Mannheim. Die Stadt liegt in Trümmern. Rauchschwaden wabern über die von Steinen übersäte Bühne, aus der sich eine freistehend bloßgelegte Treppe erhebt. „Mannheim-Neckarstadt“ ist auf einem in den Hintergrund projizierten Schwarzweißbild zu lesen. Es ist die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Hier steigt aus einem pointierten Piano-Groove auch das erste Lied des Abend auf - „Tschoklet“. Genau: gemeint ist damit die von den US-Soldaten verteilte Schokolade. Und hier sich wird auch eine junge Frau namens Erna Raad ihren Weg gegen alle Widerstände freikämpfen, um schließlich zu einer großen, unvergesslichen Sängerin zu avancieren: Joy Fleming.
„Ein Lied kann eine Brücke sein“ lautet der Titel des Musicals, das vom Leben der 2017 verstorbenen Mannheimer Musikikone erzählt und an diesem Abend auf der Hauptbühne der Mannheimer Bundesgartenschau (Buga 23) im Spinelli-Park Premiere feiert. Für 1800 Besucherinnen und Besucher wurde unter den Zeltüberdachungen bestuhlt. Und obgleich es den kühlen Abend hindurch unablässig regnet, füllen diese Plätze sich zusehends.
Das Stück - eine Eigenproduktion der Buga - markiert die Gemeinschaftsarbeit vieler Akteure aus der Stadt und der Region: Ideengeber dafür war der Mannheimer-Runde-Vize Thorsten Riehle, für Komposition und Musikproduktion zeichnet die Popakademie unter der Leitung von Geschäftsführer Michael Herberger verantwortlich, für die Umsetzung und künstlerische Leitung Regisseur Georg Veit und das Kreativteam des Capitol Mannheim. Fast alle Songs, deren Bandbreite von swingenden Jazz-Grooves über poppige Balladen und Blues bis zum hochtourigen Disco-Funk (eingängig: „German Froilein“) reicht, wurden eigens für das Musical geschrieben.
Über 30 Darstellende wirken - auch in Gestalt des Mannheimer Bürgerchors - auf der Bühne mit. Dazu kommt die fabelhaft aufspielende Live-Band. Ermöglicht wurde das alles durch die 150 000-Euro-Spende des Unternehmer-Zusammenschlusses Mannheimer Runde, deren erster Vorsitzender Stefan Kleiber den Abend an der Seite von Buga-Geschäftsführer Michael Schnellbach und Fabian Burstein, Projektleiter für das Kultur- und Veranstaltungsprogramm, eröffnet. Auch Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz und Joy Flemings Sohn Bernd Fleming werden begrüßt. „Das ist die erste Uraufführung, die so wichtig ist, wie ,Die Räuber’ von Schiller“, sei ihm im Publikum zugeraunt worden“, merkt Burstein an - und hebt damit natürlich launig die Erwartungsspannung.
"Ein Lied kann eine Brücke sein"
- Das Joy-Fleming-Musical „Ein Lied kann eine Brücke sein“ ist eine Produktion der Buga 23.
- Die (Haupt-)Besetzung: Jeannette Friedrich, Andrea Matthias Pagani, Birgit Widmann, Susanne Back, Jan-Niklas Shadan Mavigök, Thomas Simon, Douglas Morgan Brown, Anja Beck-Harth, Selina Brosio.
- Buch und Regie: Georg Veit, nach einer Idee von Thorsten Riehle.
- Die Musik komponierten Ilja Krut, Laura Diederich und Johannes Pinter, zusammen mit der Popakademie Mannheim unter Leitung von Michael Herberger.
- Arrangements: Thilo Zirr, musikalische Leitung: Mark „Moody“ Hernadi, Chorarrangements: Dieter Scheithe, Produktionsleitung Anna Lohmann, Choreografie: Doris Marlis, Kostüm: Marette Oppenberg, Maske: Daniela Werner.
- Weitere Aufführungen folgen am 12. und 13. Mai, 1. bis 3. Juni, 13. bis 15. Juli, 17. bis 19. August und 14. bis 16. September.
Tatsächlich aber lässt sich in diesem Bild eine Parallele erkennen. Denn es ist ein leidenschaftlicher Sturm und Drang zur Freiheit, der es Erna Raad (souverän: Jeannette Friedrich) hier ermöglicht, sich nicht einem scheinbar vorgezeichneten Schicksal zu fügen, sondern ihren Traum Wahrheit werden zu lassen. In den Clubs der US-Army beginnt sie ihre Laufbahn, nimmt dabei auch den Namen „Joy“ an.
Gegenwind kommt indes von der eigenen Mutter - mit viel Verve und großartiger Stimme gespielt von Anja Beck-Harth, die den 2019 ausgelobten ersten Joy Fleming Preis gewonnen und 2022 bei der TV-Show „The Voice of Germany“ mitgewirkt hatte. Ihr auf einen federnden Bläsersatz gebettetes Stück „Mannemer Dreck“ gerät zu einem Glanzpunkt der Aufführung. Friedrichs bestechend gesungener „Neckarbrückenblues“ stellt einen weiteren dar, ebenso ihre Interpretation des Joy-Fleming-Klassikers „Ein Lied kann eine Brücke sein“. Einen prägnanten Akzent setzt der umtriebig-schillernde „Katzen-Theo“, den Andrea Matthias Pagani mit Mannheimer Zungenschlag verkörpert.
Der zweite Teil des (samt Pause) dreistündigen Musicals führt in die Gegenwart und nimmt sich dabei der Buga-Leitthemen Energie, Klima, Umwelt und Nahrungssicherung an. Die Klimaaktivistin Angela (kraftvoll: Selina Brosio) wird da zu Sozialstunden in einem Altenheim verurteilt, in dem uns einige Figuren aus dem ersten Teil wiederbegegnen - und mit ihnen die Erinnerung an Erna Raad. Im Zuge einer Luxussanierung sollen sie aus ihrem Domizil ausquartiert werden. Der Kampf dagegen schweißt die ungleichen Parteien über Generationen zusammen. Auch hier zeigt sich: „Ein Lied kann eine Brücke sein.“ Schließlich ist es auch dieser Song, der einem nach dem großem, mit lautstarkem, im Stehen gespendeten Beifall honorierten Finale, zuversichtlich den Heimweg weist.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-musical-um-joy-fleming-feiert-premiere-auf-der-bundesgartenschau-_arid,2083387.html