die Texte zeugen häufig von akribischer Milieukenntnis. „Die stillen Trabanten“ leben ebenfalls davon und unternehmen eine Reise an die Ränder der Gesellschaft, wenden sich den Heimatlosen und Enttäuschten zu, ob sie nun Reinemachefrauen, Wachmänner, Frisösen oder Imbissköche sind. Die Reise führt in Raucherecken, Bahnhofskneipen und „WC-Center“. Aber sogar an solchen Orten findet sich bisweilen Liebe.
Dieser Film ist kein Sozialdrama, sondern viel eher ein Poem in Nacht-Bildern. Die Augen des Betrachters müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, eine grellere Beleuchtung als das Schummerlicht in einem tristen Hochhausflur steht selten zur Verfügung. Erst am Schluss (und ganz am Anfang) gibt es Tageslicht, ein helles Beige, sogar ein Rosa.
Wertschützung für Geflüchtete und Fremde
Die Figuren in dem Episodenfilm umkreisen sich, ziehen sich an, begegnen sich mit großer Einfühlung. Auch Flüchtlinge und Fremde dürfen Wertschätzung erfahren. Das hat manchmal märchenhafte Züge, weil die raue, schnöde, manchmal ziemlich AfD-affine Wirklichkeit kaum eine Rolle spielt. In einem Radiointerview hat Thomas Stuber neulich ein Geständnis abgelegt: „Ich bin ein Vollromantiker.“
Nur Peter Kurth, mit dicken Schweißrändern am T-Shirt, ist von der Maloche anfangs wieder schwer gezeichnet. Diesmal ist Kurths Part recht klein, aber der Film ist dafür rundum starbesetzt: Martina Gedeck etwa spielt die Reinemachefrau, und Albrecht Schuch den Imbissbudenkoch. Daneben treten Lilith Stangenberg und Charly Hübner auf. Sie alle aber, auch Nastassja Kinski als Frisöse, machen nie auf Starkino, sie tauchen vielmehr tief in ihre Rollen ein. Besonders weit geht dabei wieder einmal Albrecht Schuch. Auch das ist preiswürdig.
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