Klassik mit Ansteckungsgefahr

Puccini, ein Notfall und sechs Zugaben: Jonas Kaufmann begeistert Mannheim

Jonas Kaufmann sorgt im ausverkauften Mozartsaal für Begeisterung. Der Tenor gibt sechs Zugaben, doch das Publikum will mehr. Ein Abend voller klassischer Highlights und ungebrochener Euphorie

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Stefan M. Dettlinger
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Ein Traumpaar der Oper, wie es im Buche steht: Tenor Jonas Kaufmann im Mannheimer Rosengarten im Puccini-Duett mit Sopranistin Valeria Sepe. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Im Rosengarten ist ein gefährliches Virus ausgebrochen. Es bewegt Leute dazu, seltsame Dinge zu tun, aufzustehen, zu rufen, zu klatschen und vor zur Bühne zu strömen. Es ist offenbar: Sie wollen immer mehr Musik. Man kann es nicht genau sagen, aber es könnte sein, dass Mannheim an diesem Abend einen neuen Klassik-Zugabenchampion feiert: Jonas Kaufmann, der weltläufige, sympathische, charismatische und am Glamourhimmel glitzernde Tenorissimo, Womanizer und überhaupt Everybody’s Darling gibt - natürlich zusammen mit Sopran-Assistentin Valeria Sepe, der Deutschen Staatsphilharmonie und Dirigent Jochen Rieder - gleich sechs Zugaben. Und selbst das ist dem Publikum im ausgebuchten Mozartsaal nicht genug. Wie in Trance will es immer noch mehr. Fast wirkt die dreiköpfige Führungscrew auf der Bühne da oben etwas hilflos ob der tumultuösen Euphorie. Was tun, wenn die Leute ausrasten wie bei Rockkonzerten? Am Ende hilft da nur ein Ciao-Wink und der Hinweis ans Orchester: Rühren. Abtreten. Ende der Vorstellung.

© Manfred Rinderspacher

In „Nessun dorma“ geht es um Leben und Tod des Prinzen Calàf

Vielleicht aber ist das alles ja auch kein Wunder. Mit Kaufmann steht ein absoluter Pop- und Weltstar auf der Bühne, und der Komponist, den er für diesen monothematischen Abend ausgesucht hat, ist ebenso einer, und zwar schon seit mehr als 125 Jahren, seit 1893, dem Jahr seiner „Manon Lescaut“: Giacomo Puccini oder, wie Kaufmann ihn leben lässt: Viva Puccini! Es lebe Puccini.

Jonas Kaufmann in Mannheim

 

  • Der Sänger: Jonas Kaufmann, 1969 in München geboren, ist als Tenor weltweit gefeiert und sehr vielseitig. Er studierte in München und kam nach einigen Meisterkursen 1994 in Saarbrücken ins Erst-Engagement. Seine Karriere ging dann unaufhaltsam nach oben.

Puccini-Programm Teil 1:

  • „Tosca“ – Intro zu Akt 1. Cavaradossi: Recondita armonia. Tosca/Cavaradossi: Mario! … Son qui. Tosca: Vissi d’arte. Vorspiel zu Akt 3. Cavaradossi: E lucevan le stelle.
  • „La Bohème“ Mimì: Sì. Mi chiamano Mimì. Rodolfo/Mimì: O soave fanciulla.

Puccini-Programm Teil 2:

  • Madama Butterfly“ – Intermezzo sinfonico aus Akt 2. Pinkerton/Cio-Cio-San: Viene la sera.
  • „Manon Lescaut“ – Intermezzo sinfonico aus Akt 3. Manon/Des Grieux: Tu, tu, amore?.
  • Zugaben: Ch’ella mi creda, Signore, Ascolta!, Non Piangere, Liu!, O mio babbino caro, Nessun dorma!, Non ti scordar di me (Ernesto de Curtis)

Möglich freilich, dass manche der mehr als 2000 Gäste auch tatsächlich wissen, was Kaufmann in der fünften Zugabe (!) gerade noch gesungen hat: „Nessun dorma“. Keiner schlafe! Es geht in dieser Arie über die finale Nacht aus Puccinis „Turandot“ um Leben und Tod für Prinz Calàf, und wie Kaufmann sich im finalen „Vincerò“ bis hoch zum a und h schraubt, verklanglicht die existenzielle Lage, in der er sich befindet, bestens. Kaufmann macht das mit allem, was ihm zur Verfügung steht: mit Elastizität, mit Kraft und jenem baritonal-gedeckten Timbre, das in der Höhe nie ungeschützt blendet, sondern immer edel wie unter einer einhüllenden Legierung schimmert. Das reißt die Menschen ganz schön mit, zumal sie schon bei den einleitenden „Nessun dorma“-Worten auf dem von Kaufmann hingehauchten d reingeklatscht haben. Klar, es ist, als sänge Madonna ihren größten Hit „Vogue“.

Medizinischer Notfall führt zu Konzert-Unterbrechung

Der 150-minütige Abend bietet Klassik und Unterhaltung auf höchstem Niveau. Jochen Rieder am Pult der souverän spielenden Staatsphilharmoniker kennt das Repertoire in- und auswendig. Er singt quasi jedes Wort mit. Knackige Bläser, emphatische Streicher (besonders beim „Manon Lescaut“-Intermezzo) und tolle Solo-Leistungen (etwa von Solo-Cellist Florian Barak) runden den Abend genauso ab wie Kaufmanns lockere und sympathische Art, wegen eines medizinischen Notfalls in den hinteren Reihen einfach mal kurz zusagen: Wir unterbrechen, machen das Licht an und dann gleich weiter.

© Manfred Rinderspacher

Zum rauschenden Erfolg trägt aber auch sie maßgeblich bei: Valeria Sepe, eine in leuchtendes Orangerot gekleidete Sopranistin aus Neapel, die schon mit der „Vissi d’arte“-Arie aus „Tosca“ beeindruckte: klare Italianità-Artikulation, schlichte Phrasierung, und wenn sie am Ende fragt: „Perché (Signor) me ne rimuneri così?“, dann steigt sie in einer Mixtur aus Engelsgleichheit und feuriger Passion zum h hinauf, lässt die Spannung in einem verzweifelten Konversationston wieder abfallen und kommt mit einem feinen Vibrato zum Ende. Es schaudert einen!

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Stefan M. Dettlinger
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Im Duett sind die beiden, nun ja, so kongenial wie mitunter auch ein wenig kitschig (etwa beim „Dammi il braccio, mia piccina“, „reich mir den Arm, meine Kleine“, wenn Kaufmann kavaliersmäßig den Ellbogen zum Einhaken hinstreckt. Überhaupt ist freilich das Frauenbild Puccinis nicht mehr aktuell. Pinkertons „Du bist mein“ („sei mia“) aus der „Butterfly“ erinnert fast an den Film „C’è ancora domani“, der in Italien jüngst eine ganze Frauenbewegung ausgelöst hat. Das ist aber ein anderes Thema.

Zu Kaufmann in Mannheim lässt sich da eher sagen: Was für ein gelungener Abend von Pro Arte. Er ist den Menschen wohl den Preis einer halben Pauschalreise ins Geburtsland Puccinis wert. Das unterstreicht durchaus den Stellenwert klassischer Musik und von Kultur allgemein. Achtung: Ansteckungsgefahr!

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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