Open-Air

Mit „Flug 666“ durch den „Iron Maiden“-Kosmos

45 000 Metal-Fans checken am Samstag auf dem Canstatter Wasen zum rund zweistündigen Non-Stop-Trip ein

Von 
Harald Fingerhut
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Ein Poser vor dem Herrn: Gitarrist Janick Gers glänzt mit flinken Fingern und exaltierter Saitenartistik beim Konzert von „Iron Maiden“ am Samstag auf dem Canstatter Wasen vor 45 000 Metal-Fans. Die Band bot einen zweistündigen Trip durch nahezu alle Bandepochen. © Bilder. Harald Fingerhut

Manchmal lohnt es sich, ein wenig länger zu warten. Mit zweijähriger Verspätung hebt „Flug 666“ am Samstag mit 45 000 Passagieren auf dem Canstatter Wasen ab. Für zwei Stunden katapultieren Pilot Bruce Dickinson und seine Crew die Gäste aus dem Alltagstrott in den mittlerweile schier unendlichen „Iron Maiden“-Kosmos. Ein Trip, auf den die Fans nicht nur sehnsüchtig gewartet haben, sondern der auch nahezu alle Erwartungen erfüllt: opulente Show, spielfreudige Band, zahlreiche Hits – und das alles präsentiert in einem formidablen Soundgewand. Metaller-Herz, was willst du mehr.

Doch der Metal-Gott hat es mit seinen Jüngern auch am Samstag zunächst nicht gut gemeint. So wie das Einchecken auf Deutschlands Flughäfen derzeit etwas länger dauert und mit einigem Ungemach verbunden ist, sollte auch die Anreise zum Stuttgarter Wasen und der Eintritt zum Festivalgelände eine Geduldsprobe werden. Aufgrund eines Oberleitungsschadens viel am Samstag das komplette Straßenbahnnetz in der Landeshauptstadt aus. Verkehrstechnisch der Supergau. Zwar ist das „Iron Maiden“-Festival die größte Veranstaltung an diesem Tag, aber bei weitem nicht die einzige. Ehrlich Brothers in der Schleyerhalle, Jazz-Open in der Innenstadt und Lichterfest sorgen für einen enormen Besucherstrom. Und da Parkplätze rund um den Wasen Mangelware sind, setzen viele auf das S-Bahnnetz – und bleiben in den Bahnhöfen der Vororte hängen. Notgedrungen erfolgt der Umstieg aufs Auto, was dazu führt, dass die Straßen ruckzuck dicht sind. Statt sich gemütlich mit einem Kaltgetränk auf das bevorstehende Ereignis einzustimmen, schmoren viele in ihrem Blechkisten.

Als das musikalische Spektakel eröffnet wird, sind die Reihen vor der Bühne noch eher licht, und zahlreiche Sitzplätze auf den Tribünen verwaist. Die im Stau stehenden Konzertbesucher verpassen einen grundsoliden Auftritt von „Lord of the Lost“ als Opener und einen energiegeladenen, prolligen von „Airbourne“. Aber gerade die AC/DC-Epigonen heizten die Stimmung mit ihren Riff-Rock kräftig an. Frontmann Joel O’Keeffe nimmt schon beim dritten Song ein Bad in der Menge und zerschmettert dabei eine Dose Bier an seinem Kopf (Wem’s gefällt?!). Egal, die Chemie zwischen Band und Publikum stimmt, wenn auch die großen Australier ständig präsent sind, aber nie erreicht werden.

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Den Jungs wäre zu wünschen, dass sie sich ein wenig von ihren Paten entfernen und einen eigenständigeren Weg finden. Dann könnte es auch noch ein Stück nach oben gehen. Der Boden ist nach gut einer Stunde des Ackerns auf dem harten Bluesrock-Feld auf jeden Fall für „Iron Maiden“ bestens bereitet.

Zwar ist Bruce Dickinson der Pilot in der Band, aber der Kapitän ist natürlich Steve Harris. Er gibt die musikalische Richtung vor. Sie führte die Band schon in die Welt des alten Ägyptens zur Zeit der Pharaonen, ins dunkle Mittelalter zu Zeiten der Pest, in viele Kriegszeiten, in eine „Brave New World“ und nun wieder in die Vergangenheit, ins frühe Japan mit seinen Samurais.

