Ihr Fachgebiet ist die „sprachliche Sozialgeschichte“ des 20. Jahrhunderts. Die Mannheimer Linguistin Heidrun Kämper hat vor allem historische Umbrüche in ihren typischen verbalen Spiegelungen untersucht. Doch rückwärtsgewandt ist Kämpers Forschung nicht, wie sie in Vorträgen und Aufsätzen zum „rechten“ Sprachgebrauch, den auch die AfD nutzt, bewiesen hat.
Kämper war am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS) tätig, dessen „kooptiertes Mitglied“ sie jetzt ist; sie beteiligt sich noch an einzelnen Projekten und lehrt weiterhin an den Universitäten Mannheim und Heidelberg. Ihre jahrzehntelange Beschäftigung mit der sprachlichen Sozialgeschichte fand nun einen neuen repräsentativen Ausdruck in einem zweibändigen Sammelband. Unter dem Titel „Im Nationalsozialismus: Praktiken - Kommunikation - Diskurse“ fasst er Ergebnisse eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts des IDS und der Universität Paderborn zusammen.
Der Nährboden des Rassismus
Untersucht wurden historische Briefe, Tagebücher, Reden und Publikationen. Der bereits gut erforschte Sprachgebrauch der Funktionsträger des NS-Staates wurde berücksichtigt. Im Fokus standen besonders die Gruppen der „NS-Affinen“ sowie „Dissidenten“, „Ausgeschlossenen“ und eigentlichen Widerständler. Interessant fand Kämper, wie sie im Gespräch erläutert, vor allem die „Dissidenten“ - Menschen, die innerlich Distanz hielten zum System, aber nicht eigentlich Widerstand leisteten und nicht verfolgt waren. Die Behauptung, die Deutschen seien 1933 bis ’45 mit wenigen Ausnahmen ein Volk der Mitläufer gewesen, wird durch diese Gruppe korrigiert. Zahlenmäßig erfassen oder hochrechnen lässt sich ihre Größe anhand der Dokumente aber nicht. Die Texte geben Aufschluss darüber, wie über Zustände gedacht wurde und was über politische Tätigkeiten bekannt war. Propaganda wurde als Täuschungsmanöver durchaus erkannt, auch am Beispiel der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Doch laut widersprochen und entsprechend gehandelt haben diese Personen nicht.
Wer sich beeinflussen ließ von der Propaganda, war zumeist ohnedies von NS-Gedanken überzeugt, sagt Kämper. Neuen Aufschluss über die Frage, ob überhaupt etwas und wie viel über die systematische Tötung von Juden und anderen marginalisierten Gruppen bekannt war, ergab sich nicht. Kämper verweist aber etwa auf den Romanisten Viktor Klemperer, der seiner jüdischen Wurzeln wegen zu den Ausgegrenzten zählte. Er schrieb 1942, Auschwitz scheine „ein schnell arbeitendes Schlachthaus zu sein“. Wenn er etwa Postkarten erhielt von Absendern, die sich nun als Witwer bezeichneten, konnte er das als Hinweis auf eine Ermordung deuten. Allgemeine Hinweise gaben zudem ja die zahlreichen Deportationen, deren offizielle Begründung, die Menschen würden in Ostgebieten angesiedelt, angesichts des Kriegsverlaufs kaum glaubhaft erschienen.
Der Begriff der „NS-Affinen“ fasst Personen zusammen, die zur Aufrechterhaltung der NS-Diktatur beitrugen. Sie wollten Teil der „sprachlichen Volksgemeinschaft“ sein und dokumentierten dies im typischen, auf Ausschließung zielenden Wortgebrauch: Wer kein Freund des Systems war, war dessen Feind. Das zeigte sich nicht zuletzt in antisemitischen Stereotypen. Zu der Gruppe zählten Personen, die im Sinne der NS-Diktatur und ihrer Denkmodelle auftraten, etwa als Verwaltungsangestellte oder Repräsentanten gleichgeschalteter Medien. Nicht zuletzt deshalb konnte man leichthin entsprechend agieren, weil Antisemitismus und überhaupt Rassismus seit dem 19. Jahrhundert einen gesellschaftlichen Nährboden hatten, betont Heidrun Kämper.
Die Sprachzeugnisse der fünf Gruppen sind kein repräsentativer Spiegel der damaligen Gesellschaft und ihrer Ausdrucksformen. „Gelebt wurde natürlich auch unabhängig davon“, so Kämper. Lernt man daraus auch etwas über den Widerstand im Kleinen? Man könne aus den Dokumenten ersehen, dass es weiterhin praktizierte Menschlichkeit und Empathie gab, Haltungen, gegen welche die Nationalsozialisten Front machten, so Kämper. Nicht von ungefähr sprach Propagandaminister Joseph Goebbels regelmäßig von „Gefühlsduselei“ und „falscher Sentimentalität“.
Beitrag zum Gesamtbild
Kämper und ihre Mitarbeiter verstehen ihre Arbeit als eigenständigen Beitrag zu einem Gesamtbild der Zeit des Nationalsozialismus - gemäß der Prämisse, dass Wirklichkeit durch Sprache gestaltet wird. Darin liege ein „Aufklärungspotenzial“, denn extrem rechtes Denken sei ja weiter vorhanden. Es dürfe nicht als populistisches Gerede und Spinnerei abgetan werden, es sei als Gefahr zu erkennen. Dieser Überzeugung bleibt Kämper auch in ihrem kommunalpolitischen Engagement als Gemeinderätin verpflichtet.
Und was beschäftigt sie derzeit? Sie denkt darüber nach, ihre sprachhistorische Arbeiten zusammenzufassen und ein sprachlich-sozialhistorisches Fazit des 20. Jahrhunderts zu ziehen. Zudem wurde bei der DFG die Förderung für ein Kooperationsprojekt des IDS mit der Universität Bremen beantragt. Kämper möchte darin noch eingehender den ausschließenden Sprachgebrauch untersuchen, der seine Wurzeln im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts hat. Mit ihm verbindet sich Inhumanität regelmäßig. Und umgekehrt vermag das Wissen darüber zu einer menschenfreundlichen Ordnung beizutragen.
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