Und genau da setzen am Samstag „Iron Maiden“ an, im hier und jetzt ihres musikalischen Schaffens. Die Bühne ist ganz im Stil das alten Japan aufgebaut. Der mittlerweile langhaarige und ergraute Bruce Dickinson erscheint mit Samurai-Zöpfchen, und die Band haut drei Songs aus dem aktuellen Album raus. Das Publikum ist sofort stimmgewaltig dabei und unterstützt den Frontmann von der ersten Sekunde an. Doch der hat das überhaupt nicht nötig. Nicht nur sein Organ ist in Bestform, der ganze Kerl scheint topfit zu sein. Nimmermüde fegt er wie ein Derwisch die kommenden 120 Minuten über die Bühne.

Nach den drei Nummern ist es das auch schon mit der Aktualität. Nostalgie und Tradition sind die Trümpfe an diesem Abend. Denn nach dem guten Auftakt, vor allem mit „Writing on the Wall“ biegt das Flaggschiff des New Wave of British Heavy Metal in Richtung glorreiche Vergangenheit ab und feuert ein fulminantes Hitfeuerwerk ab. Klassiker auf Klassiker reiht sich aneinander und lassen die Unbill der Anreise vergessen. Der Metal-Gott hatte doch ein Einsehen.

Trotz dieser Hitfülle können „Iron Maiden“ nicht alle Musik-Wünsche erfüllen, so manche Sahneschnitte wird trotz des opulenten Menüs nicht serviert. Erst als man nach dem Konzert darüber nachdenkt, welchen Lieblingssong sie nicht gespielt haben, fällt auf, dass sie selbst mit dem nicht berücksichtigten Liedgut ein komplettes Konzert hätten spielen können.

Aber das ist meckern auf hohem Niveau. Denn an dem Dargebotenen gibt es nichts auszusetzen, auch wenn es ein wenig old-fashioned ist, wie es garniert wird. In die Gitarren wird immer noch ein Kabel eingestöpselt, wie es in den Anfangstagen der Band üblich war. Der Bühnenhintergrund wird nicht digital auf Leinwand projiziert, sondern es werden riesige Bühnenbilder an Seilen hochgezogen. Auch die Speedfire, die bei der Zugabe über den Köpfen der Band schwebt, ist ein aufblasbares Requisit. Und da Hardrocker eher konservativ sind, gerade in Auftritts-Fragen, gewisse Dinge aus der Band-Vergangenheit erwarten, ist auch Eddie wieder an Bord. Zum Auftakt stakst er als Samurai über die Bühne und in der Zugabe liefert er sich einen Schwertkampf mit Bruce Dickinson. Alles wie gehabt. Ein bisschen albern zugegeben, aber nicht ohne Unterhaltungswert.

Und wie gehabt ist auch die Spielfreude der Band. Keine Frage, die Herrschaften sind nicht jünger geworden, die Gesichter noch zerknautschter, zerfurchter oder auch ein bisschen aufgeschwemmter. Über 40 Jahre im Rockgeschäft haben ihre Spuren hinterlassen. Aber egal, auf der Bühne liefern sie. Die Finger der Gitarristen flitzen flink wie eh und je übers Griffbrett, die Soli sitzen mit einer Lässigkeit und Leichtigkeit, wie in jungen Jahren oder eher noch besser. Überhaupt ist die Gitarrenfront mit Adrian Smith, Dave Murray und Janick Gers eine Macht. Gekonnt spielen sie sich die Bälle zu. Und Janick Gers, der mit dem Kabel und der Gitarre tanzt, ist ein Poser vor dem Herrn, genauso wie Bandleader und Bassist Steve Harris.

Also ganz getreu dem Motto „Give the people what they want“ ist es ein Metal-Freudenfest, das „Iron Maiden“ zum Besten geben. Dass am Ende ein wenig Regen einsetzt und die Gemüter ein wenig abkühlt, spielt das keine Rolle. Zu „Look on the pride side of live“ trollt sich eine mehr als zufriedene Menschenmenge zu ihren fahrbaren Untersätzen und in den üblichen Stau. Aber das lässt sich in der gelösten Stimmung nach solch einem Konzert verschmerzen. Die Ankündigung, bald wiederzukommen, klingt wie eine frohe Kunde.

Redaktion Stellvertretender Deskchef

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